
Auf den Tiroler Bergen herrschen raue Lebensbedingungen für Fauna und Flora. Im Rahmen der Europäischen Mobilitätswoche durfte ich am Patscherkofel herausfinden, welche Pflanzen sich auch jenseits von 1.700 Höhenmetern noch wohlfühlen.
Gefühltes Wissen ist eine trügerische Sache. Als Kind war ich der festen Überzeugung, dass der Sender am Gipfel des Patscherkofels ein Schiff mit gestreiftem Mast und der ganze Berg ein erloschener Vulkan sei. Und natürlich, dass er eine Halbglatze hätte, weil er oberhalb der Baumgrenze so nackt und rund ist. 20 Jahre später sind Fantasie und Fakten glücklicherweise besser getrennt (auch wenn ich das Schiff manchmal vermisse). Bei den botanischen Fakten bestand aber noch etwas Nachholbedarf, trotz Wanderungen mit der kräuterkundigen Verwandtschaft. Da kam die Europäische Mobilitätswoche gerade recht: Unter ihrer Flagge wurden von Innsbruck Tourismus Touren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln angeboten, unter anderem eine Wanderung durch die Naturlandschaft des Kofels. Kostenlos angemeldet, Rucksack gepackt und ab ins Grüne.
Bunte Gruppe
Treffpunkt war an einem klaren Samstagmorgen vor dem Büro von Innsbruck Tourismus. Laut Plan A sollten wir von hier mit der Buslinie J bis zur Patscherkofelbahn gelangen, die uns dann bis zum Alpengarten nahe der Bergstation bringen sollte. Unsere Guides, Christine und Stefanie, informierten uns nach der Begrüßung, dass wir auf Plan B umsteigen mussten. Es läge noch Schnee über dem Alpengarten, wir würden stattdessen die Gegend rund um die Mittelstation erkunden. Die beiden mussten an diesem Tag noch öfter improvisieren, schon der Sprache wegen. Außer meiner Wenigkeit hatten sich ausschließlich Familien angemeldet, aus Indien, Argentinien, Indonesien, mit neuseeländischen und Südtiroler Wurzeln. Dank diesem internationalen Mix wurde die Tour gleich noch ein Stück interessanter.
Die Linie J bringt Wanderlustige in kürzester Zeit von der Stadt auf den Berg.
Mobilität in all ihren Facetten: Im Zuge der Wanderung konnten wir die Bergbahn günstig nutzen.
Plan B und C
Da die Linie J eng getaktet ist, betrug die Wartezeit auf den nächsten Bus keine anderthalb Minuten. Nachdem wir die kurvige Straße zur Talstation hochgeschaukelt waren, erwartete uns eine kleine Überraschung. Laut dem Personal war der Alpengarten aper, wir konnten also doch einen Abstecher dorthin unternehmen. Besonders die Kinder waren begeistert von der Aussicht, bis zum Schnee zu kommen, der fleckchenweise noch lag. Ich in meinen halbhohen Bergschuhen teilte ihren Enthusiasmus nicht gänzlich, aber ich war optimistisch. Wir stiegen in die Gondeln und machten uns auf zu Plan B: von der Mittelstation hoch zum Alpengarten wandern und die Pflanzen bewundern.
Die Mittelstation liegt auf gut 1.700 Höhenmetern. Die Luft war wunderbar frisch und der Himmel strahlend blau, im Schatten zog ich mir aber rasch eine zusätzliche Schicht an. Die Kinder bekamen unterdessen noch eine Einführung in das kleine Einmaleins der Bergetikette. Ich konnte förmlich meine Eltern hören, wie sie mir damals eingebläut hatten, dass man keine Steine nach unten wirft und die Hände aus den Taschen lässt. Es stellte sich rasch heraus, dass eine einstündige Wanderung für die Kleinsten nicht ideal war, also Plan C: ein Spaziergang bis zur Patscher Alm und dann mit der Bahn zur Bergstation.
Von der Mittelstation aus sieht man bis hinein auf den Stubaier Gletscher. Die Schneekanonen sorgten für Staunen unter den Teilnehmenden.
Von Almen und Hütten
Als Einheimische verliert man ganz gern den Blick dafür, wie viel Aufwand im Wintersportsektor steckt. Unterhalb des Weges standen Schneekanonen beisammen wie eine Herde bunten Weideviehs. Nachdem sich eine der Teilnehmerinnen erkundigte, was das für seltsame Dinger seien, erklärte Stefanie, wie Beschneiung funktionierte und woher das benötigte Wasser kam. Mit Blick auf den Stubaier Gletscher erzählte sie, warum dieser immer weiter schmolz und warum Piloten und Pilotinnen eine eigene Schulung absolvieren müssen, um den Innsbrucker Flughafen ansteuern zu dürfen.
Kurz vor der Patscher Alm kam die Frage auf, was denn der Unterschied zwischen Hütte und Alm sei. Da sind wir wieder beim gefühlten Wissen: Eine ungefähre Definition hätte ich liefern können, aber mit viel unsicherem Stottern vorgetragen. Stefanie war da deutlich kompetenter unterwegs. Die Almen hatten einen landwirtschaftlichen Hintergrund und wurden von den Gemeinden betrieben, die ihr Vieh im Sommer am Berg weiden ließen. Die Milch zur Verarbeitung ins Tal zu schaffen, hätte zu großen Aufwand bedeutet, also wurden Käse und Butter vor Ort hergestellt. Irgendwann verkaufte man diese Produkte dann an vorbeiziehende Wandersleut, und der Grundstein für Almen als Gastrobetriebe war gelegt. Die Hütten dagegen werden von den Alpenvereinen betrieben und waren von Anfang an als Rastplatz für Wanderer gedacht.
Zirbenduft und Edelweiß
Nach diesem Ausflug in die Tiroler Geschichte ging es retour zur Bahn und hoch zur Bergstation. Hier wurde direkt die nächste Lage Kleidung fällig, jedes Stück im Rucksack hatte sich ausgezahlt. Der Eingang zum Alpengarten ist schräg unterhalb der Schutzhütte, auf dem Weg erklärte Stefanie der Gruppe, was die Besonderheiten von Zirbe und Lärche sind. Die seltenen Zirben bestechen mit ihrem Duft, Lärchen werfen als einzige Nadelbäume vor dem Winter ihre Nadeln ab. Ich fragte nach, wie denn das Pflanzenwachstum auf den sommerlichen Skipisten aussehe. Die Antwort: Diese Böden sind durch die Beweidung sauer, der gelbe Hahnenfuß ist dafür ein ausgezeichneter Indikator. Ironischerweise sind nährstoffärmere Böden blumenreicher, weil die Pflanzen hier nicht von anspruchsvolleren Gewächsen verdrängt werden.
Etwas Schnee war zur großen Freude der Kinder übriggeblieben.
Bei dem Panorama rund um den Alpengarten fiel es gelegentlich etwas schwer, sich auf die Pflanzen direkt vor der eigenen Nase zu konzentrieren.
Hinter dem Drehkreuz des Alpengartens, der übrigens kostenlos zugänglich ist, erwartete uns eine der ikonischsten Pflanzen der Alpen, das Edelweiß. In den Dolomiten ist es häufiger anzutreffen als bei uns, was am Klima und an den Böden liegt. Das führte zu einem kleinen Exkurs rund um die Geologie des Inntals: Der Alpenhauptkamm – und mit ihm der Patscherkofel – ist von Granit und Gneis dominiert, das Karwendel dagegen von Kalk. Das Edelweiß ist im Zuge der letzten Eiszeit vor 10.000 Jahren aus Sibirien bis zu uns gewandert. Diese Eiszeit war es auch, die die Alpen formte. Heutige Bergspitzen ragten über den Eispanzer auf, runde Gipfel wie der Kofel waren unter dem Eis und wurden abgeschliffen. Auch das U-förmige Inntal wurde vom Gletscher modelliert, während V-förmige Täler durch Flüsse ausgewaschen wurden.
In der Stille des Gartens
Wir kamen im wunderbar vertikal angelegten Alpengarten an der nützlichen Schafgarbe, dem giftigen Eisenhut, der langsam wachsenden Alpenrose und dem vielseitigen Meisterwurz vorbei. Die Guides erklärten uns, dass die Pflanzen umso wirkstoffreicher waren, je höher sie wuchsen. Meine Begeisterung galt unterdessen vor allem den Zirben, zwischen denen sich der Weg hindurchschlängelte. Inmitten der Vielfalt von Pflanzen zu stehen, Zirbensamen knabbern und zur Ruhe kommen – das war mein persönliches Highlight des Tages.
Nach der Tour durch den Alpengarten kehrte die gesamte Gruppe noch in das Kofel, das Restaurant der Bergstation, ein und ließ die gemeinsame Zeit entspannt ausklingen. Während die Kinder spielten, tauschten sich die Erwachsenen noch eine Weile bei Suppe und Ofenkartoffeln aus, ehe es wieder mit der Bahn ins Tal ging. Mein Fazit: Ein Abstecher in den Alpengarten lohnt sich als lehrreiche Mini-Auszeit immer.
Bilder, sofern nicht anderes gekennzeichnet: © Theresa Kirchmair
Bewerte den Artikel
Zeige mir den Ort auf der Karte
Begeisterungsfähige Tirolerin mit einem Hang zum Absurden. Springt gern über Mauern und nutzt die resultierenden blauen Flecken dann als Rorschachtest.
Ähnliche Artikel
Eine der großen Freuden des Winters in Innsbruck ist die Möglichkeit, im Freien Schlittschuh zu laufen. Es…
Wenn du dir den perfekten Winterabend vorstellst, wie würde der aussehen? Man war den ganzen Tag an…
Sport gehört zum Tiroler Konzept für Winter einfach dazu! Die Bergbahnen Oberperfuss im Skigebiet Rangger…
Endlich ist es soweit: Der Winter klopft an die Tür, und mit ihm beginnt meine absolute Lieblingszeit…