Irgendwo zwischen Berg und Tal, zwischen Tradition und Moderne, zwischen Spaß und Ernst – irgendwo dort kann man die Tiroler Skilehrer ansiedeln. Die Skilehrer sind eine ganz eigene Spezies. Eine, die mit allerhand Klischees behaftet ist und viele davon bis heute erfüllt. Andere aber auch nicht mehr.
Luis lernt allen das Skifahren. Jung und alt, dem Bauarbeiter und dem Rechtsanwalt. Ich durfte ihn einen Tag lang begleiten. „Du bist die beste Schülerin, du kommst bestimmt noch zehn Jahre lang in die Skischule“ – das Lob von Skilehrer Luis für seinen heutigen Gast Fysun ist eindeutig zweideutig, aber ganz sicher nett gemeint. Ich muss trotzdem schmunzeln. Die Sache mit dem Tiroler Schmäh bewahrheitet sich also schon mal.
Seit eineinhalb Stunden trainieren die Beiden jetzt zusammen am Übungshang. Auch tags zuvor hat Fysun bei Luis Privatstunden absolviert. Mit dem Ergebnis, dass sie nun imstande ist, erste Bögen zu steuern. „Bravooooo, langsam, genau so, ein bisschen mehr hinaus lehnen, viel Druck auf den Talski geben, jaaaaa und gleich noch einmal“ – Luis weiß, dass motivieren hilft. Immerhin ist er ein alter Schneehase im Geschäft.
Der frisch gebackene 58-Jährige versteht sein Hand- oder in diesem Fall eher Fußwerk wie kaum ein anderer. Stolze 38 Saisonen steht er bereits auf den Brettln, die den Winterurlaub bedeuten und bringt Schülern aus Nah und Fern das Skifahren bei.
Da, wo man die Autos nach einer Woche ausgräbt
Luis‘ Revier ist das Kühtai. Das Kühtai auf 2.020 Metern Seehöhe im Sellraintal unweit von Innsbruck ist das höchst gelegene, gletscherfreie Skigebiet Österreichs.
Dementsprechend herrlich verschneit präsentiert es sich auch, als ich mich zu Beginn des neuen Jahres aufmache, um Luis bei seiner Arbeit für die Skischule „Follow Me“ zu begleiten. Mit einem freundlichen „Servus“ heißt er mich willkommen. Klassisch, in einem rot-weißen Skianzug und – vorbildlich, wie es sich gehört – mit Helm auf dem Kopf.
In seinem Gesicht sieht man sofort, dass Luis immerzu draußen ist. Bei Wind und Wetter, bei Nebel und Sonnenschein. „Nur die Bräune lässt heuer noch etwas zu wünschen übrig, aber die kommt auch noch“, lacht er gut gelaunt zu mir herüber, während er auf dem eigens für die Anfänger installierten Förderband mit Fysun zum x-ten Mal nach oben tuckert.
Die letzte Abfahrt für heute. Fysun hat’s geschafft. Sie ist müde. Das lange Konzentrieren und die ungewohnte körperliche Betätigung in doch beträchtlicher Höhe und bei deutlichen Minusgraden sind nicht zu unterschätzen. Aber ohne Fleiß kein Preis – wer ein echter Skifahrer werden will, muss sich anstrengen. Dafür schläft man nach so einer ordentlichen Frischluftdosis umso besser 😉
Schwungvoll schnallt Luis seine Skier ab, steckt sie ineinander und marschiert mit mir Richtung Skischulbüro. Wir beeilen uns, denn die nächsten Gäste warten schon. „Ich bin ja hier, um Geld zu verdienen“, stellt Luis klar, dass er vom Unterrichten seinen Lebensunterhalt bestreiten muss. Deshalb fährt er in Hochsaisonzeiten oft den ganzen Tag durch. Ohne Pause.
Mit Kindern oder Erwachsenen, langsam, schnell oder gar Off-Piste im Tiefschnee, vorwärts oder rückwärts – je nach Erfordernis.
Beim Profi gut aufgehoben
„Stimmt schon, früher war alles gemütlicher“, erzählt er mir, als wir flotten Schrittes durch das im Sommer kaum bewohnte Dorf marschieren. „Heute hingegen soll alles zack-zack gehen. Auch hier oben.“ Nach einem kurzen Check in der Skischul-Zentrale holen wir Stefanie und Michael an ihrem Hotel zum Privatkurs ab. Das Paar fährt schon recht gut Ski und bildet die letzte Partie für heute.
Herzliche Begrüßung, kurze Wiederholung des bereits Gelernten, ein paar neue Anweisungen und los geht’s! Zügig schwingen wir zur Kaiserbahn.
„Skiführung parallel, Hangausgleich nicht vergessen. Sauber einkanten“, ruft Luis den Beiden bei voller Fahrt zu. In der Gondel schwenkt er dann zur Heimatkunde über und erklärt allerhand Wissenswertes über die Region. Auch das gehört dazu. Dann liegt der Fokus aber wieder auf dem Skifahrerischen.
Auf die richtige Technik kommt es an
Wenige Minuten Verschnaufpause später stehen wir an der Bergstation und blicken eine der roten Pisten hinunter. Lang und stellenweise ziemlich steil ist das, was wir sehen. Vielleicht ist es gar nicht schlecht, dass dichter Nebel die Sicht gerade arg einschränkt … Stefanie und Michael sammeln langsam Routine im Fortgeschrittenen-Level: „Dank Luis kommen wir jetzt fast jeden Hang hinunter, ohne Angst haben zu müssen. Außerdem ist er noch ein Vertreter der ‚alten Klasse‘. Es macht einfach Spaß, mit ihm unterwegs zu sein.“
Weil Theorie und Praxis aber immer noch zwei Paar Skier sind, bleibt ein Sturz auf einer Eisplatte nicht aus. Egal, nichts passiert. Mütze richten, Brille putzen – auf ein Neues!
Von Skihaserln und Hüttenabenden
Etliche Liftfahrten und Übungseinheiten später nimmt Luis mit mir im skischuleigenen Cafe platz. Er bestellt sich ein kleines Bier. Wie das ist mit den „coolen und für alles zu habenden Skilehrern“ möchte ich von ihm wissen. Vielsagendes Grinsen. „Meine wilden Zeiten sind längst vorbei, aber früher, ja, da gab es schon so die ein oder andere Anekdote …“, gibt er sich kryptisch.
Dann erzählt er mir doch ein wenig von feucht-fröhlichen Hüttenabenden, davon, welch magische Anziehungskraft so ein Skilehreranzug auf die Damenwelt hat und dass ihm das als junger Bursch durchaus nicht unrecht gewesen sei. Die Klischees, die dem Beruf Skilehrer anhaften, tun dies also zu Recht.
Wenngleich es heute bei Weitem nicht mehr so arg zugeht wie damals: „Alles ist professioneller, der Gast will Leistung für sein Geld.“ Auch das mit den Skihaserln sei inzwischen etwas überholt, sagt Luis: „Überhaupt hier bei uns im Kühtai. Die Region gilt als Eldorado für Familien.“
Geld ist nicht alles
Der 58-Jährige liebt seinen Beruf. Das Sporteln in freier Natur mit Gästen, die ihre Ferien in unserer schönen Bergwelt genießen. Reich wird er mit dem Skilehrern nicht, der Luis. Aber reich ist er in Wahrheit schon. Das erkenne ich insbesondere, als ich mit ihm noch einen Abstecher zu seinem Huberhof im Bergsteigerdorf Gries im Sellrain mache. Einem rund 300 Jahre alten Bauernhof, den Luis von seinem Vater geerbt hat und in dem Gattin Gudrun bereits mit dem Abendessen wartet.
Sie hat Luis über Umwege ebenfalls durch seine Skilehrertätigkeit kennen gelernt. Irgendwie logisch, oder? Gudrun hilft Luis seit nunmehr gut 30 Jahren den alten Hof zu bewirtschaften. Rund 15 Kühe und 20 Schafe schreien hier zweimal täglich nach Futter. Außerdem wollen Hühner, Gänse, Forellen, Kaninchen, Meerschweinchen und ein Hund versorgt werden. Und es wird vermietet: Zwei Ferienwohnungen stehen am Huberhof für Gäste bereit.
Arbeit en masse also und als wäre das nicht genug, trägt Luis auch noch jeden zweiten Tag ab 3.30 Uhr die Zeitung aus. „Ja, der Winter ist hart. Aber als Ausgleich gehe ich es im Sommer etwas ruhiger an“, sagt der gelernte Elektroinstallateur und erzählt mir bei einem wärmenden Tee und einem verbliebenen Stück Geburtstagskuchen von seiner Hütte im Wald, wo man nur zu Fuß hinkommt. Davon, dass er selber Speck, Wurst und Butter erzeugt und im Sommer am liebsten mit dem „Fichtenmoped“ (Motorsäge) Holz für den langen Winter macht. Der Luis ist frei und das wiegt für ihn wohl mehr als jedes materielle Gut. Was er macht, tut er aus tiefstem Herzen und mit jeder Faser. Er macht sein Ding und er möchte mit nichts und niemandem tauschen. Verständlich.
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Gerne draußen, "dahoam" am liebsten oben auf den Bergen. Vielseitig interessierter Schreiberling mit einem Faible für besondere Menschen und deren Geschichten, Sport und Natur.
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