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‚Eines Tages‘, nahm ich mir schon vor Jahrzehnten vor, ‚werde ich vom Zug aussteigen, um dann in der Diretissima vom Innsbrucker Bahnhof auf die Seegrube spazieren’. Was ich mir im studentischen Übermut vorgenommen hatte, setzte ich spät und grauhaarig in die Tat um. Man gönnt sich ja sonst nix…

Es gibt aber noch einen weiteren Grund für diese Tour von ganz unten nach fast ganz oben. Es ist üblich geworden, mit Autos und Seilbahnen ins Gebirge zu fahren, um dann mit der eigentlichen Bergwanderung zu beginnen. Meine Überzeugung: In Innsbruck ist das gar nicht nötig. Da nimmt man in der Maria-Theresien-Straße das Ziel ins Auge und geht einfach drauflos. Dass 1.400 Meter Höhenunterschied zu überwinden sind, tut vorerst wenig zur Sache. 

VOM HÖTTINGER TURM ZUM HÖTTINGER BILD

Meine Routenplanung – über das Höttinger Bild und den Höttinger Graben aufzusteigen – orientierte sich an der Innsbrucker Stadtgeschichte. Die wird ja vielfach vergessen, wenn man auf wunderbaren Wegen und auf den Bergpfaden am Südabhang der Nordkette bummelt. Wer weiß schon, dass Innsbruck, konkret Hötting, einst eine wichtige Tiroler Bergwerksstadt gewesen ist, deren bergmännischen Reste heute noch sichtbar sind?

Ich passierte auf meinem Spaziergang erst einmal das Goldene Dachl, überquerte die Innbrücke und wandte mich dann in Hötting der wunderbaren Alten Kirche zu, die 1286 erstmals urkundlich erwähnt worden ist. Dann ging’s irgendwie erst los. Denn beim Aufstieg zum Planötzenhof kommt der Kreislauf erstmals in Stimmung.

Nach dem Planötzenhof – ich komme dort nicht vorbei, ohne einen Kaffee getrunken zu haben – führt dann ein ganz wunderbarer Weg zum Höttinger Bild. Was selbst Einheimische kaum wissen: Die Kapelle ist quasi das Tor zu Innsbrucks Bergwerksvergangenheit. Davon kündet eine heute noch sichtbare mittelalterliche Abraumhalde direkt vor der Kapelle.

DIE MITTELALTERLICHEN KNAPPENLÖCHER

Nun eröffnet sich eine steile Landschaft, in der die Spuren mittelalterlicher Erzschürferei nicht zu übersehen sind. Die werden augenscheinlich, wenn man den Aufstieg zur Höttinger Alm über den Höttinger Graben wählt. Trittsicher muss man schon sein und schwindelfrei auch. Sonst würde ich von der Wahl dieses Weges eher abraten.

Wir können uns das heutzutage gar nicht mehr vorstellen: Die mittelalterlichen Bergknappen haben hier heroben mit Hammer und Eisen die erzhaltigen Gesteine aus dem Felsen geschlagen, sind über Leitern in ihre ‚Knappenlöcher‘ geklettert, haben Gänge in den Fels getrieben und von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang geschuftet. Mir wird allein schon beim Betrachten der Löcher und Höhlen, die wie ein riesiger Schweizer Käse aussehen, schwindlig.

DAS KLETTERPARADIES – WIDER DIE SCHWERKRAFT

Heute tummeln sich hier vor allem jene Menschen, die die Schwerkraft vermittels Haken und Ösen zu überlisten trachten. Die Sportkletterer hängen nicht selten kopfüber im Fels – und können dabei die wohl schönste Kulisse genießen, die ein Sportklettergarten zu bieten hat: das überwältigende Panorama Innsbrucks.

DIE LEGENDÄRE HÖTTINGER ALM

Die letzten Steilstufen überwindend, taucht dann urplötzlich die Höttinger Alm vor dem dankbaren Auge des Wanderers auf. Schottische Hochlandrinder veredeln den Blick auf die Nordkette oder jenen auf die Stadt Innsbruck. Eigentlich gehört es zum guten Ton, zumindest einmal im Jahr auf der Höttinger Alm zu hocken, den Herrgott einen guten Mann sein zu lassen und die Seele so richtig durchzulüften. Hier etwas Rustikales zu sich zu nehmen, seien es die exzellenten Kaspressknödel oder der mürbe Graue Käse, gehört zum guten Ton.

DAS FINALE FURIOSO

Von der Alm aus gilt es jetzt, die letzten rund 400 Höhenmeter in Angriff zu nehmen. Die Wegführung folgt hier der Devise: Weshalb zick-zack wenn’s geradeaus auch geht. Ist es doch die Diretissima, die eine Überwindung vieler Höhenmeter auf kürzester Strecke möglich macht. Hier – ich gebe es gerne zu – musste ich des Öfteren ein Time-out nehmen. Ich hab mir dann halt eingeredet, fotografieren zu müssen. In Wahrheit ist der Schweiß geradezu in Strömen an mir heruntergeronnen. 

Nun beginnt die Nordkette sich mächtig vor Wandersleuten und Spaziergängern aufzutürmen. Die Frau Hitt ist zum Greifen nah, der Brandkogel sieht jetzt brandgefährlich aus. Das vereinzelte Blöken von Schafen wird von aufgeregten Pfiffen der Murmeltiere übertönt. Die Seegrube selbst? Ist überhaupt nicht zu sehen, sie versteckt sich in ihrer Grube. Nach etwa eineinhalb Stunden hab ich’s dann aber geschafft: Ich erreiche das Grubegg, rund 50 Höhenmeter oberhalb der Bergstation Seegrube.

Kurzzeitig überlegte ich, weiter auf das Hafelekar zu spazieren. Was ein Blödsinn gewesen wäre. Erstens war’s schon spät am Nachmittag. Und zweitens hätte ich nicht jene netten Menschen kennen gelernt, die sich am Grubegg die Sonne auf den Bauch scheinen ließen.

Die Talfahrt mit der Nordkettenbahn war nicht nur ob der vorgerückten Stunde unverzichtbar

Alle Bilder: ©Werner Kräutler

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