Wo der Alltag zur trägen Routine wird, ist jede Abwechslung immer willkommen. Prokrastination nennt der Fachkundige den sinnbefreiten Müßiggang zur Arbeitszeit. Ein bisschen aus dem Fenster träumen und sich auf die Sonnenseiten des Lebens fantasieren. Irgendwann ist ja Urlaub. Aber wo ein Anfang, da bekanntlich ein Ende. Am Ende der Freizeit steht dann wieder der Anfang vom Montag. Und täglich grüßt der Wecker die Wand.
Warum nicht einfach mal vergessen, dass die Zeit vergeht? Den Moment ins Uferlose laufen lassen und endlich aufatmen. Wer die Sonnenseiten sucht, muss nur nach Mieming finden. Dort, am Sonnenplateau, war ich letztens eingeladen zwei besondere Kraftplätze zu besuchen. Ein Lokalaugenschein infolge kürzlich abgeschlossener Umbauarbeiten. Das Alpenresort Schwarz mit einem architektonischen Facelift samt Infinity Pool, das Bio Wellness Hotel Holzleiten nun mit neuem Wellnessflügel. Im Sinne der objektiven Berichterstattung begleitet mich ein feinsinniger Herzensmensch. Ein Nachmittag und zwei Empfehlungsschreiben.
Schwarz is the new black.
Bescheidenheit ist eine edle Tugend. Das Alpenresort Schwarz bemüht sich eingangs den Ball flach zu halten. Schwierig, wenn der historische Baukörper schon im Eingangsbereich 300 Jahre ausholt und in traditionellem Holzinterieur schwungvoll die Hand reicht: Hereinspaziert! Auf richtungsweisendes Geheiß der freundlichen Damen im Dirndl finden wir uns am liebsten selbst zurecht – Richtung Restaurantbereich.
Es ist ein ganz schön weiter Weg. Unterwegs bleibt irgendwo meine Kinnlade liegen. Was die Generationen hier geschaffen haben, wurde gestalterisch so gekonnt verwoben, dass der Architekt in mir leise hyperventiliert. Der Traditionsbau wandelt sich im Durchschreiten in ein zeitgenössisches Designobjekt. Subtil, im ganz großen Stil. Es ist so unfassbar gemütlich, dass man überall Platz nehmen möchte. Im offenen Grundriss entstehen unzählige kleine Orte, die sich zu Themengebieten gruppieren: Zirbenzimmer, Jägerstube, Kristallkammer, Festsaal, und weiter. Immer weiter. Viele kleine Inseln um eine offene state-of-the-art Schauküche, Brotstube, Vitalbar und Buffetbereich. Raumhohe Fensterflächen holen die Natur bis an den Esstisch. Einer sogar mit Hängestühlen – das Design gibt sich humorvoll und ich habe meinen Platz gefunden.
Hang loose? Das gestalterische Konzept hat mit Hängestühlen durchaus Sinn für Humor.
Hang loose ohne Ende.
Kurz lasse ich die Seele baumeln, schon geht es weiter. Tina begrüßt mich herzlich. Sie erzählt von der langen Geschichte des Hauses und gewährt einen flüchtigen Blick in die neuen Zimmer und Suiten. Es riecht angenehm nach Wald, das Interieur ist stimmig in Holz, Stein und Stoff formuliert. Aus dem Verborgenen flutet warmes Licht, eigene Sauna am Balkon, das Alpenpanorama ist horizontfüllend. Am liebsten wäre ich eingezogen.
Dann lassen wir uns Bademäntel reichen. Es folgt eine Tour durch das Wellness Areal. Auch hier wohl sortierte Rückzugsmöglichkeiten, kleine Oasen für die Entspannung. Die Saunalandschaft ist weitläufig und abwechslungsreich. Zum Beispiel Jägersauna in uriger Holzhütte. Die heiße Luft tut gut, schmeckt wohlig nach Heu und ätherischen Ölen. Vor der Tür ein Naturbadesee. So sauber dass beim erfrischenden Tauchgang ein paar kleine Fische flüchten. Im direkten Vergleich ist der Infinity Pool ein völlig anderes Erlebnis. Meine überhaupt erste derartige Erfahrung. Die schmale Randkante lässt den Wasserspiegel direkt an den Himmel grenzen – schwerelos in endlosem Blau. Der flüchtige Moment uferlos im Hier und Jetzt. Als ich wenig später wieder auf Tina und meine Begleitung treffe (wir hatten uns aufgeteilt), haben wir lange nicht alles gesehen. Muss man auch nicht, denn so entdeckt man immer wieder Neues. Langweilig wird es nie – und das obwohl man ja eigentlich nichts tut. Il dolce far niente, das süße Nichtstun, würde man wohl auf Italienisch sagen. Aber weil wir in Tirol sind, verabschiedet Tina uns mit einem herzlichen Servus.
Hochzeit im Heuschober: Angelehnt an die Formsprache traditioneller Heustadln lässt sichs im Festsaal formidabel feiern.
Geweih und Kamin sorgen im Jägerzimmer für rustikale Gemütlichkeit.
Nachhaltige Entspannung.
Der Eingang zum Bio Wellness Hotel Holzleiten begrüßt uns mit sanften Klavierklängen – ein Gast im Bademantel bearbeitet hingebungsvoll den Flügel am offenen Fenster. Vor der Tür ein Tesla und der Herr des Hauses, Simon Wilhelm. Er lebt selbst im Hotel und nimmt die Sache mit der Nachhaltigkeit (vielleicht gerade darum) ungemein persönlich. Davon zeugt nicht nur das Elektroauto, sondern zahlreiche Zertifikate, Plaketten und Gütesiegel am Eingang (ehc – eco hotels certified, Austria Bio Garantie, Tirol Q, Relax Guide Spa Award 2018).
Wo hier Bio draufsteht, ist auch Bio drin, erklärt mit der Hausherr mit erhobenem Zeigefinger. Wenn man einmal anfängt die Dinge zu hinterfragen, dann hört man nicht so schnell wieder auf, lacht er. „Wellness“ ist ja eigentlich kein sonderlich nachhaltiger Lebensstil, fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu. Bio aber, ist ein nachhaltiges Versprechen und entsprechend tief in der Hotelphilosophie verankert. Den ökologischen Fußabdruck hinterfragt man auf Schritt und Tritt – vom Transport der Mitarbeiter bis zum verwendeten Toilettenpapier. Photovoltaik und Wärmepumpe: Die Energie kommt von Himmel und Erde. Kooperationen mit lokalen Bio-Bauern beliefern die Küche regional und nachhaltig. Gekocht wird gesund. Kreativ, köstlich und kunterbunt – Pommes höchstens unter der Hand und auf Anfrage.
Bio trifft Tesla: Das mit der Nachhaltigkeit nimmt man hier persönlich. Gut und richtig so.
Bei einem flüchtigen Blick in die Zimmer erlebe ich regionale Hölzer in naturbelassener Schönheit – als unverbauter Waldblick, wie auch als ansprechendes Lärchen-Interieur samt duftender Zirbenkissen. Aus den Leitungen sprudelt belebtes Grander-Wasser für die esoterische Erfrischung. Die Gäste schätzen den bewussten Umgang mit natürlichen Ressourcen und fragen die großen W’s: Was, woher, wie und warum? Der Hausherr erläutert gern und ausführlich, das Bio-Konzept wird lückenlos gelebt. Ich bin fasziniert und lasse mir einen Bademantel reichen. Stimmt, wir sind schließlich nicht zum Vergnügen hier.
Einfach loslassen.
Man sagt das oft so entspannt. Aber wirklich loslassen muss man können – und wollen, sonst funktioniert es nicht. Irgendwas beschäftigt einen doch immer. Wer die Ruhe finden will, nähert sich darum mit kleinen Schritten. Als wir den Wellnessbereich betreten, tun wir es barfuß. Im kühlen Steinboden eingelassen erwartet uns die erste Sinnesreise: Fußreflexzonenmassage in fünf Teilen. Ein bisschen kitzeln die Tannenzapfen und kleinen Kieselsteine schon, ein kindliches Kichern ist nicht zu unterdrücken. Lache und die Welt lacht zurück? In der Panoramasauna lachen die Alpen und das Holzfällerherz: Frischer Wald liegt in der Luft. Schwitzend träumen wir uns in die Berge und bestaunen schweigend die Stille in uns.
Schwitzen mit Weitblick: Die Panoramasauna holt die Alpen direkt ans Fenster.
Eiskalt reanimiert das Kneippbecken totgeglaubte Lebensgeister – Jungbrunnen hier Hilfsausdruck. Ein paar Runden im beheizten Outdoor Pool und man fühlt sich wie neu geboren. Eine Feuerschale wirft Funken in den Himmel. Feuer, Wasser, Luft und Erde – hier treffen sich die Elemente in der Mitte. In der Regendusche balsamiert Bio-Kosmetik den neuen Körper mit Lärchenpower, das Tässchen Tee zum Abschluss soll fünf bis zehn Minuten ziehen. Eine Herausforderung, denn Uhren und Zeitgefühl haben wir längst hinter uns gelassen. Als wir gehen, ist es dunkel geworden. Ein voller Mond strahlt fahl über das Sonnenplateau, der Hausherr winkt zum Abschied. Gehen mag man eigentlich nicht gern. Aber erst wenn man geht, kann man wieder kommen. Auch der nächste Montag kommt bestimmt. Jetzt jedenfalls mit einem Lächeln.
(Die Fotos vom Wellnessbereich in Holzleiten wurden vom Hausherren Simon Wilhelm zur Verfügung gestellt.)