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„Oan Augenblick no, bitte“, sagt Bruder Franz entschuldigend und huscht in die Backstube des Stift Stams. Immerhin müssen die noch warmen Plunderteigtaschen an die Schüler des Meinhardinums ausgeteilt werden. Aber seine eigentliche Passion liegt wo ganz anders, nämlich bei Kräutern und Obst. Ersteres wird von Bruder Franz zu Schnaps und Essig verarbeitet. Und wie genau und mit welchen Kräutern und welcher Beschaffenheit erklärt er uns im Rahmen der Tiroler Alpenkräutertage.

„Des was den süßlichen G’schmack macht, isch Pfefferminz“, erklärt uns Bruder Franz, der in einem Bergdorf im Pitztal geboren wurde, während wir in der Schnapsdestillerie des Stiftes an den diversen Flaschen riechen. Überhaupt sei gegen alles ein Kräutlein gewachsen, auch wenn man sich schon gut mit Pflanzen auskennen muss, um zu wissen, welche wofür und wogegen hilft. Die Gemäuer um uns herum beherbergen eine jahrhundertelange Tradition an Rezepturen und Tinkturen: das Stift Stams fungierte neben Seelsorge und Hochgeistigem auch als Anlaufstelle für jegliche Wehwehchen und Leiden der umliegenden Bevölkerung. Viele Generationen lang pflegten die Stiftsbrüder die Kranken und Armen. Mit Arzneimitteln aus Kräutern, die im Klostergarten wuchsen. An der prächtig, gelb-blühenden Arnica montana beispielsweise kommt man volksheilkundlich im ganzen Alpenraum nicht vorbei, dabei werden nur die Blütenblätter gesammelt, damit der Bestand nicht gefährdet wird. Die Blüten füllt man dann in ein Schraubglas und bedeckt sie gut mit Schnaps – nach vier bis sechs Wochen seiht man die Blüten ab. „Da Schnaps hat ja auch a heilende Wirkung“, schmunzelt Bruder Franz. Die Arnika-Tinktur hilft gegen Zerrungen aller Art, Faserrissen und Quetschungen, auch bei Hämatomen empfiehlt es sich, den blauen Fleck mit der Schnapslösung einzureiben. Eigentlich ein Ur-Tiroler Produkt so scheint es: perfekt nach einer Wanderung am Sonnenplateau Mieming & Tirol Mitte oder einer Fahrradtour entlang des Inns.

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Die Apothekerschränke und Kräutergläser im Stift Stams sind zum Teil über dreihundert Jahre alt – genauso wie der Kräutergarten des Stifts. Foto: Kristina Erhard

Wo wir örtlich auch bei unserem nächsten Stopp im Rahmen der Alpenkräutertage angekommen wären: Obsteig am Sonnenplateau Mieming, dem Ort mit dem „längsten Sommer Tirols“, da das Plateau durch seine Südausrichtung tatsächlich stundenlang von der Sonne „geküsst“ wird – perfekt für diverse Kräuter also. Rita Davidson, kräuterkundig und motiviert, lädt uns auf eine Kräuterwanderung durch den Garten des Familienhotels Stern ein. Sie ist Kräutermeisterin und -pädagogin. Ja, sowas gibt es tatsächlich und folgt auch einem spezifischem Trend: einem neuen (ökologischen) Bewusstsein, auch für unsere direkte Umgebung.

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Kräuterpädagogin Rita und „Kräuterhexe“ Elfie zeigen uns am Mieminger Plateau, wie man Cremen und Salben herstellt. Foto: Alpenkräutertage

„An Heilkräutern ist das Spannende, dass sie für uns da sind. Sie drängen sich nicht auf, aber wenn wir sie kennenlernen wollen, dann helfen sie uns. Man vergisst oft, dass auch unsere 08/15-Gewürze Heilkräuter sind: Rosmarin hilft bei der Verdauung, Salbei bei leichten Infektionen des Rachenraums, Basilikum nimmt Blähungen etc. etc.“, erzählt uns Rita. Zusammen mit Elfie, der „Kräuterhexe“ des Sonnenplateaus Mieming zeigt Rita uns wie man eine Kräutercreme anrührt. Dazu braucht es eine Fettphase aus Sheabutter, Traubenkernöl und Emulsan – ein rein pflanzlicher Emulgator, der Fett- und Wasserphasen zu einer Creme verbindet. In Bechergläsern erhitzen wir getrennt von einander die Fett- und Wasserphasen an und rühren sie dann ineinander: jetzt dürfen wir auch einen Duft dazugeben. Ich rieche am liebsten am Lavendel, ein Lippenblütenkraut oder auch „Zitterblume“ in der Umgangssprache genannt, und entscheide mich ein ätherisches Lavendelöl einzurühren. Der wilde Berglavendel ist eher zurückhaltend in seinem Duft, vornehm, fast ein wenig kapriziös und vorallem nicht überall zu finden. Der lavandula officinalis ist der „echte“ Lavendel, ursprünglich von den Kanaren oder Persien (so genau weiß man das nicht) wurde er von Benedektinischen Mönchen in die Höhe, in steile, steinige Hänge verschleppt. Und da wächst er gern. Hier am Sonnenplateau Mieming hingegen gedeiht sein alpen-tauglicher Hybrid an der sonnigen Gartenmauer.

Die Brennnessel - ein Universalkraut. Wächst in den meisten Tiroler Gärten und Wegrändern - ein wenig beachteter Tausendsassa. Foto: Kristina Erhard

Die Brennnessel – ein Universalkraut. Wächst in den meisten Tiroler Gärten und Wegrändern – ein wenig beachteter Tausendsassa. Foto: Kristina Erhard

Aus den Augenwinkeln fällt mir fast beiläufig eine ungewohnte und doch bekannte Banalität im Kräutergarten auf: die Brennnessel. „Die Urtica, so die lateinische Bezeichnung, ist der „Underdog“ unter den Heilkräutern“, erklärt mir Rita, „dabei ist sie ein totales Universalkraut voller Kieselsäure, Gerbstoffen, Histaminen Ameisensäure, Magnesium, Eisen, Kalium, Silicium, Vitamin B und so weiter und sofort.“ Tatsächlich ist die Brennnessel blutstillend, Stoffwechsel-anregend, Blutdruck-senkend, Wasser-treibend, Cholesterin-senkend und noch einiges mehr. Schon für Hippokrates war die Brennnessel das wichtigste Kraut für die Blutreinigung. Man kann aus ihr Tee machen, Kompressen für Unterleibsprobleme, eine Brennnessel-Essenz gegen Haarausfall, Brennnessel-Suppe oder -Salat als postmodernes Kulinarikum, früher hat man sogar Papier und Kleidung aus der Brennnessel gemacht gemacht. „Die Brennnessel verfolgt uns Menschen, ja sie drängt sich sogar auf. Aber sie weiß auch warum: sie ist eine der wichtigsten Apotheken, die wir nur haben können,“ erzählt Rita mit Nachdruck. Eine wichtige Lektion, denke ich mir und packe mir Kräuterstöcke in mein Auto. Neuer Berufswunsch: Kräuterhexe.

Nähere Informationen zu den Alpenkräutertagen unter: alpenkräutertage.com

Ab Mai 2016 werden die Alpenkräutertage in das Sommerprogramm für Gäste aufgenommen und finden somit regelmäßig statt. Wer aber schon jetzt mehr über Brennnessel und Co. wissen will, hat in verschiedenen Hotels an ähnlichen Aktiv-Wanderungen und Kräutertagen teilzunehmen.

Mehr Informationen zu den Alpenkräutertagen findest du hier.

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