Dorfplatz Patsch

Eine Aufnahme in die österreichische Liste des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO ist eine nicht alltägliche Auszeichnung. Genau das haben die Patscher Schellenschlagerinnen jedoch geschafft. Damit wird nicht nur ihre Pflege eines uralten Dorfbrauches gewürdigt, sondern auch der Einsatzwillen und das Engagement der Frauen, den Brauch zu erhalten und in der Dorfgemeinschaft weiterzutragen. Wäre doch der Schellenschlager-Umgang in Patsch vermutlich längst sang- und klanglos verloren gegangen.

Es begann mit einer spektakulären ‚Eroberung‘

Als sich 1958 die Männer in der Gemeinde Patsch nicht aufraffen konnten, das traditionelle Schellenschlagen am Unsinnigen Donnerstag zu praktizieren, füllten Frauen quasi über Nacht das fasnachtstechnische Vakuum. Sie kaperten den Brauch, obwohl Frauen (bis heute) in Tirol keine aktive Rolle in der Fasnacht spielen dürfen. Erna Seeber, Mimi Span, Anni Töchterle, Regina Knoflach, Sophie Troger und Traudl Knoflach besorgten sich damals ruckzuck und streng geheim die notwendige Ausrüstung und zogen verkleidet, somit als ‚Weiberleut‘ unerkannt, und schellenschlagend durchs Dorf.

Während die Bevölkerung staunend rätselte, wer sich hinter den Masken versteckt, und sogar vermutete, dass sich unter der Verkleidung Männer aus den Nachbarorten Lans oder gar Sistrans verbergen, süffelten die Schellenschlagerinnen die ihnen angebotenen Schnapserl widerspruchslos. Eines nach dem anderen – wollten sie doch kaschieren, dass nicht alkoholresistente Männer hinter den Masken steckten, und waren doch die Zuschauer begierig, mittels alkoholischer Zuwendung zu erfragen, wer sich denn nun hinter der Verkleidung verbarg. Als die Masken schließlich gelüftet wurden, war’s vielen Männern gar nicht recht. Mehr noch: Ihr Unmut darüber war groß. Viele der entsetzten Männer rieben sich die Augen, als sie zu allem Überfluss konstatieren mussten, dass auch ihre Ehefrauen mitgemacht hatten. 

Die Kirche hielt Frauen von der Fasnacht fern

Frauen in der Fasnacht? Nicht in Tirol. Hatte doch die Kirche, vor allem aber die Jesuiten, jahrzehnte-, ja sogar jahrhundertelang Frauen vom Faschingstreiben ferngehalten. Die Sünde, predigten sie, lauere immer und überall, wenn sich Frauen verkleideten. Den Männern gestand man da offenbar viel mehr Widerstandskraft bei der Abwehr teuflischer Versuchungen zu.

So richtig losgegangen ist’s dann aber 1960 mit den schellenschlagenden Patscherinnen. Zu den ersten ‚Aktivistinnen‘ dieser echten ‚Weiberfasnacht‘ gesellten sich immer mehr junge und junggebliebene Frauen der Wipptalgemeinde. „Heute“, sagt Claudia Lackner, quasi die Pressesprecherin der Gruppe, stolz, „hat unser Verein zwischen 60 und 70 Mitglieder. Und das bei unseren 1.000 Einwohnern.“ 

Anfänglich luden die Schellenschlagerinnen einen Spezialisten – einen Mann – ein, der Gruppe als ‚Vorhupfer‘ die Geheimnisse des Schellenschlagens zu vermitteln. Der Vorhupfer gibt den Takt vor und zieht den Schellenschlagerinnen voran. Als der einzige Mann in Pension ging, waren es dann ab 2009 Hexen, die dem Schellenschlagerinnenzug vorangingen. Natürlich besteht jederzeit die Möglichkeit, dass man wieder auf den ‚Bujazzl‘ zurückkommt, wenn sich jemand für diese Rolle findet.

Schemen- und Schleicherlauf sind Verwandte

Das Schellenschlagen ist eigentlich mit dem Schemen- oder Schleicherlauf des Tiroler Oberinntales verwandt. Ähnlich der Schemen und Schleicher, bewegen sich die Schellenschlagerinnen gemeinsam im Takt vorwärts, ihre Bewegungen sind ähnlich abgehackt wie die der Schemen. 

Das Schellenschlagen im Innsbrucker Mittelgebirge wie in Igls, Lans, Sistrans und Patsch weist eigentlich keine gemeinsame Überlieferung auf und ist daher scheinbar zusammenhanglos. Nicht so die Kleidung und die Larven (Masken), die jenen der elegant und nobel gekleideten ‚Schiane Gian‘-Fasnachtsfiguren entsprechen. 

Meist ziehen die Schellerinnen paarweise einher. Eine Holzlarve, ein mit zwei ‚Giggl‘-Federn, Glasfedern, bunten Kugeln, Blättern, Blumen und Spiegeln geschmückter ‚Fügener Hut‘ sowie ein Kostüm aus weißen Hemden mit bunten Bändern, Schultertüchern und Kniebundlederhosen samt Ranzen ist quasi ihr Erkennungszeichen. Die Schelle wird nicht umgehängt, sondern mit beiden Händen am Griff hinter dem Rücken gehalten und geschellt. Im Fall der Patscher Schellenschlagerinnen sind es geschmiedete Schellen, die sich im Klang von billigen Pressschellen doch angenehm unterscheiden.

Dr. Petra Streng, Direktorin des Augustinermuseums in Rattenberg und Volkskundlerin meiner Wahl, streut den Frauen von Patsch jedenfalls Rosen: „Sie haben mit einer perfekten Organisation bewiesen, dass Frauen sich ihren aktiven Status in der Fasnacht wieder zurückerobert haben.“ Dass die ‚Weiberleit‘ von der aktiven Fasnachtsgestaltung in Tirol großteils ausgeschlossen sind, ist eine Tatsache, die logisch nicht zu erklären sei, meint Streng: „In den Rechnungsbüchern von Sigmund dem Münzreichen tauchen Vermerke für ein ‚Honorar‘ für Frauen in der Fasnacht auf.“ 

Na gut, mögen sich fasnachtshistorisch bewanderte Menschen denken: Der Sigmund war auch ein ‚Weibeler‘, der Vater von geschätzten 50 außerehelichen Kindern war. Streng gibt aber zu bedenken, dass sich in Tirol auch die sogenannte Weiberfasnacht nachweisen lässt. „Verschiedentlich wird versucht, diesen Brauch als aus Deutschland importiert darzustellen“, sagt sie. „Aber es gibt Aufzeichnungen aus dem 16. Jahrhundert, wo von der Weiberfasnacht am Unsinnigen Donnerstag in Ladis im Oberen Gericht die Rede ist. Da werden alle männlichen Bewohner sogar ernsthaft davor gewarnt, nächtens auf die Straße oder gar in Wirtshäuser zu gehen. Denn da herrsche das Weiberregiment, das keineswegs zimperlich mit den Männern umgehe.“

Auch als gesellschaftliches „Sittenbild“ zeigen die Patscher Schellenschlagerinnen Vorbildfunktion, meint Streng: „Eine vermeintlich männlich dominierte Brauchbastion wurde erobert bzw. zurückerobert – und dies zum Wohlgefallen des Dorfes und darüber hinaus. Sie zeigen einer männlichen Domäne die ‚Trutzfeder‘, das heißt, sie haben ‚Schneid‘ (Tirolerisch für Mut) und bestätigen in ihrem Auftreten, dass die Frau aktiv in die Fasnacht gehört.“

Die UNESCO-Ehre zeitigt bereits ihre ersten positiven Auswirkungen. Durch die Aufnahme in die Liste des Immateriellen Kulturerbes sind die Schellenschlagerinnen jetzt an dem Projekt „IKE goes ASPnet: Integration des Immateriellen Kulturerbes in die schulische Bildung“ beteiligt und arbeiten dabei mit einer Berufsschule für Maschinen-, Fertigungstechnik und Elektronik in Wien zusammen. Dass das Medieninteresse daher rasant angewachsen ist, erscheint logisch und macht vielen Frauen in Tirol Mut, sich ebenfalls in die männliche Domäne Fasnacht einzumischen.

„Zudem“, so die Volkskundlerin Petra Streng, „ist der Vorbildcharakter für andere Bräuche von und mit Frauen nicht zu unterschätzen.“

Dem bleibt nichts hinzuzufügen. 

Veranstaltungshinweis

Wer die Patscher Schellenschlagerinnen quasi live und am Originalschauplatz erleben will, kann dies am 16. Februar, also am Unnsinnigen Donnerstag, 2023 in Patsch tun.

Ähnliche Artikel