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Am 23. und 24. November 2019 ist es wieder soweit. Mutige Männer und Frauen rasen in einer nach oben offenen Tiefkühltruhe auf High-Tech-Rodeln zu Tal. Auf blankem Eis und mit einem Affenzahn von bis zu 130 Stundenkilometern. Sie passieren in Igls insgesamt 14 Kurven auf einer Gesamtlänge von 1.279 Metern, darunter einen sogenannten ‚Kreisel‘. In dieser 360-Grad-Kurve drückt es die Athleten bis zum Fünffachen ihres Körpergewichtes auf den Schlitten. Schon ziemlich heftig.

Der im Frühjahr 2019 verstorbene Olympiasieger Josef Feistmantl ging die Sache noch ziemlich anders an als die heutigen Athleten. Man beachte vor allem das Schuhwerk. Vermutlich startete man damals mit normalen Bergschuhen. Bild: Rodelverein Swarovski-Hall-Absam

Deutschland dominierte die Rodelszene viele Jahre ganz nach Belieben

Rodeln hat mich seit der Goldmedaille für Josef Feistmantels und Manfred Stengls im Doppelsitzer bei den ersten olympischen Spielen in Innsbruck 1964 und Manfred Schmids Goldener vier Jahre später in Grenoble nicht mehr interessiert. Eigentlich kein Wunder. Denn nach 1968 begann eine Art olympischer Goldflaute für uns Österreicher, die der Stubaier David Gleirscher 2018 in Pjöngjang  in sensationellem Stil durchbrach als er Gold für sich und unser Land holte.

Dazwischen waren „Olympiaden“ mehr oder minder deutsche Meisterschaften mit ausländischer, vor allem mit österreichischer Beteiligung. Wenn man dann noch die ‚Haltung‘ auf dem Schlitten, die Feistmantl an den Tag legte mit heute vergleicht wird klar, dass es in den letzten 60 Jahren eine richtige Rodel-Revolution gegeben haben musste.

Mit vollen Hosen ist leicht stinken

Deutschlands Wochenzeitung „DIE ZEIT“ hielt vor einigen Jahren noch großmütig fest, dass „Österreich eines der wenigen halbwegs konkurrenzfähigen Länder im Rodeln“ sei. Neben Deutschland hätten ja überhaupt nur Österreich, Italien und die UdSSR olympische Rodelwettbewerbe gewonnen. Das Blatt benannte aber auch das eigentliche Erfolgsgeheimnis der Deutschen: „Rodeln ist weniger eine Frage des Talentpools, sondern eine Investition.“ Besonders im zweigeteilten Deutschland nahmen beide Länder viel Geld in die Hand um sich mit Gold zu behängen.

Ein explosiver Start ist das halbe Rennen. David Gleirscher bei einem seiner katapultartigen Starts. Bild: David Gleirscher

Rodeln kostet also Geld. Sehr viel Geld. Die technische Entwicklung von Schlitten und Kufen ist teuer. Zudem ‚leistet‘ sich Deutschland gleich vier Bob- und Rodelbahnen. Weltweit gibt es nur 17, darunter auch eine in Innsbruck-Igls. In 4 Leistungszentren werden bei unseren Nachbarn immer neue Talente geschmiedet und an die Weltspitze herangeführt. Hier gilt also das rustikale Vorarlberger Sprichwort: „Mit vollen Hosen ist leicht stinken.“

Österreich ist jetzt mehr als nur ‚halbwegs konkurrenzfähig‘

Das mit der österreichischen Konkurrenzfähigkeit hat sich aus österreichischer Sicht ganz wesentlich geändert. Eine selbstbewusste und angriffige österreichische Rodel-Nationalmannschaft bläst zum Sturm auf die deutsche Schlitten-Bastion. Österreich hat nämlich den technischen Rückstand auf unsere Nachbarn entscheidend verringert. Womit sich auch die Erfolge eingestellt haben. Und derzeit haben vor allem unsere Rodel-Herren die Nase sogar ganz leicht vorn. Weshalb das so ist, wollte ich von unseren Rodelstars persönlich wissen. Ich traf den Olympiasieger David Gleirscher und den Doppelweltmeister des Jahres 2017 Wolfgang Kindl beim Training in Igls.

Die Chance ließ ich mir nicht entgehen. Ein gemeinsames Foto mit Olympiasieger David Gleirscher (links) und dem Doppelweltmeister Wolfgang Kindl ist ja nicht alltäglich.

Es war vor allem Wolfgang Kindl, der das Selbstbewusstsein unseres Rodel-Nationalteams vor zwei Jahren gehörig aufpolierte. Schon die Jahre zuvor ließ er seine Klasse immer wieder aufblitzen bis er sich auf seiner Hausstrecke zum Doppelweltmeister krönte. Das hatte sich schon Jahre vorher abgezeichnet: seit der Saison 2014/15 scheint Kindl immer in den Top 3 der Weltcup-Gesamtwertung auf. „Mit unserer Material-Weiterentwicklung und der intensiven Nachwuchsarbeit  wurde ein neuer Grundstein gelegt“, meint der 31-jährige gebürtige Viller sichtlich zufrieden.

Wolfgang Kindl krönte sich 2017 in Igls zum Doppelweltmeister. Bild: Wolfgang Kindl

Was muss sich ein Laie unter ‚Material‘ vorstellen?

„Es geht in erster Linie um die Kufen und die Schienen, die mittlerweile High-Tech-Produkte sein müssen, will man konkurrenzfähig sein“ erklärt mir der zweifache Weltmeister von 2017. „Früher waren die Deutschen in diesem Bereich ihrer Konkurrenz etwa 15 Jahre voraus“, ergänzt Olympiasieger David Gleirscher. Nicht nur das. „Auch die Abstimmung des Sportgerätes auf die jeweiligen Bahnen, das Wetter und die Eisverhältnisse entscheidet über Sieg und Niederlage. Und da haben wir in unserem Team massiv dazugelernt.“

Ob die Leistungsexplosion nur auf diese technischen Details zurückzuführen sei, will ich wissen. Wolfgang Kindl erzählt von der tollen Nachwuchsarbeit der letzten Jahre, die ihre Früchte zu tragen beginne und lobt vor allem das Leistungszentrum in Innsbruck. „Auch die Trainingsbedingungen haben sich massiv verbessert.“

David Gleirscher am Höhepunkt seiner noch jungen Karriere: Gold in Pyeongchang vor Christopher Mazdzer (USA links) und Johannes Ludwig (D) Bild: ÖOC/David Gleirscher

Wozu trainieren, wenn man liegend zu Tal rast?

Ich möchte jetzt nicht unbedingt behaupten, dass die beiden Top-Sportler pure Muskelpakete sind. Ein erster Blick genügt aber um zu wissen, dass ihre Oberkörper einem harten Training unterzogen werden. „Ja, wir sind sehr viel in der Kraftkammer“, sagt Wolfgang Kindl. Denn es geht im Training vor allem darum, den Startvorgang so optimal als möglich zu trainieren. „Wir trainieren Schnellkraft“, sagt David Gleirscher. „Denn am Start entscheidet sich enorm viel, was im Zeitalter der Tausendstel Sekunden auf der Bahn oft nicht mehr wett gemacht werden kann.“

Rodler trainieren Rücken- und Nackenmuskeln

Einigermaßen überraschend ist die Antwort der beiden auf meine Frage, welche Muskeln denn beim Rodeln am meisten strapaziert würden. Es sind nämlich die Rücken- und Nackenmuskulatur, wer hätte das gedacht?  „Beim Startvorgang spielt die Rückenmuskulatur eine wichtige Rolle und während der Fahrt läuft die Nackenmuskulatur quasi heiß“ lacht Wolfgang Kindl. Denn der Kopf sollte so tief als möglich gehalten werden um eine gute Aerodynamik zu erreichen. David ergänzt: „Obwohl wir den Helm mit einem Gurt am Körper einhängen müssen wir Schläge ausgleichen und vor allem die Fliehkräfte, die bis zu sieben G betragen können“. Das ist schon heftig.

‚Schwergewichte‘ grundsätzlich im Vorteil. Aber: Ein dicker Bauch bremst

„Mehr Gewicht macht schneller“, sagt Wolfgang Kindl. Nur allzuviel ist auch hier nicht gut. „Es klingt jetzt vielleicht lustig, aber sehr schwere Menschen wären auf einem Schlitten liegend weniger aerodynamisch.“ Wenn der Bauch zum Luftwiderstand wird, kostet das eben Zeit. Um hier gerecht zu sein, dürfen ‚leichte’ Athleten Zusatzgewichte mitführen bis sie 90 Kilogramm erreichen.

Auf diesem Bild gut zu sehen: ein dicker Bauch wäre aerodynamisch nicht wirklich von Vorteil. Bild: D. Gleirscher

Der erste Showdown dieses Winters

Ich bin schon sehr gespannt, wie unser österreichisches Nationalteam mit insgesamt fünf Herren, drei Damen und zwei Doppelsitzern den Deutschen wieder Paroli bietet. Müßig zu sagen, dass sich ein Zuschaueransturm wie zur Weltmeisterschaft vor zwei Jahren positiv auf die Motivation unserer Rodelnationalmannschaft auswirken würde. 

Beiden Athleten wünsche ich für das erste Weltcuprennen und überhaupt für die neue Saison das Allerbeste.

LINKS

Die Rodelstars im Internet

Wolfgang Kindl
Website: https://www.wolfgang-kindl.at/
Facebook: https://www.facebook.com/wolfgang.kindl.luge/
Instagram: https://www.instagram.com/wolfgangkindl/

David Gleirscher
Website: https://www.david-gleirscher.at/
Facebook: https://www.facebook.com/david.gleirscher.luge/
Instagram: https://www.instagram.com/davidgleirscher/

Termine

Am Samstag, 23. November 2019 wird die 37. Auflage des Rodelweltcups in Igls um 10:20 Uhr mit dem Einsitzerlauf der Damen gestartet. den Abschluss bildet am Sonntag ab 13:45 Uhr die Team-Staffel.

Kostenloser IVB-Shuttle von Innsbruck
Die IVB sind am Weltcup-Wochenende mit einem gratis Shuttle ab Innsbruck Hauptbahnhof bis zum Eiskanal unterwegs, die Eintrittskarte gilt als IVB-Ticket in Innsbruck (Kernzone).

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