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Du hast schon einige Skitouren-Höhenmeter auf Pisten gespult? Du stehst solide am Ski, hast auch schon Gelände-Erfahrung in Skigebietsnähe gesammelt? Du bist bereit dich mit alpinen Gefahren und Lawinenkunde zu beschäftigen? Und, du hast auch schon einen Tourenpartner, der ebenso motiviert ist? Dann kann’s (fast) losgehen – auf Skitour in die wunderschöne schneeweiße Bergwelt der Alpen!

KNOW YOUR EQUIPMENT: DER UMGANG MIT DEM SICHERHEITSEQUIPMENT IM ERNSTFALL

Du wirst es vielleicht schon bemerkt haben: Skitourengehen ist ein ziemlich materialintensiver Sport, der nicht nur den Stauraum in der Wohnung, sondern auch dein Bankkonto an die Kapazitätsgrenzen bringen könnte. Als Pistentourengeher hast du bestimmt schon den Großteil der Ausrüstung wie Skitourenski + Bindung + Felle, Tourenskischuhe, Stöcke, Helm + Skibrille und Outfit zu Hause.

Für Touren im freien Gelände gehört auch das Sicherheitsequipment standardmäßig in jeden Rucksack bei jeder Tour: Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS), Sonde, Schaufel und eventuell ein Airbag-Rucksack. Wichtig: Kaufen alleine bringt nichts – der Umgang mit deinem Equipment soll dir vertraut sein und auch in extremen Stresssituationen gelingen. Da hilft nur eines: Üben! Es gibt besonders in Tirol einige Institutionen, die sogar kostenfreie Lawinencamps anbieten, zum Beispiel SAAC oder Snow-How und der Österreichische Alpenverein. Solltet ihr eine Gruppe Freunde sein, könnt ihr euch auch einen ausgebildeten Skitourenguide buchen, der mit euch ein LVS-Training macht und jegliche Fragen zum Thema beantwortet.

Sobald du die Vorgänge bei einem Lawinenunfall kennst: Schnapp dir am besten regelmäßig einen deiner Tourenpartner und wiederhole die LVS-Suche eigenständig, zum Beispiel auf einer sicheren Wiese. Dabei vergräbt dein Partner einen Rucksack mit einem sich darin befindlichen LVS-Gerät (im Sende-Modus) im Schnee und du musst diesen so schnell wie möglich finden. Bei einer Verschüttung zählt jede Sekunde und kann über Leben oder Tod entscheiden.

BE AWARE OF THE RISK – LAWINENLAGEBERICHT LESEN UND VERSTEHEN

Sobald du Skitouren abseits des gesicherten Skiraums unternimmst, musst du dir den dabei herrschenden alpinen Gefahren bewusst sein. In den Alpen gibt es kaum einen Winter, in dem nicht periodenweiße extrem hohe Lawinengefahr herrscht. Und auch bei vermeintlich guten Verhältnissen gibt es am Berg nie die 100%ige Durchschaubarkeit. Die Schneedecke und dessen Aufbau sind sehr komplex und dessen Stabilität – und damit die Sicherheit für den Wintersportler – hängt von vielerlei Faktoren ab.

Natürlich kann nicht jeder ein Schnee- und Lawinen-Experte sein – jedoch sollte sich jeder Skitourengeher gemeinsam mit dem Equipment ein gewisses Know-How aneignen, um für die eigene Sicherheit und die des Tourenpartners zu sorgen. Wir haben in Tirol glücklicherweise eine große Dichte an Experten und Institutionen, die rund um Wissen und Forschung in der Lawinenkunde federführend beteiligt sind. Für die Allgemeinheit finden tirolweit stets Veranstaltungen, Kurse und momentan auch jede Menge Online-Seminare zur Wissenserweiterung oder -wiederauffrischung statt. Ein ständiger und reibungsloser Informationsfluss zu aktuellen Bedingungen rund um die Lawinengefahr ist nicht selbstverständlich und Tirol ist in dem Gebiet auf jeden Fall ein Vorreiter. Nutze dieses geniale Angebot!

Sobald du die Gefahrenmuster und -zeichen kennst, holst du dir vor jeder Tour die Informationen zum Lawinenlagebericht und planst anhand dessen deine Tour. Im Idealfall bleibst du auch in deiner tourenfreien (Arbeits-) Zeit immer auf dem Laufenden, so kriegst du über die Jahre ein besseres Gefühl für die Zusammenhänge von Schneedeckenaufbau und der beeinflussenden Faktoren wie Wind, Temperatur oder Neuschnee.

KNOW YOUR LIMITS – TOURENPLANUNG AUF KÖNNEN UND ERFAHRUNG ABSTIMMEN

Die Tourenplanung kann nervenaufreibend sein und viele Feierabendstunden beanspruchen. Besonders wenn das Tourenrepertoire noch klein ist und du noch nicht viele passenden Routen für die entsprechenden Verhältnisse kennst, nützt es nichts als (mehr oder weniger viel) Zeit in die Planung zu stecken. Niemals einfach bereits bestehenden Spuren nachgehen ohne zu wissen, wohin sie führen! Schaue dir deine Wunschtour genau auf einer Karte an (zum Beispiel hier: alpenvereinaktiv.com oder auch in 3D hier: fatmap.com) und hol dir die wichtigsten Infos: Höhenmeter/Kilometer, Exposition, Hangneigung, usw. Fange klein und leicht und deinem Können und deiner Tourenerfahrung entsprechend an.

Zu den Skitourenskills gehören: deine Ausdauer und Kraft bergauf, deine Versiertheit auf Ski bergab und dein Wissen rund um Gefahren im Gelände. Auch wenn du bereits eine gute Ausdauer von Pistentouren oder Wanderungen hast, frage dich ehrlich, ob du auch bei schlechten Schneeverhältnissen und in steilerem Gelände sicher, sturzfrei und relativ zügig auf Ski unterwegs bist! Denn an den meisten Skitourentagen wird der Schnee nicht von oben bis unten locker-leicht und fluffig sein. Schnee ist in seiner Konsistenz oft variabel und wird von Wind oder Sonne nicht selten mit dem (allseits beliebten) Harschdeckel versehen. Wenn du stürzt, bedeutet das eine enorme Zusatzbelastung auf die Schneedecke und die Wahrscheinlichkeit eine Schwachschicht zu stören ist nochmal größer. Generell sollten dich Höhenmeter bergauf auch nicht so sehr an deine körperlichen Grenzen treiben, dass für die Abfahrt keine Kraft mehr übrig bleibt. Du solltest längere Stücke ohne Stops durchfahren können, um dann an vorausgeplanten, sicheren Sammelplätzen auf deine Tourenpartner zu warten.

MAKE YOUR OWN DECISIONS – SEI EIN ENTSCHEIDUNGSTRÄGER, KEIN MITLÄUFER

Deine Skitourenpartner sind schon halbe Profis – zumindest wissen sie bereits mehr als du? In der Gruppe gibt es einen regelmäßigen Austausch untereinander und die Risiken werden offen besprochen und abgewogen? Super! Von solchen Diskussionen kann man viel mitnehmen. Dein Ziel sollte es sein, nicht nur Zuhörer, Mitläufer und Zustimmer zu sein, sondern selber einen Beitrag zur Entscheidungsfindung leisten zu können. Dazu braucht es Wissen und Erfahrung. Was nicht heißt, dass du immer Recht haben musst – denn besonders am Berg liegen richtige oder falsche Entscheidungen oft sehr nah beinander. Wichtig ist, dass du selbstständig das Für und Wider abwägen und deine Bedenken oder Zustimmung für eine Aktion äußern kannst.

Solltest du vor allem auf deinen ersten Skitouren die Entscheidungskraft lieber abgeben und entspannt den Spuren eines Experten folgen wollen, dann buche am besten einen Skitourenguide. Nicht nur die Pulverschnee-Wahrscheinlichkeit steigt dann stark an, du kannst ihn/sie auch mit allen Fragen löchern, die dir gerade in den Sinn kommen und einen entspannt-abenteurlichen Tag am Berg verbringen.

YOUR GUT-FEELING MATTERS: HÖRE AUF DEIN BAUCHGEFÜHL – UND BLEIB FLEXIBEL

Der Gipfel ist zum Greifen nah. Jedoch vermutet ihr im letzten Hang ein Triebschneepaket, das euch vielleicht zum Verhängnis werden könnte. Dieses Szenario ist eher die Regel als die Ausnahme und das Umdrehen auf Tour gehört für erfahrene Skitourengeher dazu. Dem Bergsportler fällt diese Herangehensweise nicht immer leicht, da er/sie dazu gepolt ist ‘durchzubeißen’: Der frühmorgendlichen Demotivation, der müden Beine oder dem eisig kalten Wind zum Trotz geht man (meist) immer weiter bis zum Gipfelerfolg. Im Skitourensport im Besonderen und Bergsport im Allgemeinen lautet jedoch die Devise: Lieber einmal öfter umdrehen und gesund im Tal ankommen als das Ziel auf Biegen und Brechen erreichen.

Und: Der Berg steht zum Glück noch länger da! Solltest du schlichtweg einmal ein mulmiges Gefühl haben, sei es bei einer Hangquerung oder weil dir die Schneedecke heute etwas komisch vorkommt – zögere nicht dein Gefühl in der Gruppe zu äußern! Dann könnt ihr gemeinsam abwägen, ob an dem Zweifel was dran ist oder nicht. Lass dich nicht von Gruppendynamiken verleiten, wenn du dich nicht wohl fühlst.

MAKE THE CALL: LAWINENAUSLÖSUNGEN MELDEN

Das Worst-Case-Scenario ist eingetreten: Du beobachtest eine Lawinenauslösung oder bist sogar selbst daran beteiligt. Aber es ist zum Glück nichts passiert und niemand wurde verschüttet/verletzt. Wichtig: Jeder Lawinenabgang muss bei einer Leitstelle gemeldet werden! Wir sind in Tirol in der glücklichen Lage, ein top funktionierendes Bergrettungssystem zu haben und daher führt jeder Lawinenabgang, wo eine Personenbeteiligung nicht definitiv ausgeschlossen werden kann, zum in Gang Setzen der Notfallkette. Diese Einsatzkräfte werden an unfallträchtigen Tagen dringend benötigt und können an einem anderen Ort über Leben oder Tod entscheidend sein. Niemand, der eine Negativ-Lawine meldet, hat mit Konsequenzen zu befürchten, sondern spart den Einsatzkräften aber viel Zeit, Nerven und Geld.

140 ist die Nummer für alpine Notrufe der Bergrettung Tirol.

112 ist der europäische Notruf und funktioniert auch ohne Netz.

Nach so viel Ernsthaftigkeit nochmal sehr gut zusammengefasst von Harry G:

Fotos ©Lena Koller, Valentin Possert

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