
Was sich unweit von Innsbruck im Fasching, Karneval, in der Fasnacht – wie auch immer man die fünfte Jahreszeit betiteln möchte – abspielt, ist mehr als nur ein buntes Treiben. Das so genannte Mullerlaufen hat eine jahrhundertelange Tradition. Eine, die die teilnehmenden Männer oft schon von klein auf verinnerlicht haben und alle Jahre wieder äußerst stolz zur Schau tragen. Hinter dem althergebrachten Brauchtum stecken Einsatz, Begeisterung und viel Herzblut. Die Rumer Muller sind Teil eines Tiroler Brauchtums, das sogar zum UNESCO-Weltkulturerbe geadelt wurde. Gelebt wird das Mullerlaufen tagelang und im ganzen Dorf – quer durch alle Alters- und sozialen Schichten.

Das Mullerlaufen bildet ein Stück Tiroler Kulturgeschichte. Foto: Rumer Muller
Ein Dorf im Mullerfieber
Fasnacht ist. Ich treffe den Obmann der Rumer Muller beim Veranstaltungssaal der kleinen Nachbargemeinde von Innsbruck. Erstaunlich, wie ländlich Rum trotz seiner unmittelbaren Nähe zur Tiroler Landeshauptstadt anmutet, denke ich mir, während ich Christian Lechner die Hand schüttle.

Das ganze Dorf kommt zusammen – Mullen ist „In“! Foto: Tamara Kainz
Ebenso erstaunlich erscheint mir, dass vor dem noch verschlossenen FoRum bereits eine riesige Menschentraube auf Einlass wartet. Und das, obwohl es bitterkalt und nass ist und das Große Rumer Mullerschaug’n erst in über einer Stunde beginnt. Später kann ich die Jagd auf die besten Plätze besser nachvollziehen …
Reine Männersache
Christian nimmt mich mit ins Vereinslokal, wo wir uns über das Mullen unterhalten wollen. Ein Brauchtum, das die Männer des Dorfes seit über 500 Jahren jeweils im Fasching in seinen Bann zieht. Der Verein der Rumer Muller wurde 1994 offiziell gegründet und besteht aus gut 150 aktiven Mullern und an die 100 Jungmuller.

Martin und Christian Lechner – zugleich Vater und Sohn sowie vormaliger und aktueller Obmann der Rumer Muller. Foto: Tamara Kainz
Frauen dürfen lediglich hinter den Kulissen mitwirken, indem sie in wochen-, manchmal sogar monatelanger Arbeit die aufwändigen Kostüme fertigen. Die Auftritte sind seit jeher reine Männersache.

Die aufwändigen Kostüme werden in der Regel von den Frauen kreiert. Foto: Tamara Kainz

Schwungvoll: Mit dem blauen Gewand und seinen aufgenähten, bunten „Tschaggeln“ stellt der „Zaggler“ den Herbst dar. Foto: Tamara Kainz

Mit seinen Sprüngen über die Weidenrute steht der „Halbweiße“ für den Frühling. Foto: Tamara Kainz
„Früher dachte man, das Mullen wäre ein heidnischer Brauch. Dies wurde aber widerlegt. Es war wohl so, dass die jungen, ledigen Bauernbuben in den Wintermonaten einfach viel Zeit hatten und damit begannen, von Haus zu Haus zu ziehen. Einerseits eben um den Winter auszutreiben und andererseits durchaus mit dem Hintergedanken der Brautschau. Das Mullen war zugleich eine Art Hochzeitsmarkt“, wissen Christian und sein Vater Martin Lechner, der ebenfalls jahrelang Mullerchef war zu berichten.
Anstrengende Hochsaison
Daran, dass alle Jahre wieder im ganzen Dorf das Mullerfieber grassiert, hat sich bis heute nichts geändert. Die Leidenschaft ist schon bei den Kleinsten zu spüren. Sie machen sich gerade für ihren heutigen Auftritt bereit. Einen von vielen in der Faschingszeit. So manch älterer Kollege nimmt sich lieber gleich Urlaub, um sich ganz auf das Mullen konzentrieren und sich von den Strapazen des ein oder anderen Schnapsls (zu viel) besser erholen zu können.

Bereit für den großen Auftritt: Hendrik und Martin. Foto: Tamara Kainz

Schon die Kleinsten – wie hier der 7-jährige Andreas, der von Papa Werner tatkräftig unterstützt wurde – sind mit vollem Eifer bei der Sache. Foto: Tamara Kainz
Ganz wie die Großen trägt auch der Nachwuchs verschiedenste, bunte Gewänder, die unter anderem die Jahreszeiten repräsentieren. „Genau, am Ende geht es darum, dass das Frühjahr endgültig den Winter besiegt“, klären mich Christian und Martin weiter auf. Als die beiden dann so richtig in Fahrt kommen, was die Ausführungen zu Gewändern, Bewegungen und Schrittfolgen, Lauten sowie sonstige mit dem einzigartigen Brauchtum engstens verwobene Regeln angeht, wird mir schnell klar, dass das Mullen eine kleine Wissenschaft für sich ist.
Farbenfrohes Bild
So gibt es Hauptfiguren wie den geschmeidigen Halbweißen (Frühling), den schneidigen Melcher (Sommer), den eleganten Spiegeltuxer (Hochsommer), die wilden Zaggeler (Herbst) und Zottler (Winter) und zudem noch Klötzler, Hexen, Bären und sonstige Gestalten wie den mystischen Kranewitter in seinem Kleid aus Wacholderstauden. Die einen springen, die anderen tanzen, wieder andere bewegen sich ganz schnell, damit die „Klötzln“ (Holzleistchen) möglichst lautstark klappern und gemeinsam mit den Hexen Platz gemacht werden kann für die Nachhut.

Mullen hat System: In der Reihenfolge, in der die Figuren den Saal betreten, verlassen sie ihn auch wieder. Foto: Tamara Kainz

Der Fruchtbarkeitsschlag beim so genannten Abmullen soll Glück bringen. Foto: Tamara Kainz

Trotz der kalten Jahreszeit treten die „Melcher“ in kurzen Lederhosen zum Schuhplatteln an. Sie stellen den Sommer dar. Foto: Tamara Kainz

Rhythmus halten, das Gwandl in Bewegung halten … für die meisten längst Routine. Foto: Tamara Kainz
Manche Larven sind auf grimmig geschnitzt, andere schauen freundlich drein, die einen tragen Pfauenfedern und Hasen- oder Fuchsfelle am Kopf, andere gar einen fast zehn Kilogramm schweren und über einen Meter hohen, mit Spielhahn- und Gockelfedern sowie rund 200 kleinen Spiegeln besetzten, Schmuck. Puh! So ein Spiegeltuxer-Outfit ist übrigens mehrere tausend Euro wert.

Der Spiegeltuxer ist wohl die am anmutigsten erscheinende Figur. Sie verkörpert den Hochsommer. Foto: Rumer Muller
Wie eben erwähnt, wirklich eine kleine Wissenschaft für sich und doch oder wahrscheinlich gerade deshalb ist das Mullerlaufen ein Besuchermagnet sondergleichen. Zigtausende strömen alljährlich in die Region, wenn sich hunderte Muller aus mehreren Dörfern wieder für den traditionellen Umzug zusammen tun. Der nächste, am 24. Februar 2019 wird von den Rumern organisiert. (Die Vorfreude ist immens!)
Früh übt sich
Ich bin heute aber beim Großen Rumer Mullerschaug’n. Neben den Gastgebern selbst stehen heute auch einige Gastgruppen auf der Bühne – viele von ihnen zeigen aber völlig andere Bräuche und Sitten. Die Jungmuller eröffnen den Abend.

Um den Nachwuchs brauchen sich die Rumer Muller wirklich keine Sorgen zu machen. Foto: Tamara Kainz
Professionell marschieren dutzende Buben im Alter von fünf bis 15 Jahren im Saal ein. Das Publikum klatscht begeistert im Takt, den der Spieler der Steirischen Harmonika vorgibt. Laute Juchezer hallen durch den Saal. Für den Laien vielleicht nicht sofort zu erkennen, aber selbstverständlich gibt es für den Auftritt eine althergebrachte Choreografie, die unbedingt eingehalten werden will: Nach der Verbeugung vor dem Sommer wird Schuh geplattelt, dann folgen das „abmullen“, der Freitanz und das „aussimullen“.

Der Trieb der Fasnacht erfasst alle Jahre wieder Jung und Alt. Foto: Tamara Kainz
Letzteres nachdem die Larven abgenommen wurden, um sich zu zeigen. Beim vorherigen Abmullen indes, gibt es für die Besucher einen Schlag auf die Schulter inklusive anschließendem Schnapsl. Das soll Glück bringen, ist aber auch als symbolischer „Fruchtbarkeitsschlag“ bekannt. Klar, dass Geistliche demzufolge keinesfalls abgemullt werden dürfen …

Bunte Fransengewänder und individuell bestickte Ranzen: Die Liebe zum Detail zeichnet das Brauchtum mit aus. Foto: Tamara Kainz
Die Jungmullertruppe meistert ihre Vorstellung bravouriös. Man merkt, dass die Burschen nicht nur die ein oder andere Übungseinheit hinter sich haben, sondern die Sache auch total ernst nehmen.
Szenenwechsel
Während die Gastgruppen im FoRum für gehörigen Wirbel sorgen, begleite ich die großen Muller noch ein Stück auf ihrer Dorfrunde. Aufgeteilt in zwei Gruppen werden mehrere Stationen absolviert, ehe sie im Veranstaltungszentrum den krönenden Abschluss des heutigen Veranstaltungsabends bilden werden.

Teils jahrzehntelang sind Robert, Hans, Martin und Peppo schon beim Mullerlaufen dabei. Foto: Tamara Kainz
Die Vorfreude ist auch den Großen in die Gesichter geschrieben. Zwar ist für die meisten von ihnen alles längst Routine, aber ein wenig Aufregung ist doch zu spüren. Es liegt was in der Luft!

Ein stärkendes Bierchen in Ehren … Foto: Tamara Kainz

Auch der Freitanz ist ein fixer Bestandteil des Ablaufs. Foto: Tamara Kainz
Schauplatz Gasthaus Huberhof – quasi eines der Stammlokale der Rumer Muller. Die Stuben sind voll. Die Muller liefern einen großartigen Auftritt ab. Etliche triefend nass geschwitzte Männer zeugen davon, wie viel Einsatz so ein Muller zeigt. Und zuguterletzt gelingt’s: Der Zottler macht den „Frosch“ und wird vom Halbweißen bezwungen. So wird der Sieg des Frühlings über den Winter dargestellt.

In Rum wird der Sieg über den Winter ausschließlich mit dem Bezwingen des Halbweißen (Frühling) in Verbindung mit der Froschfigur des Zottler (Winter) dargestellt. Foto: Tamara Kainz
Gefällt mir. Und dem Publikum erst! Ja, die UNESCO hat das Mullerlaufen in Rum und seinen Nachbargemeinden völlig zu recht ausgezeichnet – das muss man einmal gesehen haben! Eine absolute Besonderheit, die vor allem auch jene zu schätzen wissen, die es braucht, um die Mullerei mit viel Enthusiasmus zu pflegen und die Tradition von Generation zu Generation weiter zu geben.

Wenn auch du fantastische Fotos von den Mullern machen willst, solltest du dir den 24. Februar 2019 vormerken. Dann nämlich organisieren die Rumer den nächsten, großen Umzug. Foto: Tamara Kainz
Aber wie steht eingangs auf der Homepage der Rumer Muller geschrieben: „Brauchtum ist die Weitergabe der Flamme und nicht das Anbeten der Asche“. Wie wahr! Nun, am Faschingsdienstag – dem letzten Tag der Mullerei – wird der Fasching aber erst mal wieder für ein Jahr eingegraben.
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