Innsbruck Maria Theresien Straße

Osttiroler Akademikern eilt ein ganz besonderer Ruf voraus. Sie sind meist in den großen Städten Österreichs anzutreffen, pflegen untereinander sehr enge Kontakte und machen sich innerhalb kürzester Zeit fachlich unentbehrlich. Einen dieser speziellen Tiroler durfte ich kürzlich kennen lernen.

Josef Schönegger, Autor des Buches Innsbruck im historischen Kartenbild

Josef Schönegger: ein Osttiroler, der in Innsbruck Karriere gemacht hat. ©Werner Kräutler

Bereits vor Corona war mir ein großformatiges Buch aufgefallen: Innsbruck im historischen Kartenbild. Der Autor: Josef Schönegger. Ein nicht alltäglicher Titel eines ganz und gar nicht alltäglichen Werkes. Wie sich herausstellen sollte, ist der 77-jährige gebürtige Lienzer einer jener hoch gebildeten Menschen, mit denen eine Unterhaltung spannend und immer lehrreich ist. Er gehört mit Sicherheit zu jener entspannten Personengruppe, für die „Lernen und Genießen das Geheimnis eines erfüllten Lebens ist“. So trefflich hat der deutsche Philosoph Richard David Precht wahres „Savoir-vivre“ in einem seiner Werke ausgedrückt.

Burgklechner, Tirolische Tafeln, 1611, Ausschnitt Innsbruck und Umgebung

Am Beginn der Kartographie wurden Karten noch im Holzschnitt ausgeführt. Wie hier die Tirolische Tafeln“ von Mathias Burgklechner um 1611. Ausschnitt von Innsbruck und Umgebung. ©Tiroler Landesarchiv

Panorama von Innsbruck um 1780

Der Kupferstich „Die Haupt- und Residenzstadt Innsbruck in Tyrol“ zeigt Innsbruck um 1780. Bemerkenswert: Das kleine Gebäude links der Innbrücke ist die Fleischbank für die landesfürstlichen Beamten. Es lag direkt am Inn, damit die Abfälle ins Wasser geschmissen werden konnten. ©Tiroler Landesarchiv

Kartographie – eine Leidenschaft

Studien der Mathematik, Physik, Astronomie und Psychologie an der Uni Innsbruck brachten Josef Schönegger zu Ende der 1960er-Jahre in Kontakt mit den allerersten Computern. Die Rechner hatten, was Form, Leistung und Größe anlangt, mit den heutigen lediglich den Namen gemein.

Der Mann, der TIRIS programmierte

„Wir mussten noch mit Lochstreifen programmieren“, erzählt er, als er begann, erste statistische Modelle und Datenbanken für die Tiroler Raumordnung zu programmieren. Bereits da blitzte seine spätere Leidenschaft durch: die Entwicklung von Kartographiesystemen, die auf teils riesigen Datenbanken basieren. Das sollte zu „seiner“ Spezialität werden. Vielen von uns ist das Tiroler System zumindest namentlich bekannt, für das Schönegger 1995 hauptverantwortlich die Programmierung besorgte: das Tiroler Rauminformationssystem TIRIS. Eine nachgerade geniale Datenbank für viele Verwendungsmöglichkeiten, vor allem für die Raumordnung. Interessant zu wissen: Auch die Karten von Innsbruck Tourismus – Online sowie Print – haben dieses System als Grundlage. 

Karte von Innsbruck aus dem Jahre 1813

Ähnelt noch stark einem Gemälde. Theodor Macharths Grund-Plan der Baierischen Haupt- und Residenz-Stadt Innsbruck des Inn-Kreises mit ihren Burgfrieden 1813. Maßstab 1:1.100. Eine Neuauflage des Plans von J. Dulle aus 1802. ©Tiroler Landesarchiv

'Der Markt am Innrain' um 1840

J. Teplÿ: Der Markt am Innrain um 1840. ©Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum

Als er elf Jahre später TIRIS um den Bereich „Historische Kartenwerke Tirols“ ergänzte, ist genau das zur Initialzündung seiner erklärten Lieblingsbeschäftigung geworden: Auffinden, Sammeln und Erforschen historischer Kartenwerke von Tirol. Vor fünf Jahren begann er schließlich mit seiner Studie zu historischen Plänen und Karten von Innsbruck, die drei Jahre später auf Wunsch von DDr. Lukas Morscher, dem Chef des Innsbrucker Stadtarchivs, in der Veröffentlichung des Buches Innsbruck im historischen Kartenbild“ mündete.

Innsbruck und Hötting im Franziszeischen Kataster von 1856

Innsbruck und Hötting im Franziszeischen Kataster von 1856. ©Werner Kräutler

Eine Wohnung im einstigen Edelsitz

Als Schönegger vor einigen Jahren eine historische Innsbruck-Karte im Internet fand, hat er sie sofort heruntergeladen. Unter anderem deshalb, weil auf dieser Karte auch Hötting berücksichtigt war – sein Wohnort. Bei genauerer Betrachtung fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Sie ähnelte bis in Details jenen historischen „Innstromkarten“, die er bereits ausführlich studiert hatte.

„Das war ein für mich sagenhaftes Aha-Erlebnis“, erzählt er mir, während wir in seinem Bibliothekszimmer im Turm des einstigen Edelsitzes „Lichtenthurn“ plaudern. Es ist übrigens jenes Haus, an dem ich seit Jahren ehrfurchtsvoll vorbeigehe und jedes Mal meinen Fotoapparat zücke. Ähnelt es doch einem romantischen Schlösschen, dessen Westseite nahezu vollständig zugewachsen ist.

Schneeburggasse in Hötting

Dieses Haus in der Schneeburggasse war früher ein Edelsitz. ©Werner Kräutler

Historische Karten dokumentieren die Stadtgeschichte

Wer nun gedacht hatte, das voluminöse Œuvre sei nur etwas für Kenner der Materie, täuscht sich. Beim ersten Hinschauen vielleicht. Bei näherer Betrachtung offenbart sich die Sammlung uralter Innsbrucker Kartenwerke als reine Stadtgeschichte. Und das ist es, was Schönegger vermittelt. Er zeigt die Unterschiede in den Kartendetails, die Entwicklung von Straßen, Vierteln oder ganzen Innsbrucker Stadtteilen. Ich habe die Karten grafisch aufeinander gelegt, um zu zeigen, wie sich eine Straße in den Jahren und Jahrzehnten entwickelt hat. Welche Häuser neu gebaut wurden, welche verschwunden sind.“ Und plötzlich wurde aus der Ansammlung von historischen Karten eine Art Stadtgeschichte. Wie auch die Beispiele der Sill-Verbauung zeigen.

Sillverlauf in Innsbruck um 1804

Karten, die auch Geschichte schreiben: Sillverlauf in Innsbruck um 1804. ©Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum

Nach der Sillregulierung in Innsbruck

Die Sill nach der Regulierung. Karte um 1835. ©Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum

Alois Negrelli praktizierte in Innsbruck

Richtiggehend spannend wird die Kartografie im 19. Jahrhundert, als sich ein später weltberühmter Ingenieur der k.u.k.-Monarchie seine ersten kartografischen Sporen in Innsbruck verdiente: Alois Negrelli. Der nachmalige Planer der Rheinregulierung in Vorarlberg und des Suezkanals studierte in Innsbruck und betätigte sich als Praktikant in der k. k. Landesbaudirektion des damaligen Guberniums für Tirol und Vorarlberg.

Dass er heute auch als Eisenbahnpionier bezeichnet wird, geht auf eben diese Tätigkeit zurück. Nach der Anfertigung zahlreicher Kartenwerke wurde er von einem privaten Verein beauftragt, eine Eisenbahntrasse und einen Bahnhof für eine Bahnverbindung zwischen Kufstein und Innsbruck zu planen.

Negrelli, Bahnhof beim Hofgarten

Alois Negrelli – er plante später den Suez-Kanal – platzierte den Hauptbahnhof Innsbruck um 1838 nördlich des Hofgartens. ©Tiroler Landesarchiv

Josef Schönegger hat im Zuge der Aufarbeitung von Karten aus den Jahren 1822-1826 die Kopie einer einstigen Innstromkarte gefunden. Auf dieser hatte Negrelli den geplanten Bahnhof eingetragen: Er befand sich in diesem ersten Entwurf nördlich des Hofgartens. Das alles hat er gratis gemacht, sagt Schönegger, weil er dem Kaiser und der Monarchie so dankbar war, dass er als einfacher Bauernbub studieren durfte. Obwohl der Bahnhof später an seinem heutigen Platz geplant und gebaut worden ist, tut das seiner Leistung keinerlei Abbruch.

Armani, 'Innsbruck'.

Armani, ‚Innsbruck‘. Der Bau der Eisenbahn leitete eine neue Zeit in Innsbruck ein. ©Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum

Zachaniewicz: Bahnhof Innsbruck um 1859

Um 1859 stand der Innsbrucker Bahnhof allein auf weiter Flur. Die gezeichnete Straße ist die Verbindung vom heutigen Boznerplatz zum Hauptbahnhof. ©Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum

Das im Universitätsverlag Wagner erschienene Werk von Josef Schönegger besticht nicht nur durch eine akkurate Darstellung der historischen Karten der Landeshauptstadt. Die mit historischen Holzschnitten und Kupferstichen ergänzten Ausführungen geben einen lebhaften Eindruck vom spätmittelalterlichen Leben in Innsbruck am Übergang zur Neuzeit. Vor allem sind sie ein Maßstab der Entwicklung unserer Stadt. Deren Ausdehnung zu den Anfängen professioneller Kartografie gerade einmal bis zur Triumphpforte oder bis zur heutigen Markthalle reichte und zudem vollständig von landwirtschaftlich genützten Feldern umringt war.

Diese erste umfassende Arbeit zur Innsbrucker Stadtentwicklung ist in ihrem Detailreichtum einzigartig in Österreich. Was mich beim Großteil der handgezeichneten Kartenwerke sehr beeindruckt: die künstlerische Form ihrer Darstellung. Eigentlich sind es Kunstwerke, denen Josef Schönegger ein gedrucktes Denkmal setzt. 

Josef Schönegger, Innsbruck im historischen Kartenbild

Universitätvserlag Wagner

Innsbruck im historischen Kartenbild von den Anfängen bis 1904
Veröffentlichungen des Innsbrucker Stadtarchivs Neue Folge Band 60
Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs Band 21
zahlreiche Farbfotos, 412 Seiten. ISBN-Nr.978-3-7030-0972-3
Universitätsverlag Wagner 2018. € 39,90

Bezugsquelle: https://www.innsbruck.gv.at/page.cfm?vpath=bildung–kultur/stadtmuseen–stadtgalerie/shop&genericpageid=33367

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