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Ich stehe im Dirndl in der Nordkettenbahn. Das erregt Aufsehen. Einerseits bei der Seniorengruppe (Na sowas, wo hams denn des schöne Dirndl her?) und andererseits auch bei der indischen Großfamilie in ihren langen Saris und Flipflops (Hello, hello! You wanna take a picture with me?). Nur der Seilbahnenwart zuckt nicht mit der Wimper, er ist sein buntes Publikum sichtlich gewohnt.

Ich trage heute also ein Dirndl mit Hut und Wanderschuhen und das hat einen ganz speziellen Grund. Heute begebe ich mich auf die Spuren von zwei Personen: der echten Geierwally und Romanvorlage – der Anna Stainer-Knittel (1841-1915) und der Romanfigur Geierwally (Roman von Wilhelmine von Hillern, erschienen 1875, mehrfach verfilmt). 

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Die echte Geierwally

Anna Knittel wurde 1841 in Ebigenalp im Lechtal in Tirol geboren und hatte von klein auf einen Tiroler Sturschädel. „Lern du schön spinnen und gutes Brot backen, das gehört sich für die Lechtaler Weibersleut, denn zu etwas anderem kommst doch nit“ rät ihr die Mutter. Weit gefehlt, denn das Annerl – oder auch Nanno, wie man sie rief – brachte es zu sehr viel. Mit 18 Jahren besuchte sie als eine der ersten Studentinnen die Kunstakademie in München, eine große Ehre zu damaliger Zeit für die junge und sehr begabte Künstlerin. Ihr Schwerpunkt lag während der Ausbildung in der Portraitmalerei. Ihre Kenntnisse in Landschafts- und Blumenmalerei erarbeitete sie sich später selbst.

An der Akademie studierte sie fünf Jahre, bis die Geldmittel zur Neige gingen und sie gezwungen war heimzukehren. In Innsbruck lernte sie dann mit 27 Jahren den Gipsformer Engelbert Stainer kennen und lieben. Die beiden heirateten, bekamen mehrere Kinder und Anna eröffnete eine „Zeichen- und Malschule für Damen“ in der Stadt. Mit zunehmender Größe der Familie wechselten sie öfters den Wohnort in Innsbruck. Auf der Suche nach einer genauen Adresse, kam ich mit Nina Stainer in Kontakt, die erst kürzlich in einem Buch die Geschichte ihrer Ur-ur-ur-Oma aufgearbeitet hat.

Nina Stainer erzählt

„Das letzte Ladenlokal von Anna und Engelberg war noch lange in Familienhand und wurde bis in die 1980er Jahre weitergeführt. 1884 zogen Anna und Engelbert mit dem Laden ins Palais Trapp gegenüber vom Landhaus in der Maria Theresien-Straße. Der Laden wurde von ihrem Sohn weitergeführt. Heute ist dort leider nur mehr das Lokal von „Benetton“ zu bewundern, am Foto sieht man aber noch sehr gut, wie groß das Lokal gewesen ist.“ 

Foto Laden Leo Stainer in der Maria Theresienstraße. Foto: Nina Stainer

Der Laden Leo Stainer in der Maria Theresienstraße. Foto: Nina Stainer

Da Annas Bilder sich nicht immer so gut verkauften, bemalte sie auch Geschirr mit Blumenmotiven – bereits damals ein beliebtes Souvenir aus Tirol. Im Laufe ihres Lebens hat sie viele Blumenzeichnungen geschaffen, aber auch Portraits – 130 sollen es gewesen sein, darunter auch der Kaiser Franz Joseph.

Nina Stainer über das besagte Portrait: Dieses Bild entstand ganz „last minute“ zum Besuch des Kaisers im Februar 1871 in Innsbruck. Anna erhielt den Auftrag nur wenige Tage vor dem Empfang und beschreibt in ihren Aufzeichnungen, dass sie den Hintergrund mehr mit den Händen als mit dem Pinsel malt und das Gemälde noch feucht aufgehängt wurde. Leider ist nicht bekannt, wo dieses Gemälde verblieben ist.“ 

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Die Legende

Während ihrer Ausbildung in München genoß das Mädchen vom Land ihre Sommerferien in vollen Zügen und half mit wo es ging. Besonderen Mut bewies sie beim Klettern und beim Abseilen zu Adlernestern, deren Eier man damals soweit möglich stahl um die kleinen Zicklein und Lämmchen im Tal zu beschützen. Ein Schriftsteller, Ludwig Steub, bekam damals Wind von der wilden Geschichte und Anna Knittel wurde zum ersten Mal Vorbild einer Geschichte (Das Annele im Adlerhorst 1863) aus der später der Roman von Wilhelmine von Hillern entstand. Anna selbst zeigte sich damals wenig beeindruckt und war eher beleidigt, als sie in der Leipziger Illustrierten recht plump gezeichnet wurde.

Der Roman gefiel den Lesern und ging um die Welt. Bereits 1921 wurde er verfilmt. Eine der berühmtesten Verfilmungen stammt aus 1957 mit der Berliner Schauspielerin Barbara Rütting in der Hauptrolle. Ein guter Teil des Films wurde am Hafelekar auf über 2.000m über Innsbruck gedreht. So gelangte die kleine Hütte zu ihrer Berühmtheit und dem Namen Geierwally Hütte„. Problematisch waren die Dreharbeiten mit dem Gänsegeier namens Anka, der die Schauspielerin mehrmals derart biss, dass ihr das Blut übers Gesicht lief.

Dabei räumte die echte Geierwally bei ihren mutigen Abenteuern vielmehr die Nester von Adlern aus. Damals hießen im Volksmund einfach alle Raubvögel Geier, auch der damals im Lechtal noch sehr stark vertretene Adler. Anna Knittel holte den jungen Vogel aus dem Nest und nahm ihn mit – ihr Vater zog die Tiere groß und verkaufte sie an Falkner und Tiergärten.

Heutzutage muss man schon etwas Glück haben um am Hafelekar einen Steinadler zu erspähen. Im gesamten Karwendel zählt man zur Zeit 21 Brutpaare, 14 davon auf der Tiroler Seite.

Das Hafelekar von der Hütte aus.

Das Hafelekar von der Hütte aus.

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Ein Ausflug zur neuen Geierwally Hütte

Aus der Stadt mit der Hungerburgbahn, der Nordkettenbahn zuerst zur Seegrube, dann mit Umsteigen zum Hafelekar. Von hier sind es circa zehn Minuten Fußweg zur kleinen Hütte, die seit Juli 2016 neu renoviert als Fotomotiv dient. Im Lauf der zwei Stunden, die ich hier verbringe bekomme ich einige Beobachtungen mit.

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Im Interview mit dem Amt für Land- und Forstwirtschaft in Innsbruck habe ich bereits einiges über die Hütte, die im Besitz der Stadt Innsbruck ist, erfahren. „Der Bauzustand der Hütte war derart desolat, dass eine Sanierung nicht möglich war.“ Deswegen wurde eine neue Hütte als eine Art „Fertigteilhaus“ gebaut und mit dem Helikopter hinaufgeflogen. „Es wurde eine originalgetreue Nachbildung exakt nach dem Erscheinungsbild und den Maßen der alten Hütte rekonstruiert,“ erfahre ich weiters. 

Die "alte Hütte" - Foto Oktober 2015.

Die „alte Geierwally Hütte“ – Foto Oktober 2015.

Die neu renovierte Geierwallyhütte - Foto August 2016.

Die neu renovierte Geierwallyhütte – Foto August 2016.

Foto vom städtischen Forstamt

Foto vom städtischen Forstamt beim Neubau der Hütte.

„C’est un bivouac!“

Der Franzose erklärt seinen Sohn gerade, dass hier Menschen in Not nächtigen. Ich fühle mich bemüht mit meinen Französischkenntnissen die Sache aufzuklären. Er nickt, misstrauisch. Vielleicht hält er mich im Dirndl mit Kamera auch einfach für verrückt.

„Papa, da sitzt oane! Joa, die Geierwally“

Die Oane hat’s gehört und dreht sich um. Damit haben sie nicht gerechnet. Ich winke und gebe wieder mein Wissen zum Besten. Diesmal mit Erfolg: Die Familie bedankt sich bei mir und fragt, ob ich vielleicht einen Schlüssel habe um einen Blick in die Hütte zu werfen. Ach, wie gerne ich den hätte! Bei meiner Nachfrage beim Amt erfahre ich, dass es aber schon die Möglichkeit geben wird. Und zwar im Zuge von Exkursionen: „Die neue Hütte dient primär als Fotomotiv und ist nicht öffentlich zugänglich. Sie kann aber nach endgültiger Fertigstellung im Zuge von Naturexkursionen mitbenutzt und somit besichtigt werden. Zum Beispiel im Rahmen von angemeldete Fachexkursionen zum Schwerpunktthema Adler im Karwendel des Naturparks Karwendel.“

„Schian is worn!“ 

Dem älteren Tiroler Ehepaar kann man nichts erzählen, sie kennen sich aus und begutachten die Belüftungsschlitze unter dem Dach. Ob ich immer da bin, wollen sie wissen. Leider nein, bedaure ich. Langsam finde ich recht großen Gefallen an der Rolle der Geierwally…

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Die neue Hütte von voller Pracht.

Die neue Hütte in voller Pracht, die Reste des Bauschutts sind kurz nach dem Fotoshooting ausgeflogen worden.

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Auf den Spuren von Anna Stainer-Knittel in Innsbruck

  • In Innsbruck besitzen die Tiroler Landesmuseen fünf Werke der Malerin, derzeit ist aber nur eins ausgestellt im Tirol Panorama – ein Selbstbildnis von 1863.
  • Das Buch „Anna Stainer-Knittel, Malerin“ der  Ur-ur-ur-Enkelin Nina Stainer ist im Universitätsverlag Wagner in Innsbruck erschienen. Danke liebe Nina Stainer an dieser Stelle für die ausführlichen Antworten auf meine Fragen!  
  • 2014 wurde in Innsbruck der Anna Stainer-Knittel Weg nach ihr benannt in der Höttinger Au.
  • Im Lechtal gibt es ein eigenes Museum, eine Freilichtbühne und einen Gedenkweg ihr zu Ehren. Ein sehr schönes Selbstportrait, das Anna beim Landschaftsstudium in den Lechtaler Alpen zeigt, befindet sich im Museum „Grünes Haus“ in Reutte:
  • Anna Stainer Knittel
  • Alles über Adler, Geier und Aufzuchtprojekte erfährt man bei einem Besuch im Alpenzoo!

Die Hütte am Hafelekar als Filmkulisse

Neben der Geierwally (1956), filmte bereits 1931 Luis Trenker hier Berge in Flammen und auch ein Teil der Sissi Filme wurde 1955 hier gedreht!

Werbeplakat einer Ausstellung mit einer Fotografie von Marian Schwabik.

 

Kleine Übersicht der Geierwally Verfilmungen

  • 1921 Vulture Wally Der Stummfilm von Regisseur Ewald André Dupont (komplett auf YouTube verfügbar)
  • 1940 deutsche Literaturverfilmung von Hans Steinhoff aus dem Jahr 1940
  • 1956 Franz Cap aus dem Jahr 1956 (Szene auf YouTube)
  • 1988 wurde eine sehr abgefahrene Version der Geierwally gedreht – Parodie auf traditionelle Heimatfilme als Trash-Musical (Szene auf YouTube)
  • 2005 Geierwally, Peter Sämann, die fünfte und somit auch neueste Verfilmung

 

 

Alle Fotorechte, sofern nicht anders gekennzeichnet: Lea Hajner 

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