Bouldern_Anna_Stöhr
16. April 2017
Originalsprache des Artikels: Deutsch

Lässig schlendert mir Anna Stöhr am Innsbrucker Marktplatz entgegen. Sie hat hier schon große Erfolge gefeiert. Ich bin mit dem Kletterass zum Stadtspaziergang verabredet. Wir bleiben also am Boden. Ist mir ehrlich gesagt auch lieber, denn zu den ultimativen Klettermaxen zähle ich mich jetzt wirklich nicht. Klar, ein bisschen klettern gehört schon dazu. Wie soll frau auch anders, mitten in der Climbers City? Die schroffen Felsen und steilen Wände in und um Innsbruck bieten nun mal ideale Voraussetzungen und schier unzählige Möglichkeiten.

Anna und ich haben uns einen richtig feinen Frühlingstag ausgesucht. Foto: Tamara Kainz

Homebase Innsbruck

Aber die sehen wir uns heute nur aus der Ferne an. Es ist eindeutig T-Shirt-Wetter und die Cafès am Platz sind sehr gut besucht. Nein, Anna wird nicht sofort von Fans umlagert. Das passiert ihr eher selten. Sie ist auch nicht unbedingt der Typ für lauten Starrummel. Aber ganz anonym geht’s dann doch nicht. Als wir uns treffen, kommt sie gerade von einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung. In den Medien ist Anna laufend präsent und das steht ihr auch zu, denn sie ist eine der Besten überhaupt.

Annas Spezialgebiet ist das Bouldern – das bodennahe Klettern. Das so genannte Crash-Pad (im Bild unten) ist hier ständiger Begleiter. Anna schafft Schwierigkeitsgrade bis 8b+. Foto: Privat

Eine, der im Bouldern keine und wohl auch keiner so schnell nachsteigt! Ein freundliches „Hallo“ und „Kaffee? Kaffee!“ später sind wir auf dem Weg in die Cantina am Sparkassenplatz. „Die haben den besten Kaffee der ganzen Stadt“, sagt Anna und übernimmt zielstrebig die Führung durch die belebte Maria-Theresien-Straße. Sie muss es wissen, Innsbruck ist ihre Homebase.

Sympathisch und authentisch: Anna ist eine würdige Repräsentantin Innsbrucks. Foto: Tamara Kainz

Absolute Weltspitze

Die Führung hat die 28-Jährige auch bei zahlreichen Wettkämpfen inne. Anna kraxelt regelmäßig aufs Stockerl und hat längst alle relevanten Titel bis hinauf zur Weltmeisterin für sich verbuchen können. Die meisten sogar mehr als einmal.

Bouldern, Anna Stöhr, Innsbruck, Kletter WM 2018, Tivoli Stadion, Tivoli Kletterzentrum © TVB Innsbruck / Christian Vorhofer

Die Doppelweltmeisterin in ihrem Element. Foto: © TVB Innsbruck / Christian Vorhofer

Beim herrlich italienischen Espresso wird sie mir erzählen, wie es dazu gekommen ist. Wie sie als Kind mit den Eltern Sport betrieben hat und sich irgendwann das Klettern bzw. später eher durch Zufall das Bouldern als „ihr Ding“ herauskristallisierte. Wie sie begann, mit Gleichgesinnten zu trainieren, das bis heute fünf mal pro Woche durchzieht und es fast immer gerne tut – sich aber auch mal eine Pause gönnen kann.

Trotz allem Ehrgeiz kann sich das Kletterass auch mal guten Gewissens eine Pause gönnen. Anna hat ihre Balance gefunden. Foto: Privat

Dass sie trotzdem in der Hüfte ein bisschen unbeweglich ist und deshalb auch die ein oder andere Yoga-Einheit einstreut. Und welche Rolle der Ehrgeiz spielt, der sie schlussendlich dahin brachte, wo sie heute steht: An die Weltspitze.

Viel gesehen, aber tief verwurzelt

Wenn sie nicht gerade wie derzeit in China – da feiert sie übrigens am 25. April ihren 29. Geburtstag – Südafrika oder anderen Teilen Europas herumhängt, genießt Anna die Heimat in vollen Zügen: „Genuss ist mir sehr wichtig. Nicht nur beim Klettern“, erzählt sie, führt mit ihren muskulösen Armen die kleine Tasse zum Mund und schlürft kurz.

Den perfekten Ausgleich zum Kletterprofi-Dasein hole sie sich auf Biketouren zu den Almen rund um Innsbruck oder im Karwendel, auf Skitouren oder bei Freeride-Sessions in den umliegenden Bergen, erklärt sie. Bevorzugt gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Kilian Fischhuber – ebenfalls einem Ausnahmekönner in der Wand, der seine aktive Karriere zwar beendet hat, dessen Expertise aber nach wie vor rund um den Globus gefragt ist.

Zuhause in Innsbruck ist Anna gerne mit dem Bike unterwegs. „Der ideale Ausgleich“ sagt sie. Foto: Privat

Selbstverständlich haben zu Hause auch Hallen und Fels keine Ruhe vor den beiden: „Die Martinswand ist eines meiner liebsten Klettergebiete. Da kenne ich spannende Routen. Ja und dann gibt es auch noch immer ein paar Secret Spots in der Umgebung …“ Egal wo und was genau, Anna liegt jedenfalls bei allen Outdoor-Aktivitäten ein respektvoller Umgang mit der Natur am Herzen. Den pflegt sie selbst und fordert ihn auch von anderen ein.

Ausgleich die Zweite … im Winter findet Anna den beim Skitouren gehen und Freeriden. Foto: Privat

Innsbruck als ideale Kombi

Wir ziehen weiter. Ob der warmen Temperaturen wollen wir der Gelateria Lago di Garda am Marktgraben einen Besuch abstatten. „Die haben das beste Eis“, schwärmt Anna und lacht, denn ihr fällt gerade auf, dass sie offenbar die italienische Seite an Innsbruck besonders mag: „Mein Lieblingsrestaurant ist mit dem Sapori in der Fallmerayerstraße nämlich auch ein Italiener.“

Noch tourt Anna regelmäßig durch die Welt, für die „Zeit danach“ hat sie Englisch und Sport studiert. Foto: Privat

Abgesehen von den kulinarischen Vorlieben darf es aber durchaus tirolerisch bleiben. Dass Innsbruck eine stattliche Größe hat und man doch schnell im Grünen ist – zum Beispiel zum Relaxen am Möserer See – gefällt Anna hier genauso gut, wie dass sie innerstädtisch sommers wie winters mit dem Fahrrad unterwegs sein kann und es an kulturellen Alternativen nicht mangelt: „Ab und zu gehen wir gerne ins Leokino.“ Anna mag auch das Geiwi-Areal (das der geisteswissenschaftlichen Uni), denn da hat sie Englisch und Sport „für die Zeit danach“ studiert. Ja und dass die ganze Palette an Sportmöglichkeiten vor der Türe wartet, ist für Anna sowieso der ultimative Pluspunkt. Sie nimmt Schoko-Banane.

Ein Eis in Ehren – von einem der drei Lieblingsitaliener natürlich. Foto: Tamara Kainz

Climbers-Mekka Innsbruck

Durch die wunderbar sommerlich anmutende Altstadt setzen wir unseren Weg vorbei am Goldenen Dachl zum Marktplatz fort. Bei den Weltcupbewerben, die hier ausgetragen werden, mische ich mich öfters unters Publikum. Mit mir verfolgt alljährlich eine rasant steigende Zahl weiterer Zuschauer, wie sich die Damen und Herren von einem bunten Griff zum anderen hanteln, sich dabei geschmeidig verrenken und eindrucksvoll demonstrieren, dass schon die Kraft eines Fingers einen Absturz verhindern kann.

Boulder Weltcup 2016

Der alljährliche Boulderweltcup ist sowohl für das Publikum als auch die Athleten etwas ganz Besonderes. 2018 werden in Innsbruck sogar in vier Disziplinen die neuen Weltmeister gekürt! Foto: © Joffrey Thevenon

„Der gesamte Zirkus freut sich immer auf Innsbruck“, ist auch unserem Testimonial die Vorfreude anzumerken. „Das Niveau ist hier so hoch wie sonst kaum irgendwo, die Durchführung einfach perfekt und die Stimmung sowieso unschlagbar.“ Wenn wir so darüber sprechen, sehe ich die Arena schon direkt vor mir und höre den Jubel, aber einige Wochen müssen wir uns noch gedulden: Heuer gastiert in Innsbruck die Jugend-Weltmeisterschaft und 2018 küren die Erwachsenen in drei Disziplinen ihre neuen Weltmeister. Für wen wir da die Daumen drücken, dürfte spätestens jetzt klar sein. Titelanwärterin Anna hat ihre Vorbereitungen bereits gestartet.

Auf Wiedersehen Anna, bis bald am Innsbrucker Marktplatz! Foto: Tamara Kainz

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