Alte-Kirche-Hötting

Die einen stört’s, die anderen genießen es: Der Klang von Kirchenglocken wird üblicherweise sehr selektiv wahr genommen. Sicher, sie werden kaum in einem anderen Land so oft geläutet wie in Tirol. Morgens, mittags, abends. Sie läuteten Kirchenfeste ein, den Feierabend oder hohe Gäste. Sie warnen vor Unwettern und Feuer, verkünden Hochzeit und Sterben. Für mich ist der vertraute Klang ein wichtiger Bestandteil meines Heimatgefühls. Für gläubige Menschen gilt zudem das französische Sprichwort, dass Gott auch Werbung brauche. Dafür habe er die Glocken.

KLINGENDES ERZ

Glocken haben von Asien aus den Weg zuerst nach Rom und dann zu uns gefunden. Sie waren den ersten Christen eher ungeheuer. Verkündeten sie doch die Eröffnung römischer Märkte, verruchter Thermen und Bäder.  In Rom waren sie also erst einmal Signalgeber. Mönche begannen im 8. Jahrhundert, sich dem Guss von Glocken zu widmen. Mit deren Klang wollten sie die Gläubigen unüberhörbar zur Kirche rufen.

In Innsbruck wurde schon 1395 ein Glockengießer namens ‚Kristan’ in der Neustadt mit Standort am Areal der heutigen Maria-Theresien-Straße genannt. Damals schon verbannte man diese  brandheiße Sache in die noch dünn besiedelte Gegend vor dem Stadttor. 

KANONEN UND GLOCKEN – BRONZENE ‘BRÜDER’

Die flächendeckende Ausstattung der Tiroler Kirchen mit Glocken erfolgte zu Beginn der Neuzeit und ist dem damaligen Erzreichtum des Landes geschuldet. Sigmund der Münzreiche war es, der die Idee hatte, in Innsbruck ‚Büchsengießereien‘ zu etablieren. Drei ließ der Landesfürst errichten: Am Gänsbühel, in der heutigen Weyerburggasse und in der Mühlau. Kupfer hatte man ja im Überfluss aus eigenem Abbau, die rund zehn bis 20 Prozent Zinn wurden kurzerhand importiert und schon konnte Bronze gegossen werden. Neben den ‚Büchsen‘ – sprich Kanonen – wurden in der Regel auch Glocken gegossen.

MAXIMILIANS MONUMENTALES GRABMAL ALS INNOVATIONSTURBO

Es war dann Kaiser Maximilian, der Innsbruck zum führenden europäischen Zentrum des Bronzegusses machte. Einerseits benötigte der letzte Ritter Kanonen in Hülle und Fülle. Andererseits begann er schon früh mit der Planung seines gigantischen Grabmals, das mit einer ganzen Heerschar von Bronzefiguren, den Schwarzen Mandern bestückt werden sollte. Quasi im Kielwasser dieser Pläne, gepaart mit dem enormen technologischen Wissen der spätmittelalterlichen Innsbrucker Meister wurden auch jede Menge Glocken gegossen. Maximilian, immer darauf bedacht, neben seinem Andenken auch sein Seelenheil zu sichern, berief deshalb 1498 Hans Seelos aus Füssen nach Innsbruck und ernannte ihn zum ‚Römisch kaiserlichen Büchsengießer‘. 

DIE LEGENDÄRE GUSSWERKSTATT AM GENSBÜHEL

Wer in Tirol von Glocken spricht denkt sofort an die renommierte, heute 422 Jahre alte Glockengießerei Grassmayr in Innsbruck. Sie setzt am Innsbrucker Südring jene wunderbare Tradition quasi als ‘letzter Mohikaner’ bis heute fort, die Innsbruck einst prägte. 

Kaum bekannt ist, dass die Glocken des ausgehenden Mittelalters zum allergrößten Teil in der Umgebung jener Kirche gegossen worden sind, deren Geläute sie bilden sollten. Waren doch die damaligen Straßen keineswegs geeignet, schwere Glocken zu transportieren. Auch die Gefahr eines Zerbrechens einer Glocke war zu groß. Es waren also die Innsbrucker Gussmeister, die sehr gefragt waren, um den Guss zu überwachen. Wie die vielleicht berühmteste Gießerfamilie des ausgehenden Mittelalters, die ‚Löffler-Dynastie‘.

EINE STEINKUGEL ALS ZEUGE EINER GROSSEN VERGANGENHEIT

Urkundlich 1502 erwähnt, goss also der Begründer der Dynastie, Peter Löffler westlich der Höttinger Pfarrkirche auf dem „Gennsspühel, darauff das Püxenhaus stet“ vor allem Kanonen für Maximilian. Das Haus steht heute noch und ist mit einer eingemauerten Steinkugel ‚verziert’. Sie hat die Jahrhunderte offenbar überdauert und ist ein eindeutiger Hinweis auf die einstige Produktion von Glocken und Kanonen auf diesem Areal. 

TIROLS ÄLTESTE GLOCKE HÄNGT IN AXAMS

Schon 1491 schuf Löffler auch die älteste in Tirol befindliche Glocke die im Kirchturm von Axams hängt.

Aber auch die „Maria Maximiliana“ von Schwaz, die ob ihrer mit vielen Reliefs verzierten Oberfläche heute noch als die schönste Glocke Tirols gilt. Peter Löfflers herausragendstes Werk ist sicher der Guss der Statue des Königs Johannes von Portugal, eine der Statuen in der ‚Schwarzmanderkirche’.

Ein überaus produktiver Glockengießer war dann Löfflers Sohn Gregor. Er tat sich als Geschützgießer hervor und legte großen Wert auf sein gesellschaftliches Ansehen. Deshalb kaufte er 1538 jenes Grundstück in Hötting, auf dem er den “Ansitz Büchsenhausen“ erbauen ließ.

Eine weitere Gusshütte stand dort, wo heute die Mariahilfkirche steht, im ‚Kerschental‘ am Höttinger Bach. In der sogenannten ‚Seelos-Gußhütte‘ goss der besagte Hans Seelos Geschütze mit klingenden Namen, ‚Wunderlich Dirn‘ oder ‚Weckauf von Österreich‘. Von Maximilian ursprünglich als Glockengießer verpflichtet wurde er auch beauftragt, zwei Glocken für die Pfarrkirche Bozen mit 14 und sechs Zentnern zu gießen. Also kein ‚Lercherl’. Er tat das damals logischerweise vor Ort, also in unmittelbarer Nähe zur Kirche. Die Glocken konnten so nach Guss und Politur direkt in den Glockenturm aufgezogen werden.

DIE SCHWARZEN MANDER – EINE MEISTERLEISTUNG

Die landesfürstliche Gusshütte in der Mühlau war vielleicht die Wichtigste im Zeitraum von 1500 bis 1650. 1511 wurden hier mit dem Guss von insgesamt 24 der großen Bronze-Statuen begonnen, die heute das Grabmal Maximilians in der Hofkirche zieren. Auch die „Vier Tugenden“ in den oberen Ecken des Kenotaphs und den berühmten ‚Knieenden Kaiser‘, der den Deckel des Kenotaphs ziert entstanden hier. 

KRIEG BEDEUTET TOD DER GLOCKEN

Viele der historischen Tiroler Glocken sind dem Ersten Weltkrieg zum Opfer gefallen. Sie wurden ob ihres Bronzegehaltes für Kriegszwecke gebraucht und deshalb in großer Zahl eingeschmolzen. Ursprünglich ‚freiwillig‘ abgeliefert wurden sie dann aber meist zwangsweise eingezogen. In der wunderbaren Website “Innsbruck erinnert sich” sind die Glocken abgebildet, die damals für einen absolut sinnlosen Krieg eingeschmolzen worden waren. Die Rede ist von einem ‘Glockenfriedhof’.

So mussten 1917/18 alle Glocken abgeliefert werden, die größer als 25 Zentimeter waren. Die Ausnahme bildeten Glocken von musealem Wert. So wurden vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg wieder viele Glocken gegossen, mit der Glockengießerei Grassmayr steht heute noch eine exzellente Gusshütte zur Verfügung.

Was mich in Innsbruck immer wieder fasziniert ist weniger das neuzeitliche ‘Glockenspiel’, sondern das Geläute der Stadtpfarrkirche St. Jakob. In einem Youtube-Video wird die ganze Bandbreite dieser, allesamt von der Glocikengießerei Grassmayr gefertigten Glocken vorgestellt.

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