Peterstag in Götzens

Der schönste Tag des Jahres im Feriendorf Götzens

Kirchenpatrozinium. „Das ist ein schwieriges Wort“, dachte ich als Sechsjährige und vermied eben diesen Begriff tunlichst in sämtlichen Schulaufsätzen. Nichtsdestoweniger war mir die Bedeutung dieses Wortes voll und ganz bewusst: in meinem Heimatdorf Götzens ist der 29. Juni, Tag der Kirchenpatronen Petrus und Paulus, der höchste Feiertag des Jahres. Seit ich denken bzw. laufen kann, feiere ich mit. An keinem anderen Tag ist Dorfgemeinschaft, Tradition und Wetter wichtiger. Oder schöner.

Jede Tiroler Gemeinde feiert seine(n) Kirchenpatron(en), das ist Tradition und das geht so: Der Tag beginnt früh, denn bereits um 5 Uhr werden Kanonen abgefeuert, um das Fest zu begrüßen. Das machen wir gelegentlich auch bei Hochzeiten und dieser morgendliche Lärm sorgt regelmäßig für Verstimmung bei Langschläfern. Bis um kurz vor 9 Uhr ist dann das ganze Dorf auf den Beinen.

Der 29. Juni ist in Götzens, einer 4.000-Seelen-Gemeinde am westlichen Mittelgebirge über Innsbruck, heilig, aber kein offizieller Feiertag. Deshalb nimmt sich der arbeitende Teil der Bevölkerung da grundsätzlich frei. Auch ich, früher rechtsschreibsichere Einserschülerin, habe eigentlich nie, am Peterstag aber immer die Schule geschwänzt. Und seit ich Urlaubsanträge ausfüllen kann, mache ich das schon automatisch.

Die Festtagskleidung

Alle werfen sich in Schale – da macht der frühe Weckruf durchaus Sinn – und während ich im Volksschulalter in weißem Glitzer-Erstkommunionskleid, später in von Oma genähten Dirndln oder als Ministrantin mit dabei war, ziehe ich heute eine Tiroler Tracht an (im Partnerlook mit meiner Mama), was durchaus zeitaufwendig ist. Mein Vater schmeißt sich derweil in die Schützentracht und meine Brüder in die Festtagsuniform der Freiwilligen Feuerwehr, denn jedem Verein kommt an diesem Tag eine wichtige Bedeutung zu. Die Musikkapelle spielt zum Einzug in die Kirche auf, die Mitglieder der Feuerwehr regeln in der Zwischenzeit den Verkehr und sperren die Straßen ab.

Prozession Kirchenpatrozinium Götzens

Seltenheitswert und Prädikat „sehenswert“: gesammelte und konzentrierte Schönheit in Tracht. (Foto: Bruno Rainer, 2012)

Kirchenpatrozinium – nicht nur ein schwieriges Wort

Die wunderschöne Rokokokirche, seit 1996 auch Wallfahrtskirche in Gedenken an den seligen Pfarrer Otto Neururer, ist festlich geschmückt und bis zum letzten Platz proppenvoll. Ich persönlich bin ja kein großer Fan des Rokokos, aber die Götzner Kirche kann was: Als ein Werk des Baumeisters Franz Singer, Erbauer mehrerer Gotteshäuser im Tirol des 18. Jahrhunderts, gilt sie als seine schönste Kirche – nicht zuletzt, weil er selbst Götzner war. Die Deckenfresken schildern das Leben der Kirchenpatrone und sind besonders sehenswert, gemalt von Matthäus Günther, der auch in der Wiltener Basilika gewirkt hat. An den Seiten des Kirchenschiffes sieht man Apostelfiguren aus der viel älteren Theresienkapelle. Natürlich gibt es noch weitere Details, wie zum Beispiel die goldene Märtyrerurne im Altar oder das große Missionskreuz, zu entdecken. Am Peterstag werden außerdem – wie sonst nur zu Fronleichnam – zahlreiche andere Schätze ausgegraben. Dazu zählen die „Ferggelen“, große, kunstvoll gearbeitete Holzfiguren, die bei der späteren Prozession durchs Dorf getragen werden, ebenso wie wunderschöne Pölster und die mehrere Meter hohen Fahnen.

Prozession Kirchenpatrozinium Götzens

Auch die Jugend wirkt engagiert mit: hier junge Polsterträgerinnen. (Foto: Bruno Rainer, 2012)

Der Gottesdienst ist sehr festlich, von mehreren Priestern gestaltet und vom Kirchenchor samt Orgel musikalisch umrahmt. Doch nach der Messe kommt erst der besondere Teil: die große Prozession durch den Ort. Deshalb ist das Wetter an diesem Tag auch so wichtig und während es in meinen Kindheitserinnerungen immer sonnig und warm war, konnte es in den letzten Jahren auch mal kalt oder regnerisch sein, was wirklich dramatisch wird, wenn dann keine Prozession stattfinden kann. Man sollte daher Petrus, der irgendwie wohl auch fürs Wetter zuständig zu sein scheint, um beständiges solches bitten.

Bei den Prozessionen wird die Monstranz aus dem Hochaltar genommen und durch das Dorf getragen. Der Priester trägt dabei einen goldbestickten, schweren Mantel und geht unter einem Baldachin, der von vier Männern getragen wird. Vor und hinter diesem Kern der Prozession stellen sich die verschiedenen Gruppen von Volksschulkindern, Frauen und Männern (bitte getrennt!), Kirchenchor, die Träger der Fahnen, Figuren, Pölster sowie Kameradschaftsbund, Trachtenverein, Schützenkompanie und Musikkapelle auf. Die Reihenfolge der genannten Gruppen ist streng vorgegeben, nur kann ich sie mir leider nicht merken. Die Musikkapelle marschiert wohl eher weiter vorne, wir Frauen recht weit hinten, doch das sind reine Vermutungen. Glücklicherweise wissen nicht nur die Dorfältesten Bescheid und man reiht sich vertrauensvoll einfach passend in die Zweierreihen ein.

Prozession Kirchenpatrozinium Götzens

Kern der Prozession: Pfarrer mit Monstranz unter Baldachin. (Foto: Bruno Rainer, 2013)

In dieser Zeit nach dem Gottesdienst und vor der Aufstellung für die Prozession – es dauert ein wenig, bis sich ein ganzes Dorf in Bewegung setzt – hat man schon viele bekannte Gesichter, Schulfreunde, Großtanten und die schönste Lederhose entdeckt, den einen oder anderen Schwatzer gehalten und registriert, wer dieses Mal die Ferggelen und Fahnen trägt. Man kennt sich ja am Land!

Prozession Kirchenpatrozinium Götzens

Kraftanstrengungen der Fahnenträger bei Wind und Wetter. (Fotos: Bruno Rainer, 2012)

Langsam gelangt man vom Kirchenportal auf den Kirchplatz und dort gelegentlich in ein Blitzlichtgewitter der Touristen aus Nah und Fern, die diesen Zirkus fotografisch festhalten. Die gesamte Götzner Dorfbevölkerung ist auf Urlaubsfotos in aller Welt zu finden, davon bin ich überzeugt.

Kirchenpatrozinium Götzens

Einer der wunderschönen Bauernaltäre (links). Wallfahrtskirche Götzens (rechts). (Fotos: Bruno Rainer, 2009, 2012)

Im Takt der gespielten Marschmusik setzt sich der Tross schließlich in Bewegung und geht betend durchs Dorf, dessen Straßen mit Tiroler Flaggen geschmückt sind. (Die rot-weiße Fahne hängt übrigens mit der roten Seite zur Hauswand richtig.) Auf dem Prozessionsweg gibt es drei Stationen, eine vierte und letzte am Kirchplatz. An diesen Plätzen stehen wunderschöne Bauernaltäre mit alten Ikonen, Heiligenbildern, Kruzifixen, aufwendigem Schmuck, vielen Blumen und jungen Bäumen. Hier wird jeweils angehalten, ein Evangelium gesungen und das Haus samt Bewohnern sowie das ganze Dorf gesegnet. Der Kirchenchor singt. Die Schützen geben einen Salutschuss ab, was eine etwas heikle Sache ist, denn dieser Schuss ist nur dann gut, wenn das Timing passt. Und dass eine ganze Kompanie zeitgleich bei „Hoch an!“ abdrückt, ist eine Kunst. Ich erschrecke regelmäßig, die Kinder halten sich die Ohren zu, die Touristen denken sich das Ihrige über das wilde Bergvolk. Und weiter geht’s zum nächsten Altar. Je nach Wetter ist man beim dritten durchgeschwitzt oder durchgefroren, meistens auch hungrig. Dann marschiert man zurück zum Kirchplatz, wo die Prozession beendet und die Monstranz in den Tabernakel der Kirche zurückgestellt wird.

Prozession Kirchenpatrozinium Götzens

Aufmarschieren der Vereine (links). Hochkonzentrierte Schützen beim Laden der Gewehre (rechts). (Fotos: Bruno Rainer, 2012)

Das Fest danach

Jetzt trifft man all jene, die man vor der Prozession noch nicht begrüßt hat, und die meisten schlagen denselben Weg ein: Richtung Musikpavillon und Gemeindezentrum nämlich, wo fürs leibliche Wohl, Musik und Volksfeststimmung gesorgt wird.

Um 14 Uhr geht’s nochmal für eine Andacht in die Kirche, wobei sich dazu nur wenige Fleißige und die traditionell verpflichteten Vereine und Ministranten aufraffen können, die meisten Leute bleiben auf der Bierbank beim Festl sitzen. Die Schützen schießen noch ein letztes Mal und zurück beim Pavillon spielt die Musikkapelle den Nachmittag über ein Platzkonzert. Da das ganze Dorf versammelt ist, kann man hier wunderbar politische Auseinandersetzungen, verschiedene Generationen nebeneinander, mehr und weniger talentierte Einlagen auf der Tanzfläche, diverse Ereignisse, die demnächst für ausgiebigen Dorfklatsch sorgen werden, und eine Gemeinschaft, die sich sonst oft so gar nicht einig ist, an den wichtigen Tagen aber trotzdem zusammenhält, beobachten.

In den letzten 20 Jahren war das immer so und ich hege die starke Vermutung, dass der Götzner Peterstag nie wirklich anders war. In einer Zeit, in der sich alles immer schneller bewegt und verändert, sind solche tiefverwurzelten Traditionen selten und deshalb vielleicht wertvoller denn je.

PS.: Auch wenn am Peterstag die Götzner Dorfgemeinschaft ganz großgeschrieben wird, gilt die Tiroler Gastfreundschaft natürlich trotzdem und besonders an diesem Tag. Gäste sind sehr willkommen! Viele Einheimische wählen ein Trachtenoutfit, vor allem auch deshalb, weil Gelegenheiten dafür eher rar sind, aber moderne und legere Kleidung ist auch in Ordnung.

Impressionen und Informationen in ausgeprägtem Tiroler Dialekt zu Götzens und seinem Kirchenpatrozinium finden sich in diesem Video: [youtube id=“dPlVuxsv5R4″ align=“left“ mode=“normal“ autoplay=“no“ maxwidth=“1000px“ parameters=“https://www.youtube.com/watch?v=dPlVuxsv5R4″]

Weitere Informationen:

  • auf www.innsbruck.info/goetzens oder im Tourismusbüro Götzens, Burgstraße 7, Tel. +43 5234 / 32 236
  • Hochfest zu Peter und Paul, 29. Juni 2015, 8:45 Uhr, Wallfahrtskirche Götzens
  • Mit dem Postbus Linie 4162 ab Innsbruck Hauptbahnhof nach Götzens: www.postbus.at
  • Unterkünfte in Götzens
  • Informationen zu Kirchenpatroziniumsfeiern und Prozessionen in allen Feriendörfern Innsbrucks gibt’s in den örtlichen Tourismusbüros

Besten Dank an Bruno Rainer für die schönen Fotos, mehr auf www.b-rainer.at.

 

Ähnliche Artikel