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Auf den ersten Blick ist die Idee zu gut um wahr zu sein: Da treffen sich wildfremde Menschen in einem Café. Stellen sich gegenseitig vor, bestellen Getränke. Legen Smartphone, Laptop oder anderen digitalen Plunder zur Seite. Und machen es sich mit gedruckten Büchern in der Hand gemütlich. Dann beginnen sie zu lesen. Für eine Stunde lang herrscht Stille im Raum. Ich bin Zeuge eines ersten Meetings eines ganz speziellen Clubs.

Wider die digitale Ablenkung

„Zufälle gibt’s nicht“, heißt es. Schön langsam glaub ich auch daran. Als ich kürzlich auf den Facebook-Seiten nach halbwegs interessanten Einträgen suchte fiel mir eine Veranstaltungseinladung auf: Jan 24 – First „Silent Book Club“, Meeting, Innsbruck. Um 18 Uhr im Rififi in der Schöpfstraße 14. Ohne lange zu überlegen beschloss ich: Das klang gut, da musste ich dabei sein.

Denn immer öfter stelle ich in letzter Zeit erschrocken fest, kaum mehr Bücher zu lesen. Stattdessen stöbere ich im Internet herum, lese viel Blöd- und noch mehr Schwachsinn in den Social-Medien oder führe mir Youtube-Filme zu Gemüte. Und das, obwohl ich wöchentlich mindestens vier Mal in der Innsbrucker Stadtbibliothek bin um dort meine Blogbeiträge zu recherchieren und zu schreiben. Gut nur, dass ich Hobbies in der analogen Welt habe, wie die ‚Schule der Alm‘, Pilgern oder eben Bloggen. Aber das Lesen schien unter diese Räder zu geraten zu sein. Die Einladung zum ‚Silent Book Club‘ kam da gerade rechtzeitig.

„Silent Book“ – eine Revolte der Introvertierten, der Leisen?

„A Silent Book Club might save your life“ meinte Guinevere de la Mare nachdem sie mit anderen 2012 in San Francisco den ersten Silent-Book-Club gründete. Die Mutter eines damals zweijährigen Kindes war immer schon eine begeisterte Leserin. Das Kind ließ ungestörtes Lesen allerdings kaum zu. Also überantwortete sie es eines schönen Tages erstmals ihrem Gatten und begann in einem nahe gelegenen französischen Bistro eines jener Bücher zu lesen, die in ihrer Wohnung bereits Staub angesetzt hatten. An der Theke sitzend, mit einem Glas Rotwein vor sich. Heute gesteht sie selbst, dass es anfänglich eine Art Flucht handelte. Sie wiederholte ihre Lesesitzungen im Bistro, nach und nach gesellten sich Freunde dazu. Daraus ist schlussendlich eine weltweite Bewegung geworden die jetzt auch in Innsbruck angekommen ist.

Andere nennen die „Silent Book Clubs“ bereits eine Art konkrete „Revolution der Introvertierten“. Wie etwa Susan Cain, eine Absolventin der Harvard Law School. Sie beschrieb 2012 in ihrem Bestseller Quiet: The Power of Introverts in a World That Can’t Stop Talking die Tatsache, dass introvertierte Menschen in der modernen westlichen Kultur gering geschätzt und deren Eigenschaften und Fähigkeiten unterschätzt würden. Sie gründete die „Quiet Revolution“ um Wissen, Kraft und Können introvertierter Menschen für die Gesellschaft zugänglich zu machen.  „Denn“, so schreibt sie, es sei „das Erstaunlichste zu sehen, wie introvertierte Menschen die Art und Weise, wie wir die Gesellschaft organisieren, buchstäblich neu gestaltet haben.“ Als Beispiel führt sie den Silent Book Club an. Ein Club, der auch introvertierten Menschen die Möglichkeit zum sozialen Austausch gibt? Vorerst kann ich ihre These noch nicht verifizieren. Aber die ersten Ansätze zeigen eindeutig in diese Richtung.

Das Innsbruck „Chapter“ des Silent Book Club liest im Rififi

Silent Book Club Innsbruck

Silent Book Innsbruck

An Freitag der ersten Clubsitzung war ich schon etwas früher im Café Rififi in der Schöpfstraße. Zu interessant schien mir die Tatsache, dass ausgerechnet in Innsbruck eine neue Gruppe im Entstehen ist. Also wollte ich von deren Initiatorin Camilla Vai wissen, was sie bewogen hatte, ein Innsbrucker „Chapter“ von „Silent Books“ zu gründen.

„Ganz einfach“, meint die 24-jährige Studentin der ‚Genderkultur und des Sozialen Wandels‘, „ich wollte Leute kennen lernen, die mein Interesse am Lesen teilen.“ Zuhause zu lesen sei zwar angenehm,“aber in Gesellschaft Gleichgesinnter ist es sicher viel interessanter“.

Camilla Vai, Silent Book Club

Camilla Vai brachte den Silent Book Club nach Innsbruck.

 

Buch-Enthusiasten sind zweifellos intelligente Menschen

Camillas Wahl des „Sitzungsortes“ ist perfekt. Im ‚Hinterzimmer’ des Rififi stehen gemütliche Polsterstühle bereit. Die Einrichtung erinnert eher an ein Wohnzimmer als an ein Café. Nach und nach trudeln weitere Buch-Enthusiasten ein. Insgesamt neun Personen sind es am allerersten Clubabend. Ein unerwarteter Erfolg.

Nun sind wir alle gespannt wie der weitere Abend abläuft. Nachdem alle ihre Getränke erhalten haben erklärt Camilla die weitere Vorgangsweise. Die Devise: Nichts muss, alles kann. Im Gegensatz zu anderen Buch- und Leseklubs lesen die Teilnehmer nicht alle dasselbe Buch innerhalb einer bestimmten Zeit, um anschließend darüber zu diskutieren. Beim Silent Book Club lesen die Mitglieder nur das, was sie bevorzugen. Kein Stress, Entspannung und vor allem Ruhe sind angesagt. 

 

 

Nach der Vorstellungsrunde – die Teilnehmer stellen sich selbst und dann kurz das Buch vor, in dem sie hier zu lesen beabsichtigen. Dann liest die Gruppe in einer selbst auferlegten Stille eine Stunde lang. Genau daher stammt auch der Name: Silent Book Club. Den Ablauf der Zeit verkündet dann wiederum Camilla. Jetzt können die Clubmitglieder, ganz nach Belieben, entweder weiter lesen oder aber in eine Unterhaltung einsteigen. Und die Gruppe des ersten Clubabends macht genau das.

Es ist eine andere Art von Kommunikation

Für mich war es jedenfalls ein Hochgenuss, den Diskussionen der Clubmitglieder nach dem ’stillen Lesen‘ zuzuhören. Da wurden hochinteressante Themen angeschnitten, wie zum Beispiel die Blockchain-Technologie. Von ihr hatte ich zwar gehört aber keine Ahnung, um was es dabei geht. Und da im Silent Book Club wahre Spezialisten saßen, weiß ich jetzt endlich was diese Technologie dem Grunde nach ist. Und das bestätigt meine Lebenserfahrung: Buch-Enthusiasten sind meist sehr intelligente Menschen. 

Silent Book Club Innsbruck

Eine andere Art der Kommunikation. Analog, ohne Smartphone.

 

Ja, und noch eine Erkennntnis brachte die erste von hoffentlich noch vielen Clubsitzungen für mich: Solche Clubs sind ein gänzlich anderer Einstieg in eine Kommunikation. Wenn nur ein Clubmitglied beginnt, über Inhalte eines Buches zu erzählen findet die Unterhaltung auf einer wahrlich erhöhten Ebene statt.

Ich habe mich in den letzten Monaten selten so wohl gefühlt wie an diesem ersten Silent Book Clubabend. Den ich mit einigen Gin-Tonics und weiteren wunderbar-interessanten Gesprächen ausklingen ließ.

Und bin natürlich auch das nächste Mal dabei. Und das ausgerechnet an einem Tag, der nur alle vier Jahre im Kalender auftaucht. Also: am 29. Februar um 18:00 Uhr im Rififi in der Schöpfstraße. 

Links und Termine

Nächstes Meeting: 29. Februar um 18:00 Uhr im Rififi in der Innsbrucker Schöpfstraße

Website der Silent Book Clubs

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