Grüne Wiesen und schroffe Felsen, das Sellraintal kann sanft und ungestüm zugleich sein. Die Natur zeigt sich hier noch sehr ungestört. Das Schätzen des Ursprünglichen hat der Region den Titel „Bergsteigerdörfer“ eingebracht. Nur 20 Minuten von Innsbruck entfernt, lädt das Sellraintal sowohl zu kurzen Spaziergängen für Einsteiger als auch zu Touren mit mehrstündiger Wegzeit bis hin zu über Tage ausgedehnten Wanderungen ein. Austoben je nach Fitness und Laune ist angesagt! Dass den Gemeinden Sellrain, Gries im Sellrain und St. Sigmund das Prädikat Bergsteigerdörfer zuerkannt wurde, kommt nicht von ungefähr. Sie sind „vorbildhafte regionale Entwicklungskerne im nachhaltigen Alpintourismus“ – und auch das kommt nicht von ungefähr. Deshalb habe ich Viktoria und Karl Kapferer getroffen. Ein sympathisches Gespann mit viel Humor aber auch der nötigen Ernsthaftigkeit, wenn es um wichtige Belange geht, die ihre Heimat betreffen.
Im Weiler Praxmar der Gemeinde St. Sigmund – schon näher am Berg, als im Tal – leben die beiden unter einem Dach. Vater und Tochter haben mehr als den Nachnamen gemein. Er: fast 30 Jahre Bürgermeister des 170-Seelen-Dorfs, ebenso lange Obmann der örtlichen Bergrettung und Tourismuspionier. Sie: jüngste Gemeindevorständin der Region, ebenso gerne draußen (wenn die Zeit es erlaubt) und erklärte Tourismusfanatikerin mit einem guten Gespür für die zeitgemäße Vermarktung alter und neuer Ideen. Tradition und Moderne schonend vereinen und das Tal so sinnvoll weiterentwickeln – das ist das Ziel, das die beiden zusammen verfolgen, erzählen sie mir, als sie mich in der gemütlichen Stube mit Kaffee und einem Stück frischen Apfelstrudel begrüßen. Die Ressourcen sind da: Das Sellraintal zeichnet sich durch seine wildromantische Landschaft kombiniert mit unaufdringlichen jungen Akzenten wie dem weitum einzigartigen 24-Stunden-Marsch aus.
Geheimtipp 24-Stunden-Marsch
Beim 24-Stunden-Marsch führt Vicky Regie. Die 24-Jährige ist wie ihr Papa viel und gern in der Natur unterwegs und mit seinen Visionen aufgewachsen. Die vormalige Skilehrerin und nun beim Land Tirol Beschäftigte entschied sich vor einigen Jahren, in der Innsbrucker Handelsakademie die Matura nachzuholen. Im Zuge ihrer Abschlussarbeit übernahm sie zusammen mit Marc Steinlechner aus Birgitz das Projekt 24-Stunden-Marsch und kümmert sich seither als Gesamtleiterin um Bewerbung, Vermarktung und vieles andere mehr.
Körper, Geist und Seele entschleunigen
Das Event hat ihr Vater 2014 mit dem Bergführer und Leiter der 1. Skischule Kühtai, Thomas Haider, auf die Beine gestellt. „Der Titel ist Programm!“, erklärt Vicky stolz. „Einmal im Jahr wird bei uns einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang gemeinsam gewandert.“ Über 100 Teilnehmer zählte die inzwischen dritte Auflage im vergangenen Juni, obwohl das Event nichts für Ungeübte oder konditionell Schwache ist. Angesprochen sind vielmehr trainierte Sportler, die es sich zutrauen, rund 60 Kilometer und gut 4.000 Höhenmeter – die Route variiert immer leicht – in einem Stück zu bewältigen.
„Mit einem Rennen hat das Ganze aber nichts zu tun. Es geht um das Erlebnis“, stellen die zwei Mitglieder des Organisationskomitees klar. Wenn Karl und Viktoria Kapferer von „ihrer“ Veranstaltung berichten, ist ihnen die Begeisterung ins Gesicht geschrieben, denn der „24er“ wie ihn die beiden kurz nennen, ist weit mehr als nur ein Kraftakt für Körper und Geist: „Die Atmosphäre ist familiär, nett und herzlich. Man tauscht sich aus und schließt Freundschaften.“
Das ganze Tal ist involviert
Begleitet wird der Marsch von der örtlichen Bergrettung und auch die Mitglieder der Feuerwehr stellen sich freiwillig in den Dienst der guten Sache. Damit auf der Strecke das leibliche Wohl nicht zu kurz kommt, werden an Labestationen Obst und Riegel verteilt. Die „Weiberleit“ aus dem Tal backen Kuchen. „Alle helfen zusammen. Und abends warten auf der Potsdamer Hütte Würstl und Tee auf die hungrigen Teilnehmer. Dann sitzen wir gemütlich beim Ofen und genießen die Zeit“, so Karl Kapferer. Ofen deshalb, weil es (so wie heuer) in den Bergen durchaus vorkommen kann, dass es regnet oder schneit. Der guten Stimmung tat das aber keinen Abbruch. Im Gegenteil: „Es war, als hätte das miese Wetter die Leute sogar noch mehr angespornt“, schmunzeln Viktoria und Karl. „Am Berg gelten eben eigene Regeln…“ – wie recht sie haben!
Alles geben bei der „Wildsaustaffel“
Das winterliche Pendant zum 24-Stunden-Marsch bildet die legendäre Wildsaustaffel. Ein Staffelbewerb, bei dem Viererteams rund um die Sellraintaler Paradegipfel Lampsenspitze und Zischgeles im Aufstieg und der Abfahrt alles geben. Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen der Berg mangels besserem Material mit herkömmlichen Langlaufskiern bezwungen werden musste. Die Wildsaustaffel als Wettkampf im hochalpinen Gelände verlangt den Teilnehmern aber nach wie vor alles ab. Zur nächsten Auflage lädt der SV Sellrain im März 2017. Mitmachen kann jeder.
Sanfter Tourismus mit Weitblick
„Touristische Agenden gehörten schon immer zu meinen Lieblingsaufgaben“, blickt Karl Kapferer auf viele Jahre voller Tatendrang zurück. Und auch wenn er sich mittlerweile in den politischen Ruhestand begeben hat, bleibt der 64-Jährige seiner Rolle als Vordenker in Sachen „Fremdenverkehr“ treu. Schon vor fast dreißig Jahren wurde seiner Gemeinde als einer der ersten in ganz Tirol das Wandergütesiegel verliehen, später folgten das Bergwege– und das Loipengütesiegel – um nur einige seiner Verdienste aufzuzählen.
Auf Karl Kapferer’s Initiative hin wurde außerdem der Sellraintaler Höhenweg von Zirbenbach bis Stieglreith (nicht zu verwechseln mit der Sellrainer Hüttenrunde) ins Leben gerufen und derzeit ist der Pionier dabei, die Almenrunde zu erneuern. „Den Höhepunkt meiner Bemühungen bildete aber sicher die Auszeichnung von Sellrain, Gries im Sellrain und St. Sigmund als Bergsteigerdörfer“, sagt Karl Kapferer. „In Kooperation mit unseren Partnerbetrieben, die etwa mit Fackelwanderungen oder Naturlehrgängen das Ihre zum funktionierenden Gesamtkonzept beitragen, gelingt es uns, das Angebot laufend zu optimieren.“
Ruhe und Tiroler Gastlichkeit
„Wir haben uns super positioniert“, unterstreicht auch Vicky den eingeschlagenen Weg: „Einerseits sind wir weg von der Hektik des Alltags und andererseits haben wir mit Kühtai ein Top-Skigebiet in Reichweite. Dennoch würden wir uns wünschen, dass uns auch die Jungen vermehrt besuchen. Sei es zum Freeriden, Eisklettern, Skitouren gehen oder um zu biken.“ In diesem Kontext wird laufend über kleinere und größere Maßnahmen zur sanften Attraktivierung der Gegend nachgedacht: „In unmittelbarer Umgebung befinden sich beispielsweise über zwanzig 3000er!“
Das Aushängeschild ist der 3.298 Meter hohe Lüsener Fernerkogel, auch das Matterhorn Nordtirols genannt. Er sorgt dank seiner imposanten Erscheinung für einen der schönsten Talabschlüsse im Land. „Leider ist der Zustieg nach einigen Murenabgängen nicht mehr vorhanden. Wir wollen den Weg neu anlegen.“
Ein Tal mit Charakter
Vicky sieht das genauso: „Wir wollen uns auf das besinnen, was wir haben: Landschaftliche Besonderheiten und echte Tiroler Gastlichkeit. Natürlich tragen auch Vereine wie Musikkapelle und Schützenkompanie mit ihren Aufmärschen und gelebte Bräuche zu dem bei, wofür das Sellraintal steht: Authentizität.“ Nun lasst euch aber nicht mehr nur darüber erzählen, sondern lernt das Tal voller Herzlichkeit, Traditionen und unvergleichlicher Naturkulisse auf eigene Faust kennen! Ich für meinen Teil komme auf jeden Fall gerne wieder – vielleicht sogar für den „24er“. Nähere Infos dazu finden Sie auch unter sellrainer24er.at
Am Rande erwähnt: Die traumhaften Fotos, mit denen dieser Beitrag bebildert ist, stammen zum überwiegenden Teil von Lukas Ruetz. Einem leidenschaftlichen Bergfex und „Tourismusfanaten“, der auch in seinem Blog gerne über dies und das im Sellraintal informiert.
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Gerne draußen, "dahoam" am liebsten oben auf den Bergen. Vielseitig interessierter Schreiberling mit einem Faible für besondere Menschen und deren Geschichten, Sport und Natur.
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