20240928_151736

Was könnte es Schöneres geben, als mit Regenschauern im Nacken und praktisch ohne Vorbereitung die Bergisel-Schanze hochzusprinten? Team Almauftrieb hat das Abenteuer Red Bull 400 gewagt.

Als die Teilnehmerin vor mir schon beim ersten Schritt auf die rauen Plastikfasern des Auslaufs einen halben Meter nach unten rutschte, fragte ich mich, was zum Geier ich hier eigentlich machte. Unter mir dröhnte es aus dem Kessel, über mir ragte der Hügel so steil auf, dass die Bergisel-Schanze selbst hinter der Kuppe verschwand. Mit dem Schlimmsten rechnend, schwang ich mich über die Abgrenzung. Siehe da, ich fand direkt Halt – ein Hoch auf Zustiegschuhe! Rasch hangelte ich mich das grobe Netz entlang bis zur östlichen Seite des Auslaufs. Der erste Läufer unserer Staffel scharrte schon ungeduldig im Startbereich, meine Nachfolgerin sah ich nur als kleine dunkle Silhouette hundert Meter weiter. Red Bull 400 konnte beginnen.

Codename Almauftrieb

Aus eigenem Antrieb wäre ich nie auf die Idee gekommen, bei einem Event teilzunehmen, das sich selbst als der wohl härteste Berglauf-Sprint der Welt bezeichnet. Bei Red Bull 400 kommen die Mitochondrien richtig auf Trab: Wo üblicherweise Skispringerinnen und -springer durch die Luft gleiten, rennen Sportverrückte bergauf. Auf 400 Meter Distanz kommen 130 Meter Höhenunterschied, die Steigung beträgt bis zu 75 Prozent. Zwischen Schanzentisch und Auslauf wird eine hölzerne Rampe aufgebaut, um den Teilnehmenden zumindest eine Kletterpartie zu ersparen. Entweder geht es nach Geschlecht sortiert die gesamte Strecke hoch, oder, für Freunde der Arbeitsteilung, als Männer-, Mixed- und Blaulichtstaffel je 100 Meter pro Person.

Recht kurzfristig bot sich die Gelegenheit für mich, im Rahmen eines Blogbeitrags mit drei Freundinnen/Freunden bei den Mixed-Staffeln mitzulaufen. Der Respekt vor der sportlichen Herausforderung war gehörig, am Ende siegte aber die Neugier. Die Sondierungsgespräche in den sportbegeisterten Unterzirkeln des Freundeskreises ergaben schließlich drei Personen, die ausreichend auf Erfolgsdruck pfiffen: Theresa, Flo und Marc. Unter der Flagge der Bullen würden wir als Team Almauftrieb die Bergisel-Schanze bezwingen.

Startfieber

Der 28. September, Tag des Wettbewerbs, war erschreckend schnell da. Die geplante physische Vorbereitung fiel krankheits- und verletzungsbedingt fast komplett flach, doch auf theoretischer Ebene waren wir bestens dabei: Videos der Vorjahre checken, Ausrüstung absprechen, den vorhergesagten Regen mit einem Seufzen in Kauf nehmen, Aktivität zum Tagesausklang festlegen. Dank gleichmäßig verteilter Planlosigkeit verlief die Wahl der Abschnitte sehr unkompliziert. Flo übernahm als Sprinter das erste, flachere Stück. In einem Anflug von Wahnsinn suchte ich mir den zweiten Abschnitt aus, der konstant steil und netzbedeckt war. Theresa übernahm die unübersichtliche Kuppe, Marc den Endspurt über den vergleichsweise engen Anlauf.

Am Renntag trafen wir uns – wie könnte es anders sein – an den Feuerschalen, die als Zeugen der Olympischen Spiele über den Kessel wachten. Moderation und Musik heizten abwechselnd der versammelten Menge ein, die den Wettkampf verfolgte. Während wir über die beste Strategie fachsimpelten, rückte unser Startzeitpunkt rasch näher. Um 15:30 Uhr sollte es losgehen. Ein Gruppenfoto, Rucksäcke sicher deponiert, und schon ging es los zu unseren jeweiligen Startpunkten.

GO!

Womit wir wieder bei dem Moment wären, an dem ich wie ein Fisch im Netz herumzappelte. Man vertrieb sich an der 100-Meter-Marke die Zeit mit Smalltalk, auch eine Station höher, wie Theresa erzählte: „Sogar kurz vor dem Start haben sich noch alle gut unterhalten, es war richtig kameradschaftlich.“ Unten im Zielbereich der Schanze suchte sich Flo ein Stück im Rasen, das von den vorangegangenen Durchläufen noch nicht komplett zerpflügt war. Der Puls stieg langsam. „Ich stand sogar ein paar Meter von der Startlinie entfernt, um mehr Schwung mitzunehmen“, meinte er. Über die ganze Distanz Gesten und Rufe, um die Stimmung gegenseitig anzuheizen, irgendwo vom Rand hörte ich jemanden meinen Namen rufen. Keine Zeit, nachzusehen: Der Countdown zum Start lief.

Die Sirene erschallte gellend, in einem Wirbel von Gliedmaßen legte das Startfeld los. Flo hechtete über den Rasen und ließ einen beträchtlichen Teil der Starterinnen und Starter hinter sich, als die Steigung hin zum Netz zunahm. Ich habe nicht den geringsten Schimmer, was ich ihm auf seinen letzten Metern zugerufen habe – die Worte gingen im Tumult unter.

100 Meter und ein Augenblick

In der Sekunde, da sich meine Hand um den kühlen Staffelstab schloss, setzte der Tunnelblick ein. Ich hörte nichts mehr außer dem Rhythmus meiner Füße auf den rutschigen Matten. Publikum und Konkurrenz waren vergessen, da war nur noch das Netz unter meinen Händen. Die Handschuhe, die Marc für uns mitgebracht hatte, waren Gold wert. Ein prüfender Blick nach oben, war ich noch auf Kurs zu Theresa? In dem Moment verlor ich meinen Rhythmus, fluchte kurz, krabbelte im Eiltempo weiter. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich würde meinen Abschnitt hinter mich bringen, und wenn ich auf dem Bauch robben musste!

So weit kam es glücklicherweise nicht. Es fühlte sich an wie ein paar wenige Sekunden, da hörte ich Theresas Anfeuerungsrufe von oben und stolperte ihr das (metallene) Staffelholz entgegen. Während ich mich mit einem riesigen Grinser ins Netz lehnte, kletterte sie in Windeseile über die Kuppe. „Ich konnte relativ schnell aufrecht laufen, aber am Ende waren die Beine ganz schön schwer“, erinnert sie sich. Daran und an die Erleichterung, an Marc übergeben zu können, der nun unsere gesammelten Versäumnisse aufholen durfte.

Das Ziel vor Augen

Er hat den letzten Teil über die Schanze später so beschrieben: „Erstes Viertel: Vollgas, was soll sein. Zweites Viertel: Uiii, es wird zach. Drittes Viertel: Ich will sterben, meine Oberschenkel platzen. Letztes Viertel: Jetzt ist’s egal, durchbeißen fürs Team!“ Mit dieser Motivation schwang er sich durchs Ziel – und sah noch einen keuchenden Flo hochstiefeln, der es sich nicht hatte nehmen lassen, die gesamte Rennstrecke zurückzulegen.
Noch während Marc seine letzten Schritte hinter sich brachte, hatte es zu nieseln angefangen, und nun setzte strömender Regen ein. Während die beiden wieder zu Atem kamen, kletterte ich zurück über die Begrenzung. Dahinter wartete schon eine schöne Überraschung auf mich: Zwei Familienmitglieder waren als Zuseher gekommen und hatten uns angefeuert.

Es dauerte eine Weile, bis sich Team Almauftrieb wieder gefunden hatte. Ich nahm, mit Regenponchos bewaffnet, Marc und Flo an der Liftstation in Empfang. Postwendend bekam ich meine Medaille umgehängt, das Zeichen der erfolgreichen Teilnahme. Grinsend stapften wir Pasta und Getränken entgegen und ließen das Event Revue passieren.

Blech für Almauftrieb

Trotz Regens und entsprechend gemäßigten Besucherandrangs hatten wir definitiv unseren Spaß gehabt. Vergnügen und Teamerlebnis standen eindeutig im Vordergrund, der Leistungsgedanke hatte da das Nachsehen. Coole Stimmung, ein angenehmer Wettkampf, und wann hat man schon die Gelegenheit, den Schanzenbereich aus dieser Perspektive zu sehen? Mir wird stets in Erinnerung bleiben, wie ich im Steilhang saß, wartend, während hinter dem Kessel ein Regenschauer die Nordkette entlangzog. Die Skispringerinnen und -springer übertreiben nicht, wenn sie das gewaltige Panorama am Bergisel beschreiben.

Falls wir bislang den Eindruck gemacht haben, uns ließe sowas wie Platzierung gänzlich kalt: Nun ja. Irgendwann fanden wir heraus, dass wir tatsächlich den vierten Platz und damit Blech in der Mixed-Staffel errungen hatten. Die Optimierungsideen folgten auf dem Fuße: Was wenn, wir nächstes Jahr …

Bilder, sofern nicht anders gekennzeichnet: © Theresa Kirchmair
Headerbild: Florian Riedl

Ähnliche Artikel