Christus vor Nordkette Kopie

Es grenzt an ein Wunder, dass es in Tirol überhaupt noch eine Palmeselprozession am Palmsonntag gibt. Denn diese Urtiroler Tradition hat lediglich in Thaur überlebt. Die Gründe dafür liegen im tief verwurzelten Traditionsbewusstsein der Thaurer Bevölkerung.

Es war ursprünglich die Theaterleidenschaft der Tiroler, die an der Wiege von Palmesel-Prozessionen am Palmsonntag stand. Und der damit verbundene Wunsch nach möglichst detailgetreu-handgreiflicher Darstellung der Heilsgeschichte. Zusammen mit Passionsspielen, Fastenkrippen und Heiligen Gräbern bildeten sie jahrhundertelang das unverwechselbare Grundgerüst des Tiroler Osterbrauchtums. In Tirol ‚überlebt‘ haben nur wenige dieser traditionellen Bräuche. In Thaur hingegen werden einige davon in der Karwoche noch tatsächlich gelebt. Am bekanntesten ist sicher der Palmesel-Umgang.

Thaur, Romediuskapelle, Palmsonntag

Der Höhepunkt, weil höchster Punkt des Palmesel-Umgangs in Thaur ist die Romedioskapelle.

Weshalb also hat der Palmesel-Umgang ausgerechnet in Thaur überlebt, wollte ich wissen. „Weil hier in Thaur der Sinn für alte, ja sogar uralte Bräuche nie gänzlich verloren gegangen ist“, erzählt mir Joe Bertsch, Obmann von CHRONOS, dem Thaurer Verein für Dorfgeschichte. So etwa auch das ‚Mullen‘, sagt er, das in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts beinahe schon als ausgestorben galt. „Nicht so in Thaur: hier hatte es quasi selbstverständlich ‚überlebt‘ und wird heute in vielen anderen Orten wieder heftigst nachgeahmt.“ 

Die Christusfigur von Thaur

Romed Rott (links), der ehemalige Mesner von Thaur und Rudolf Weissnicht, der ‚Besitzer‘ der Christusfigur. Wie man auf dem Bild sieht, sind die Beine der Figur abnehmbar, die Figur selbst ist multifunktional einsetzbar. Bild: Josef Bertsch, Verein Chronos.

Die Christusfigur hat in der Karwoche in Thaur mehrere Aufgaben. Nach dem Palmesel-Umgang hat sie noch eine weitere Rolle zu erfüllen: am Gründonnerstag knieend im Garten Gethsemane. Romed Rott transportiert die Figur mitunter im Auto zum ‚Einsatzort‘. Bild: Joe Bertsch/Chronos Thaur.

 

Die Palmeselprozession in Thaur ist seit mehr als 200 Jahren eine lieb gewordene Tradition. Dass der ‚Palmesel-Umgang‘, wie die Prozession üblicherweise heißt, die ‚modernen‘ Zeiten überlebt hat, ist auch dem Besitzer der Christusfigur, Rudolf Weissnicht, zu verdanken. Er und seine Familie pflegen sie noch immer mit Hingabe. Das ist auch gut so, denn die Figur spielt in der Karwoche in Thaur gleich mehrere Rollen. Am Palmsonntag führt sie mit einem Olivenzweig in der Hand auf einem Esel reitend den Umgang an. Am Gründonnerstag wird der kniende Christus am Hochaltar gezeigt wie er betet. Und in der Osternacht-Liturgie verkörpert die Figur den auferstandenen Heiland, wie die Bildserie unten zeigt. Das alles ist nur möglich, weil die Beine der Figur abnehmbar sind.

Was den Palmesel-Umgang zwischen Thaur und Rum anlangt: es ist der letzte seiner Art in Tirol. Und wer geglaubt hatte, dass das wunderschöne Brauchtum in unserer modernen Zeit auf wenig Resonanz stößt, irrt gewaltig. Der Palmesel-Umgang ist aus dem Dorfleben von Thaur nicht mehr weg zu denken und zieht jährlich mehr Gläubige an.

Interessant auch, weshalb die Thaurer Palmeselprozession zur Pfarrkirche nach Rum und wieder zurück führt. Weiß man doch, dass sich die beiden Orte bisweilen ’nicht ganz grün‘ sind. „Weil Rum früher eine Filialkirche der Thaurer Kirche war“, erklärt Joe Bertsch. Und deshalb bewegt sich auch heute noch der Umgang quasi innerhalb der alten Pfarrgemeinde-Grenzen. 

Die Christus-Figur, die auf einem Esel sitzend in einem kleinen Leiterwagen mitgeführt wird, ist heute mehr denn je der Mittelpunkt der Prozession. Sie beginnt an jedem Palmsonntag um 13:00 Uhr in der Thaurer Kirche. Von dort geht’s dann betend aufwärts zur Schlosskapelle, dem Romedius-Kirchlein, wo eine Litanei abgehalten wird. Anschließend bewegt sich die Prozession durch die Felder von Thaur in Richtung Rum. An der Gemeindegrenze erwartet der Rumer Pfarrer Palmesel und Gläubige, um sie in seine Kirche zu begleiten. Dort wird ein eigenes Palmsonntags-Lied gesungen, bevor der Umgang wieder auf der Dörferstraße zur Vigilkirche und dann zur Pfarrkirche zieht.

Wer immer die Gelegenheit hat, diesen Palmesel-Umgang am Palmsonntag mitzuerleben sollte es tun. Die Prozession ist ein vorweggenommener, perfekter ‚Osterspaziergang‘.

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Die Karwoche in Thaur

Am Palmsonntag: Der Palmesel-Umgang findet jeweils am Palmsonntag von der Thaurer Pfarrkirche aus statt. Beginn: 13:00 Uhr. Die Prozession führt zuerst zur Schlosskapelle (Romedius-Kirchlein) und von dort über Feldwege nach Rum. Nach dem Singen des Palmsonntagsliedes in der Pfarrkirche Rum kehren die Gläubigen über die Dörferstraße zurück nach Thaur.

Am Karfreitag wird in Thaur eine Karfreitagsprozession durch das Dorf abgehalten. Bei der Prozession wird eine Christusfigur mitgeführt, die anschließend im Ostergrab symbolisch beigesetzt wird (siehe Bild oben).

Am Karsamstag beginnt die Feier der Osternacht um 19:00 Uhr.

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