Mariahilf, Winter

Eine Häuserzeile als weltberühmtes  Postkartenmotiv. Die einzigartigen spätmittelalterlichen Häuser von Mariahilf gehören gemeinsam mit dem Goldenen Dachl zu Innsbrucks Ikonen. Hinter ihnen türmt sich die Nordkette majestätisch auf und lässt die bunt bemalten Häuser wie eine kunstvolle und farbige Bordüre erscheinen. Millionenfach fotografiert und Objekt touristischer ‚Selfie-Begierde’, gehört Mariahilf zum fixen Bestandteil jedes Innsbruck-Besuchs. Der Wermutstropfen: Die beschauliche Schönheit der prachtvollen Barock- und Renaissancehäuser war allzu lange mit wenig ‚innerem‘ Leben erfüllt. Das scheint sich jetzt (hoffentlich) zu ändern.

Vom ‚Glasscherbenviertel‘ zum weltberühmten Fotoobjekt

Ich hatte mich als Student in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts immer gewundert, weshalb Teile von Mariahilf eine Art ‚Glasscherbenviertel‘ gewesen waren. Spelunken reihten sich an Schnapsbuden, allerhand zwielichtige Gestalten zogen hier nächtens um die Häuser. Was mir damals nicht bewusst war: die Häuserzeile, die sich links des Innufers von der Mariahilfkirche bis hinunter nach St. Nikolaus zieht, war schon jahrhundertelang quasi die ‚Vorstadt’ Innsbrucks mit all ihren Besonderheiten.  

Das heutige Mariahilf hieß ‚Anspruggen’ und ist älter als Innsbruck

Einige Jahrzehnte vor der Gründung Innsbrucks war der linksseitig des Inns gelegene ‚Streifen‘ unterhalb von Hötting als Marktsiedlung angelegt worden. Nachdem die Bayern 1133 die damalige Burg Amras und somit den Sitz der über das Gebiet herrschenden Andechser Grafen zerstört hatten, zogen sich diese auf das ebenfalls ihnen gehörende linke Innufer zurück. Mit der Geschäftigkeit und dem Wohlergehen eines Marktfleckens im Mittelalter war’s dennoch bald vorbei. 

Nach dem Bau der ersten Brücke über den Inn wurde auch der Markt in die zwischen 1180 und 1204 gegründete und sofort befestigte Siedlung am rechtsseitigen Innufer verlegt. ‚Anspruggen‘ (an der Innbrücke gelegen), wie St. Nikolaus und Mariahilf ursprünglich hießen, wurde zu einer Art Vorstadt Innsbrucks ‚degradiert’. Ein Abstieg, der sich auch in den folgenden Jahrhunderten fortsetzte, für jeden sichtbar im Absinken in der Wertskala und im sozialen Status ihrer Bewohner. 

So wurden das ‚Leprosenhaus‘, das ‚Sondersiechen- oder Infektionsspital‘ ebenso hier angesiedelt wie später das Gefangenenhaus. Handwerks- und Gewerbetriebe siedelten sich an. Ziegeleien, Kalköfen, Steinhütten, aber auch Gießereien entstanden vor allem im heutigen St. Nikolaus. Die Gegend wurde damals zu allem Überdruss  im Volksmund mit dem wenig schmeichelhaften Ausdruck ‚Koatlackn‘ (Kotloch) belegt, der sich im Volksmund bis heute gehalten hat. Was damals auf eine stets undichte hölzerne Wasserleitung zurückging, deren Nässe die mittelalterlichen Wege permanent aufweichten. 

Mariahilf: einst eine ‚Sackgasse‘

Die Häuserzeile zwischen der heutigen Mariahilfkirche und St. Nikolaus wurde lange Zeit in das ‚obere’ und ‚untere’ Anbruggen geteilt. Als Trennlinie galt immer die Innbrücke und die Höttinger Gasse in der Fortsetzung der Innbrücke. Über die Innbrücke floss lange Zeit viel Transitverkehr vom Brenner kommend ins Tiroler Unterland durch St. Nikolaus, das ‚untere Anbruggen‘. Ganz im ‚Gegenteil zum ‚oberen  Anbruggen‘, der heutigen Mariahilfstraße, die bis Mitte des 17. Jahrhunderts eine Art ‚Sackgasse‘ darstellte. Denn die Verkehrsverbindung führte damals über die Höttinger Gasse und Schneeburggasse weiter nach Zirl nach Seefeld und über Telfs in Richtung Fernpass. Die heutige Mariahailfstraße endete dort, wo sich  die 1647 erbaute Mariahilfkirche befindet und mündete in die Kirschentalgasse ein.

Erst im Jahr der Fertigstellung dieser der Jungfrau Maria gewidmenten Kirche im Jahre 1649 wurde die Landstraße in die Höttinger Au eröffnet. Folgerichtig erhielt das Viertel oberhalb der Innbrücke jetzt den Namen Mariahilf. Das heutige Aussehen der Häuserzeile am Inn ist jedoch einer Brandkatastrophe geschuldet, die am 16. November 1476 die alten Holzhäuser vollständig zerstörte. Ein Mitgrund, weshalb die neuen Häuser aus Ziegeln und Steinen im Spätgotischen- und Renaissancestil errichtet worden sind. 

Das Image als ‚Durchhaus‘ konnte Mariahilf lange Zeit nicht wirklich ablegen. Der Verkehr zwängte sich zwischen den Häusern und dem Inn in Richtung Höttinger Au. Heute noch erinnert ein Handwerkerschild am Haus ‚Mariahilfstraße 14’ daran, dass hier Zugpferde beschlagen worden waren. Denn auch auf dem Inn herrschte damals noch reges Treiben. Da wurden schwer beladene Frachtschiffe, sogenannte Zillen, mit Pferden flussaufwärts bis nach Zirl gezogen. Und wenig verwunderlich: die Innschiffer liebten es, hier Station zu machen. Denn diese Herrschaften hatten mit Sicherheit Durst, den sie in den Kaschemmen und Bierbuden in Mariahilf stillen wollten.

In den vergangenen Jahren scheint sich das Blatt in Mariahilf jedoch zu wenden. Zwei Kunstgalerien haben sich hier angesiedelt, ein Boutiquehotel samt perfektem Café und ein hochmoderner Friseursalon ergänzen das Angebot. Bisher hielt lediglich das bekannte Hotel Mondschein konstant die Stellung.  

In anderen europäischen Städten wird das als untrügliches Zeichen einer ‚Wiederbelebung’ interpretiert. Sind die Galerie Mathias Mayr und das ‚Koordinationsinstitut für Inhalt und Organisation von Gegenwartskunst’ KOOIO untrügliche Vorboten einer künftighin noch attraktiveren Häuserzeile am Inn?

Das Mondschein, die ‚Mariahilf-Konstante‘

Aus der wechselvollen Geschichte zahlreicher Geschäftslokale in Mariahilf ragt eine Konstante heraus: das Hotel Mondschein. Der Bau eines Hauses an dieser Stelle geht auf 1473 zurück und dürfte damals ein Fischerhaus ersetzt haben. Die Familie Ischia übernahm 1976 das bestehende Hotel Mondschein und führt es bis heute. Das Haus beherbergte lange Zeit auch Restaurants mit Top-Gastronomie. Heute ist das Mondschein mit seinen 33 Betten ob seiner Zentrumsnähe bei Touristen sehr beliebt.

Mathias Mayr setzt mit der Galerie auf Mariahilf

Mathias Mayr von der gleichnamigen Galerie hat seine Galerie vor knapp fünf Jahren in Mariahilf angesiedelt. Er war von vornherein überzeugt, dass „Mariahilf ein potentielles Zukunftsgebiet nicht nur für Galerien ist“. Er hat’s geschafft, wie er sagt, „seine Kunden und auch interessierte Kunstliebhaber nach Mariahilf zu lotsen“. 

Der Galerist wälzt derzeit sogar Erweiterungspläne. Er wird ein eben frei gewordenes Geschäftslokal in derselben Straße anmieten um darin eine weitere Galerie zu etablieren. „Sie wird rund 125 m2 groß sein, wodurch ich mein Kunstangebot entscheidend erweitern kann.“ Die jetzige, kleinere Galerie will er, so sein Traum, auch für junge Tiroler Künstler öffnen. „Die müssen sich derzeit entweder Ausstellungen selbst organisieren oder bezahlen für Ausstellungen. Das möchte ich unbedingt ändern“, erzählt er, der selbst ein bemerkenswerter Künstler ist. Das künftige Zusammenspiel zwischen der ‚großen Mayr-Galerie‘ und der schon bestehenden kleinen Galerie verheißt jedenfalls eine spannende Zukunft. Für alle, die dran bleiben wollen, hier der Instagram-Account der Galerie: galeriemathiasmayr

Die Faktorei: ein  bemerkenswertes Boutique-Hotel 

Anja Janus suchte mehrere Jahre lang nach einem Haus in Mariahilf, das sie kaufen konnte. Vor mehr als fünf Jahren war’s dann soweit. Die gebürtige Hamburgerin erwarb das Haus aus dem 15. Jahrhundert in der Mariahilfstraße 36 und verwandelte es in ein wunderschönes, gemütlich-modernes Stadthotel. „Mich hat die Häuserzeile von Mariahilf immer schon magisch angezogen, da packte ich die Gelegenheit beim Schopf“, erzählt sie. Bei der Adaption des spätgotischen Gebäudes nahm sie viel Rücksicht auf die historische Architektur, die ein wichtiger Gestaltungsbestandteil geblieben ist. Dass die Zimmer mit viel Geschmack und vor allem natürlichen Materialien eingerichtet sind, ist für Janus selbstverständlich. „Jetzt fehlt nur noch, dass die von Politikern versprochene Fußgängersteg von der Markthalle über den Inn realisiert wird“, sagt sie. „Dann könnten die Touristen jene Postkartenidylle auch konkret in Augenschein nehmen, die täglich tausendfach fotografiert wird.“

Neben dem wunderbaren Interieur und den einladenden Zimmern hat mich die Speisekarte im attraktiven Café des Hauses überzeugt. Das Faktorei-Frühstück besteht aus regionalen und saisonalen Produkten, die zum Großteil aus biologischem Anbau stammen. 

Das KOOIO

Der 2008 eröffnete Ausstellungsraum KOOIO biete ein von Künstlern geschaffenes inhaltliches ‚Ordnungssystem‘ und will ein Gegenpol zu jenem System sein, das von Medien und Markt geschaffen worden ist. Der Fokus liegt auf Pluralität und verschiedenartigen Sicht- und Herangehensweisen. Künstler und Künstlerinnen haben die Gelegenheit, unabhängig von finanziellen Einschränkungen und thematischen Begrenzungen Projekte zu entwickeln und vorzustellen. Auch im KOOIO ist man guten Mutes, was die Zukunft von Mariahilf anlangt. Obfrau Eliza Faulhammer hat soeben einen Nebenraum adaptiert, der die Möglichkeiten individueller Inszenierung erweitert.  

Gerda M. oder: Haarpracht als Kunst

Leben in altem Gemäuer‘ mit dem Frisiersalon Gerda M. Das M steht für Mühlbacher, eine Osttiroler Unternehmerin, die vor 17 Jahren begonnen hatte, ihr kleines ‚Salon-Imperium‘ mit derzeit 30 Angestellten aufzubauen. Sie zog im September 2019 in Mariahilf ein und ist sehr zufrieden mit dem Geschäftsverlauf. „Die Tiefgarage am Marktplatz ist quasi um die Ecke, meine Kunden haben nur einen kurzen Weg zu uns.“ 

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