Auf die Gefahr hin, meinen atemberaubenden Leserinnen und geistreichen Lesern nur ein gequältes Lächeln zu entlocken behaupte ich: ein Spaziergang entlang des tief verschneiten Fußes der Nordkette ist ein einzigartiges Erlebnis. Die Strecke von Sadrach über das Höttinger Bild nach Gramart und Hötting kann durchaus mit dem Prädikat ‚märchenhaft‘ versehen werden.
Der Winter meint es heuer gut mit uns: Tief verschneite Wälder und weiß glänzende Bergspitzen verheißen einzigartige Erlebnisse in freier Natur auch ohne Ski. Winterwandern gehört für mich seit einigen Jahren zum fixen Bestandteil meiner Winterfreuden. Und ich liege mit damit voll im Trend, denn Winter-Wandern ist beliebt wie nie zuvor. Diese Winter-Wanderfreuden beginnen für mich in Innsbruck mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel. Ideal in diesem Fall ist die Buslinie A, die man erst bei der Endstation in Sadrach verlässt. Denn dort beginnt ein einzigartiger, ja märchenhafter Spaziergang.
Ein Kreuz ohne Christus
Leicht ansteigend, erreicht man von Sadrach kommend zuerst ein Plateau mit fantastischem Fernblick auf das grandiose Gebirgspanorama, das sich im Winter wie ein seidenes Halstuch um die Hauptstadt der Alpen legt. Vom Planötzenhof aus, der hier quasi über der Stadt thront, hat man einen der vielleicht schönsten Ausblicke auf Innsbruck. Und hier kann man im Winter etwas bewundern, was in Tirol quasi ‚der Brauch‘ ist: ein Kreuz ohne Christusfigur. Bis heute ist es mir nicht gelungen herauszufinden, weshalb Figuren von den Kreuzen genommen werden.
Das Plateau beim Planötzenhof mit dem Kreuz ohne Christusfigur. © W. Kräutler
Nicht der Gasthof war dieses Mal also das Ziel, sondern ein Kirchlein mitten im Wald: das sogenannte Höttinger Bild. Ein schon legendäres Zentrum der stadtnahen Wallfahrt. Und man glaubt’s kaum: hier werden nicht selten auch Studenten beobachtet, wie sie mit ernster Miene bergwärts streben. Weshalb, das erschließt sich dem neugierigen Wanderer etwas später. Man kann jetzt entweder auf dem Forstweg (wenn es geschneit hat) oder dem schmalen Wanderweg zur Kapelle hinauf steigen.
Tief verschneit: der Spazierweg vom Planötzenhof zum Höttinger Bild. © W. Kräutler
Die Kapelle mit dem Höttinger Bild steht auf einem mystischen Platz
Das ‚Höttinger Bild’ liegt am Fuß der hier mächtig, ja fast schon bedrohlich aufragenden Nordkette. Ein Platz, der genauso mystisch wie geschichtsbeladen ist. Denn gleich neben dem Kirchlein ist im Sommer eine Vertiefung im Hang zu sehen, die im Winter nur schwer auszumachen ist. Es handelt sich um das Mundloch eines einstigen mittelalterlichen Bergwerksstollens, eines sogenannten ‚Knappenlochs‚, das im Bild unten rechts des Holzpavillons als Vertiefung immer noch sichtbar ist. Und davor plätschert im Sommer ein Brünnelein zur Freude vieler Innsbrucker. Das Wasser schmeckt nicht nur vorzüglich, es sei auch, meinen nicht wenige Stadtbewohner, zur Bekämpfung allerlei körperlicher Leiden geeignet. Wohlan denn!
Man möchte es kaum glauben: Die Kapelle mit dem ‚Höttinger Bild‘ ist ein Wallfahrtsziel für Studenten. © W. Kräutler
Das ‚Höttinger Bild‘ ist im Altar des Kirchleins eingelassen. © Kräutler
Glaubt man die Legende, dann brachte 1675 ein Student einen Kupferstich des Gnadenbildes von Maria Waldrast in den Wald oberhalb von Hötting und fixierte es an einer Lärche. Nach zahlreichen Besuchen vor Ort bestand der Studiosus offenbar entgegen den Erwartungen seine Prüfungen. Was auch anderen Studenten nicht entging. So entstand eine Wallfahrtskirche, die in ihrem Altar den Kupferstich enthält, der seither den Namen „Maria der Studenten Zuflucht“ führt.
1777 entstand aus dem einstigen Holzkirchlein die heutige, gemauerte Kapelle. Und es heißt, dass heute noch Studenten in ihren Nöten von der Stadt heraufpilgern. Ein Schurke, wer Böses dabei denkt, weil der Planötzenhof quasi um die Ecke liegt…
Was viele Besucher des Höttinger Bildes nicht wissen: Vis a vis des Kirchleins steht ein Altar auf einer ebenen Fläche, die vor Jahrhunderten künstlich aufgeschüttet worden ist. Es handelt sich um den Abraum aus den vielen Bergwerksstollen in dieser Gegend. Denn hier wurde im Mittelalter jeder Stein umgedreht und jede Kluft abgebaut.
Das schaut nach Abenteuer aus: Die verschneite Brücke über den Höttinger Bach. © W. Kräutler
Der Winter-Wanderweg zwischen dem Höttinger Bild und Gramart hat ‚Märchenweg-Qualität‘. © Werner Kräutler
Von diesem Platz aus führt nun der Winterwanderweg weiter nach Gramart. Für mich hat Gramart immer noch etwas geheimnisvolles, etwas Unerklärliches. Meine Vermutung: Knappen rodeten im Mittelalter dieses Gelände, um ihre bescheidenen Hütten aufzustellen. Dieses Gebiet lag ja quasi inmitten des einstigen Bergbaurevieres am Höttinger Graben. Den musischen Zeitgenossen, vor allem aber Freunden der echten Volksmusik wie mir ist Gramart aber vor allem wegen der Gramart-Musik ein lieb gewordener Begriff.
Die hölzerne Kapelle in Gramart vor der hoch aufragenden Nordkette. © Werner Kräutler
Im Winter sind hier Wanderstöcke gefragt
Auffallend in Gramart ist eine kleine, hölzerne Kapelle, die sich romantisch in die Landschaft einfügt. Und bei der Kapelle trennen sich auch die Wege: links geht’s weiter zur Hungerburg, geradeaus und abwärts gehts nach Hötting und weiter in die Koatlackn, also zur Pfarrkirche St. Nikolaus im gleichnamigen Ortsteil. Ich wählte wie üblich die Diretissima und steuerte die alte Höttinger Kirche an, ein ganz wunderbares Wahrzeichen Höttings. Hier ist es empfehlenswert, Wanderstöcke dabei zu haben um nicht auf dem Schneeuntergrund auszurutschen. Von der alten Höttinger Kirche aus gelangt man innerhalb kurzer Zeit entweder nach St. Nikolaus oder aber durch die Höttinger Gasse direkt ins Innsbrucker Stadtzentrum.
Der Blick vom Gramarter Wanderweg auf das verträumt daliegende Hötting und die verschneite Tiroler Hauptstadt. © Werner Kräutler
Der gotische Turm der Höttinger Kirche ist für mich ein grandioses Wahrzeichen dieses Stadtteils. © W. Kräutler
Zum Abschluss: ein Postkartenblick der Sonderklasse
An schönen und kalten Wintertagen erwartet den kunstsinnigen Wanderer noch ein Ausblick der Sonderklasse: Mariahilf am grünen Inn. Denn die barocke Häuserzeile kann es, was Schönheit, Eleganz und Architektur anlangt, durchaus mit dem Stadtzentrum um das Goldene Dachl aufnehmen. Dass man vom Innufer auch einen letzten Blick auf die Wanderstrecke werfen kann, wirkt wie eine Belohnung.
Die barocken Häuser in Mariahilf: eines der wahrhaft außergewöhnlichsten Ensembles der Hauptstadt der Alpen. © Werner Kräutler
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