Johanna Huter und Johannes Bodner verbringen ihre Sommer als Hirten auf der Profeglalm in Ellbögen. Sie sind echte Idealisten und versuchen, dem Alm-Dasein in seiner ursprünglichen Form nahe zu bleiben. Nicht immer ist dabei alles nur romantisch.
Ein paar Meter noch … ich bin da. Endlich. Es war schon ein Stückchen hier herauf, auf die Profeglalm oberhalb von Ellbögen. Das stattliche Gebäude liegt immerhin auf einer Seehöhe von 1.809 Metern direkt am Morgenkogel, der bereits die Tuxer Alpen einläutet. Die Hütte wurde 2001 neu erbaut, besteht vorwiegend aus Holz und gehört heute der Gemeinde Ellbögen.
Im Sommer bringen die ortsansässigen Bauern ihr Vieh auf die hunderte Hektar großen, von Lärchen- und Zirbenwäldern gespickten, Weiden rund um die Profeglalm. An die 200 Stück sind es heuer wieder. Zum Großteil Rinder verschiedenster Rassen, aber auch einige Pferde.
Johannes winkt mir entgegen. Er trägt einen grauen Filzhut und eine blaue Montur – richtiges Arbeitsgewand eben. Jetzt schaut auch Johanna in meine Richtung. Sie ist Johannes‘ Lebensgefährtin und verbringt die Sommermonate mit ihm auf der Alm. Wie schon im vergangenen Jahr und die Jahre zuvor auf anderen Almen – und wie wohl auch die nächsten Jahre, denn der Pachtvertrag, den die beiden für die Profeglalm unterschrieben haben, läuft jetzt erst einmal für einige Zeit.
Der 35- und die 29-Jährige laden mich ein in ihre Küche. Ich bin froh, denn es beginnt langsam zu regnen. Drinnen ist es warm und gemütlich. „Achtung“, sagt Johanna, als ich mich in die Ecke hinter dem Tisch schwingen will, „unter den Decken habe ich frischen Joghurt zwischengelagert.“ Die anschließende Frage nach Kaffee bejahe ich dankend.
Gummistiefel und einfache Verhältnisse
Johanna drückt eine Taste auf dem hellblauen Kaffeeautomaten, auf der anderen Seite des Raumes steht ein Miniradio. Der Strom kommt von einem kleinen Kraftwerk im benachbarten Viggartal.
Zu meinem Erstaunen gibt es auch eine Internetverbindung. „Tja, Idylle gut und recht, aber sich zum Beispiel im Bach waschen zu müssen, macht auch nur für die Dauer eines Wochenendes Spaß“, schmunzelt Johannes und macht keinen Hehl daraus, dass – Naturverbundenheit hin oder her – ein paar Annehmlichkeiten das Leben auf der Alm schon erheblich erleichtern können. Neben der Kaffeemaschine stehen alle nötigen Utensilien für die Frischkäse-Zubereitung.
Brennesselknödel statt Schnitzel
Den machen die Hirten selber. Wie überhaupt alles, was einmal möglich ist. Vieles, was Vieh, Wald und Wiese respektive auch die hauseigenen Hennen und das provisorische Gewächshaus hergeben, wird zu hochwertigen Lebensmitteln veredelt.
Vom kreativen Topfenaufstrich über hausgemachtes Brot, den Brennesselknödel mit Wildkräuter-Salat und das Fichtenwipfelgelee warten einige kulinarische Besonderheiten darauf, von hungrigen Wanderern und Bikern verkostet zu werden.
Da die Alm heute nicht geöffnet ist, darf ich diesen Part übernehmen 🙂 Schon nach dem ersten Bissen bin ich überzeugt: Die beiden verstehen ihr Handwerk! Das Wissen dafür hat sich das Paar durch Freunde, Bücher und im Selbststudium angeeignet und durch etliche Experimente kontinuierlich verfeinert.
Beobachten und kontrollieren
Doch um die Bewirtung der Wanderer und Biker geht es auf der Profeglalm in Wahrheit nur in zweiter Linie. In erster Linie sehen sich Johanna und Johannes nämlich als Hirten. Als Hüter des Viehs, die – um ihrer Aufgabe ordentlich nachkommen zu können – täglich frühmorgens aufbrechen und (separat) stundenlang im Gebiet rund um die Alm unterwegs sind.
Traditionell ausgerüstet mit einem langen Haselnussstock beobachten sie auf ihren „Streifen“, wo sich die Tiere gerade aufhalten, treiben sie wenn nötig von A nach B, zählen sie, stellen Zäune auf und kümmern sich in Absprache mit den Besitzern natürlich auch um verletzte oder kranke Kühe und Kälber.
Befriedigendes Dasein
„Noch sind sie unten in den Wäldern, aber jetzt, Anfang Juli, treiben wir sie hinauf, in den Bereich des Hochlegers“, freut sich Johannes, der selbst von einer Landwirtschaft stammt. Er hütet viel lieber weiter oben.
Dort, wo er dann zwar ohne Zuhilfenahme des Motorrads den ein oder anderen Kilometer mehr zu Fuß hinlegen muss und wo mit Wetterkapriolen und sogar in der wärmsten Jahreszeit auch stets mit einem Wintereinbruch gerechnet werden muss. Aber eben auch dort, wo der Blick dafür von den wunderbaren Almmahdern zu den Stubaier Alpen und bis ins Karwendel – ja, sogar bis hinaus in das Zugspitzgebiet schweifen kann.
Die direkte Arbeit, die Tatkraft, die gefordert ist, das Erzielen eines sichtbaren Ergebnisses und die Natur sind es, was Johanna und Johannes als Kontrast zu ihren beruflichen Tätigkeiten im Tal so gefällt.
Da dringt dann diese Freiheit ganz tief durch, dieses Weit-weg-sein-von-allem – ein Gefühl, in dessen Genuss ich und wohl auch viele andere zum Glück auch auf längeren Bergtouren kommen. Der Gebrauch des Wortes Entschleunigung ist hier oben wahrlich berechtigt und zugleich einer der klassischen Beweggründe für Johanna und Johannes das zu tun, was sie tun!
Auf das Wesentliche besinnen
„Man bemerkt erst, welches Luxusproblem man im Tal hat, wenn man sich ständig zwischen diesem und jenem entscheiden muss. Wenn man laufend aussuchen muss, was man machen will“, erklärt Johanna, dass man sich hier oben automatisch auf das Wesentliche besinnt und konzentriert.
Hinunter ins Tal kommen die beiden in der Zeit von Juni bis September nur selten. In der Vor- und Nachsaison geht Johannes zwar noch einmal wöchentlich seinem Job als selbständiger Ergotherapeut nach und Johanna nimmt teils noch Verpflichtungen als selbständige Theaterpädagogin, Yogalehrerin und Kulturvermittlerin wahr, spätestens mit Beginn des Hochsommers aber, klinken sich die beiden vorübergehend komplett aus. Bei Vollbetrieb auf der Alm bliebe auch keine Zeit für Nebenbeschäftigungen.
Die Brettljause im SB-Modus
Apropos Vollbetrieb: Genau aus dem Grund, dass es manchmal länger dauern kann, die Hirten also nicht dauernd für die Bewirtung der Gäste da sein können und auch nicht wollen, haben sie sich etwas Spezielles einfallen lassen: Während die ganze Woche über im Brunnen Getränke zur Selbstentnahme bereit stehen, wird von Freitag bis Sonntag auch ein Kühlschrank mit Brettljausen aufgefüllt.
Das Selbstbedienungs-Prinzip gelangt hier ebenfalls zur Anwendung. Dieses offiziell als Almbuffet deklarierte Modell funktioniert! Die innovative Idee wird schon jetzt, kurz nach ihrer Einführung, gut angenommen. Eine Erweiterung des Projekts wird bereits diskutiert …
Überhaupt trifft der Stil der beiden – ich würde es vielleicht als die Verkörperung des Almlifestyle 2.1 bezeichnen – rundum auf Verständnis und oft sogar auf große Wertschätzung.
Wenn du die Hirten persönlich antreffen willst: In den Monaten von Juni (im Jahr 2018 erst ab Ende Juni – siehe Update am Ende des Artikels!) bis September ist die Profeglalm jeweils Samstag und Sonntag ab ca. Mittag regulär geöffnet. Neben einem aussichtsreichen Gastgarten lädt auch eine Stube mit Kachelofen zum Verweilen ein.
Für die rund zweistündige Wanderung zur Profeglalm empfiehlt es sich, den Parkplatz beim Hackschnitzellager in Oberellbögen zu nutzen. Dafür beim ehemaligen Gasthaus Zirbenhof scharf links einfahren – die Straße wird nach ca. 50 m zu einer Schotterstraße, dann kommt das Hackschnitzellager mit Parkmöglichkeit. Von hier aus entweder über den Forstweg oder den Steig, der gleich auf der Rückseite des Gebäudes beginnt, zur Alm. Biker können alternativ auch vom Parkplatz Hinterlarcher aus starten.
Die Profeglalm ist außerdem ein toller Ausgangspunkt für weitere Wanderungen in der Umgebung, wie die
- Tour auf den Morgenkogel (2.607 m): Gehzeit von der Alm ca. 2,5 h – die Tour über das 2.302 m hohe Überfallgründl ist aussichtsreich und nicht allzu schwierig oder
- den Übergang zum Meißner Haus (1.720 m) im Viggartal: Gehzeit von der Alm ca. 40 min. – einfach. Eine Kehre unterhalb der Profeglalm führt ein großteils gut fahrbarer Forstweg in sanfter Steigung 2 km talein Richtung Meißner Haus, endet dann aber abrupt und geht im Bereich des Naturschutzgebietes in einen blau markierten Steig über ode
- du machst gleich eine Tälerüberschreitung – tolle Sache!
- weitere interessante Tourentipps rund um die ruhigen Seitentäler des Wipptals findest du hier.
Und wenn der Almsommer wieder vorbei ist, das Vieh heim in die Ställe geholt wird und auch die Hirten im Herbst von der Natur wieder ins Tal getrieben werden – worauf freuen sie sich dann am meisten? Was geht ihnen ab, während der Zeit am Berg?
Kurze Hosen fehlen!
Nicht viel, klar, aber ein paar Sachen gibt es dann doch: „Gespräche mit Freunden, laue Sommerabende, kurze Hosen und Röcke und mal so richtig zu schwimmen“, sind sich die beiden einig. Wohlwissend, dass sie ihren Sommer trotzdem mit nichts und niemandem tauschen würden.
UPDATE 2018: Johanna und Johannes erwarten Nachwuchs! Daher rückt der Saisonstart etwas nach hinten: Konkret gibt es ab Anfang Juni vorerst nur Getränke im Brunnen, gekocht wird dann ab Ende Juni.
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