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Was macht Bergsport, oder wie in diesem Fall Freeriden, so spannend? Nur eine von vielen möglichen Antworten: das komplexe Zusammenspiel aus physischen und mentalen Fähigkeiten sowie viel Know-how über Risikomanagement. Den meisten Outdoorsportlern ist bewusst, dass am Berg Gefahren lauern, die mitunter lebensgefährlich sein können. Den meisten ist auch bewusst, dass sie nicht in einem unsterblichen Körper leben, der Naturgewalten überlegen ist. Trotzdem wird in der Freeride-Profiszene oft ein anderes Bild vermittelt. Eine sicke Line nach der anderen jagend, im Idealfall noch im Party-Shred (mehrere Fahrer befahren einen Steilhang gleichzeitig ohne Sicherheitsabstände) – Szenen wie diese laufen seit eh und je bei namhaften Freeride-Produktionen als Bewegtbild vor unseren Augen ab. Dazwischen kaum Szenen von Plänen, die nicht aufgehen, oder Sportlern, die umkehren, weil das Risiko zu groß oder nicht abschätzbar ist. 

Die Superhero-Geschichten scheinen jedoch ein Ablaufdatum zu haben. Mittlerweile erscheinen immer mehr Filme, die genau jene Themen in den Mittelpunkt stellen, die lange Zeit unter den Teppich gekehrt wurden: Unsicherheit, Verletzlichkeit oder Angst. Themen, die ohne Zweifel schwieriger aufzuarbeiten sind als spektakuläre Shots. Wo die Suche nach Antworten auf so manche Frage vielleicht auch vergeblich ist: Warum sich diesem scheinbar sinnlosen Risiko überhaupt aussetzen? Wie kann ein Profisportler im extremen Risikosport als Vorbild für junge Menschen wirken? Und: Ist die Vorstellung von Kontrolle im Bergsport grundsätzlich eine Illusion?

Um diese und ähnliche Fragen ging es auch beim Freeride Film Festival (FFF), das auf seiner Tour durch mehrere Länder dieses Jahr unter anderem wieder in Innsbruck Station machte. Am 9. November wurde im Metropol Kino nicht nur eine Reihe an Freeride-Filmen gezeigt, sondern auch ein spannendes Rahmenprogramm mit Bühneninterviews und mehr geboten. Ich habe mit Harry Putz, dem langjährigen Organisator des Festivals, und Snowboard-Pro Elias Elhardt gesprochen.

Harry, wie war die Stimmung beim heurigen FFF im Innsbrucker Metropol Kino, und was macht das Kino nach wie vor zu so einem bedeutenden Medium?

Harry Putz: Die Stimmung war wieder großartig. Die Resonanz vom Publikum habe ich als durchwegs positiv aufgenommen, so was freut mich natürlich sehr. Das Kino ist wie eh und je eine Möglichkeit fürs Zusammenkommen und Teilen von Emotionen. Speziell, wenn es um eine gemeinsame Leidenschaft wie das Freeriden geht, merkt man die Bedeutung vom Kino ganz besonders.

Welcher Film war dein diesjähriges Highlight der Tour?

Das ist eine schwierige Frage. Es ein sehr langer Prozess, die Filme auszuwählen, jeder Film ist für mich irgendwo ein Highlight und hat eine einzigartige Machart. Jedoch ist Elias Elhardts Film „Invisible Ground“ für mich schon hervorzuheben, weil er sich dem schwierigen Thema Gefahren und Verletzlichkeit im Freeride-Sport annimmt. Das Thema in 34 Minuten so gut hinüberzubringen, dass selbst nach dreieinhalb Stunden Abendprogramm niemand im Publikum gefühlt auch nur einmal blinzelt, war faszinierend.

Und jetzt ist das an einem Punkt der Weiterentwicklung angekommen, an dem Protagonisten, die authentisch Verantwortung zeigen, nicht mehr sofort uncool wirken.

Harry Putz

Hast du über die Jahre einen Wandel in der Freeride-Filmszene bemerkt, weg vom Profisportler als heroischen Übermenschen und hin zu komplexeren, menschlicheren Themen? 

Ich denke, Extemsport mit Athleten als Marketingtool ist ja eine relative junge Geschichte, vielleicht seit den 90ern gibt’s das. Und jetzt ist das an einem Punkt der Weiterentwicklung angekommen, an dem Protagonisten, die authentisch Verantwortung zeigen, nicht mehr sofort uncool wirken. Aber das ist halt „nur“ ein neuer Strang, der alte mit Fokus auf Adrenalin und dem Ausloten von Grenzen wächst auch weiterhin, dazu ist der Mensch einfach zu geil drauf. C’est la vie. Aber wir haben die Freiheit, zu entscheiden, was wir konsumieren wollen, und jeder von uns steckt damit auch in der Verantwortung sich selbst gegenüber, die Flut an Medien und Content bewusst zu konsumieren.

Denkst du, es sollten sich mehr Profis zur Aufgabe machen, ein Vorbild für junge Menschen im Sport zu sein? Oder widerspricht sich dieser Auftrag in sich selbst, weil bei Grenzgängern im Outdoorsport immer ein Risiko bestehen bleiben wird? 

Auf jeden Fall, die Vorbildwirkung ist verdammt wichtig. Mit unserem Festival erreichen wir viele Menschen, die gierig nach spektakulären Bildern und Stories sind, und es liegt in unserer Verantwortung, wie wir diese Menschen damit bespielen, beeinflussen, bilden und wieder nach Hause entlassen. Deshalb auch unsere Initiative #freerideforfuture, in der wir uns nicht nur dem Kampf gegen die Klimaerwärmung stellen, sondern auch Sicherheitsbewusstsein vermitteln wollen. 

Elias Elhardt ist bereits seit vielen Jahren Snowboard-Profi und hat beim Freeride Film Festival in Innsbruck seinen neuesten Film vorgestellt. „Invisible Ground“ ist ein Snowboard-Film über Verletzlichkeit, in dem Elias mit Xavier de le Rue in die Vergangenheit ihrer beider Karrieren blickt und deren Unterschiede betrachtet. Eines haben sie jedoch gemeinsam: Beide waren kürzlich in ein tragisches Lawinenunglück verwickelt – ein Wendepunkt in ihrer beider Leben. 

Elias, in deinem Film „Invisible Ground“ stellst du schwierige Fragen zu Risiko und unrealistischen Vorstellungen von Kontrolle beim Freeriden. Was war deine Motivation zu einem Freeride-Film dieser Art?

Elias Elhardt: Ich mag es grundsätzlich gern, mich in Form von Filmen mit spannenden Themen auseinanderzusetzen, die zwar eng mit dem Snowboarden verbunden sind – da das meine Plattform ist als Profisportler –, aber darüber auch hinausgehen können. Um ehrlich zu sein, hatte ich aber erst mal das Gefühl, dass Risiko in unserem Sport ein sehr privilegiertes Problem ist – das man natürlich nur freiwillig eingeht und das auch nur wenigen Menschen zugänglich ist. Als ich dann selbst in so ein Unglück verwickelt worden bin, wo ich einen 15-jährigen Jungen aus einer Lawine geborgen habe, der dann auch verstorben ist, hat mich das sehr mitgenommen und berührt. Mir ist damit klargeworden, dass es ein wichtiges Thema ist, wofür ich auch eine gewisse Verantwortung trage als Kommunikator für einen Sport, der diesen risikoreichen Zugang auch bewirbt.

Ich denke, sich der eigenen Verletzlichkeit bewusst zu sein, sowohl physisch als auch emotional, ist eine gute Basis, um in der jeweiligen Situation eine gute Entscheidung zu treffen. 

Elias Elhardt

Ihr sprecht auch über die Vorbildwirkung, die Freeride-Pros auf viele, zum Teil junge Menschen haben. Wünschst du dir generell mehr Bewusstsein und bessere Kommunikation von Pros zu Risiken und anderen komplexen Themen?

Ich glaube schon, dass es eine tolle Chance ist, die Plattform als Profisportler zu nutzen und über wichtige gesellschaftliche oder politische Themen in einer kleinen Community wie der Freeride-Szene zu sprechen. Man merkt, dass das Interesse da ist, und die gemeinsame Leidenschaft zum Sport bietet hier einen Anknüpfungspunkt. Es ist mir mittlerweile wichtig, dass wir einen anderen Zugang finden, wie wir über Risiko sprechen, und dabei auch dieses heroische Narrativ in Frage stellen, wo Profisportler dem Tod immer wieder ein Schnippchen schlagen und die allergrößten Risiken scheinbar kontrollieren können. Ich denke, sich der eigenen Verletzlichkeit bewusst zu sein, sowohl physisch als auch emotional, ist eine gute Basis, um in der jeweiligen Situation eine gute Entscheidung zu treffen. 

Invisible Ground

Danke für die interessanten Gespräche!

„Invisible Ground“ ist ab Januar 2023 online. 

Fotocredits: Carlos Blanchard, Theo Acworth, Invisible Ground, Harry Putz; 

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