helm vorne titel blau

Es sind oft unglaubliche, ja geradezu krasse Geschichten, die sich hinter Museumsstücken verbergen.  Eine schier unglaubliche Geschichte verbirgt sich auch hinter einem wertvollen Schaustück des ‚Maximilianeum‘, des Museums im Goldenen Dachl. Die Rede ist vom ‚Groteskhelm‚, einem eisernen Kopfschmuck, quasi einem ‚Voll-Visierhelm‘ aus dem frühen 16. Jahrhundert. Dessen Sinn und Zweck erschließt sich jedoch erst nach längerem Nachforschen, und dann nur unvollständig. Ich behaupte, dass dieser Helm als Vorlage vieler klassischer Tiroler Fasnacht-Larven diente.

Groteskhelm, Innsbruck

Der Groteskhelm des Maximilianeums. Eine mittelalterliche Rarität, die vermutlich auf adeligen ‚Mummereyen‘ getragen worden ist. Quasi Fasching für die damals Herrschenden. ©Maximilianeum, Museum im Goldenen Dachl

Urplötzlich tauchte er Ende des letzten Jahrhunderts bei Sotheby’s in London aus dem Nebel des Mittelalters auf. Ein Prunkstück Innsbrucker Plattner aus der Zeit zwischen 1515 und 1525, wie Experten meinen. Aber das ist noch nicht alles.  Denn wie der Helm in den Besitz der Stadt und dann zurück nach Innsbruck gekommen ist, wäre Stoff für ein Hollywood-Drehbuch.  In der Hauptrolle: Hilde Zach, damals noch die bekannte ‚Fleischkas-Hilde‘, später die legendäre Innsbrucker Bürgermeisterin.

Ich hatte mich schon immer gewundert, woher eigentlich die Masken für die diversen Fasnachtsbräuche in Tirol stammen. Wer hat zum Beispiel die Masken für das ‚Boarische Paar‘ kreiert? Keine Ahnung. Oder die Larven der Spiegeltuxer, Melker und wie all die Masken heißen? Aber dann das Wort ‚Muller‘. Woher es stammt konnte und kann mir niemand mit Sicherheit sagen. Naheliegend nur, dass es eine Verballhornung der Bezeichnung ‚Mummenschanz‘ ist, wie adelige Verkleidungsspiele im Mittelalter genannt worden sind. Daraus wurde die ‚Mummerey‚ und  schlußendlich vermutlich das ‚Mullen‚ herumziehender Maskierter, wie es heute noch traditionell in den MARTHA-Dörfern praktiziert wird.

Herzog Sigismund (der Münzreiche) von Tirol soll 1472 gar die gesamte Fasnacht auf Schloss Thaur bei allerlei Mummenschanz und Mummereyen verbracht haben. Gemeinsam mit Freunden und Saufkumpanen aus dem ganzen Land habe er sich von Frauen auf seiner Burg festsetzen lassen. Ein Schurke, wer Böses dabei denkt.

Der Groteskhelm im Maximilianeum des Goldenen Dachl

Der Groteskhelm weist eine Eigenschaft auf, die unzweifelhaft und nur auf einen Besitzer schließen lässt…

Nun habe ich kürzlich im wunderbaren Maximilianeum, dem kleinen und feinen Museum im Goldenen Dachl, den Groteskhelm näher betrachtet. Eigentlich ein Stahl- oder besser gesagt ein Eisenhelm, der wie eine Ritterrüstung geformt, den Kopf einer Person aufnehmen konnte. Quasi ein mittelalterlicher Vollvisierhelm. Mir fiel sofort der gezwirbelte Schnurrbart auf, der mich an die Muller-Masken erinnerte. Experten sind zwar der Ansicht, dass das Antlitz einem türkischen Antlitz ähnle, vor allem der aufgezwirbelbe Schnurrbart. Aber dennoch ist eine Ähnlichkeit mit den Muller-Masken nicht zu verleugnen. Der Helm wurde vermutlich von den berühmtesten Plattnermeistern seiner Zeit gefertigt: von Konrad und Hans Seusenhofer. Die beiden hatten ihre Werkstatt dort, wo sich heute das Alte Landhaus befindet.

Nun weiß man, dass Herzog Sigismund der Münzreiche die närrische Zeit zwischen Dreikönig und Aschermittwoch gerne auf der Burg in Thaur verbrachte. Sicher ist, dass er dort selbst dem Mummenschanz frönte und Mummereyen organisierte.

Kaiser Maximilian

…auf Kaiser Maximilian mit seiner Hakennase

Könnte es sein, dass er sich bei den berühmten Seusenhofer-Plattnern, die normalerweise Ritterrüstungen herstellten, eine Eisenmaske für seine Narreteien für seinen Kumpanen Maximilian in Auftrag gab? Und dass sein Nachfolger, der spätere Kaiser Maximilian diesen Mummenschanz liebte und sich daran beteiligte? Die Mummereyen waren Ausdruck höfischen Zeremoniells. Meist abgehalten  anlässlich von Turnierspielen, bei denen sportliche Auseinandersetzungen im Mittelpunkt standen. Er geruhte, höchstselbst verkleidet durch die Reihen zu stolzieren. Die Hakennase des Helms lässt meines Erachtens auf den einstigen Besitzer schließen.

Na gut, das ist die eine Geschichte dieses Helmes. Die andere ist jüngeren Datums und wesentlich lustiger.

Im Jahre 1995 erfuhr die damalige Stadträtin Hilde Zach, dass ein Helm aus einer Innsbrucker Werkstatt der Plattnermanufaktur Seusenhofer bei Sotheby’s versteigert würde. Der musste nach Innsbruck, das stand für sie sofort fest. Aufgrund des Ausrufpreises rechnete sie mit einem Kostenrahmen von rund 500.000 Schilling. Und jetzt folgt eine Geschichte, wie sie eigentlich nur mit der Hauptdarstellerin Hilde Zach denkbar ist. Ich habe sie mir übrigens von mehreren „Zeugen“ erzählen lassen, denen Zach ihre Kunst-Expedition nach London detailgetreu und vor allem gestenreich schilderte.

In Aktion für das Maximilianeum: Hilde Zach ersteigert höchstselbst bei Sotheby’s den Groteskhelm

Hilde stellte also damals sofort potentielle Sponsoren, vor allem Banken und Versicherungen vor die Entscheidung, je 100.000 Schilling spenden ‚zu dürfen‘, um das seltene und gute Stück ersteigern zu können. Sie musste – wie üblich – sehr glaubhaft und vor allem mit Nachdruck auf die Manager eingewirkt haben. Und siehe da: Schlussendlich standen der damaligen Kulturstadträtin 500.000 Schilling (=36.000 Euro) zur Verfügung. Sie kaufte ein Flugticket nach London und setzte sich in die Auktionshalle von Sotheby’s.

Dass sie das gute Stück nicht schon bei 350.000 S ergatterte, sei einem Blödl zu verdanken gewesen, der nun urplötzlich weiter gesteigert habe, erzählte sie nach vollbrachter Tat reihum. Und dann sei es dahingegangen. 40o.000, 450.000, 500.000. Sie musste mit, ob sie wollte oder nicht. Denn der Helm musste ja nach Innsbruck. Und das, obwohl sie über ihre finanziellen Verhältnisse gehen musste. Aber: Der Hilde fiel spontan noch vor Ort, also bei Sotheby’s ein weiterer Sponsor ein, der sich gar nicht drücken konnte. Den wollte sie nach der Heimkehr besuchen und ihm nachdrücklich empfehlen, sich doch auch an der Finanzierung des Helms zu beteiligen. Sie steigerte also munter weiter bis sie den Zuschlag erhielt.

Das Maximilianeum im Goldenen Dachl beherbergt den Groteskhelm

Das Museum Maximilianeum im Goldenen Dachl beherbergt den seltenen Grotekshelm.

Dann begann eine Story, an die sich sicher noch etliche Sicherheits- und Polizeibeamte am Flughafen Heathrow erinnern werden. Denn Hilde ließ sich den Helm sofort aushändigen, schön verpacken und marschierte mit der Sotheby’s-Tasche samt kostbarem Helm zum Flughafen. Beim Security-Check war dann allerdings der Ofen aus, wie sie später wort- und gestenreich erzählen sollte. Gerade dabei, ganz einfach durch den Check zu marschieren (Zach: „Der Flieger ging in einigen Minuten“) stellten sich ihr Polizisten und Zollbeamte barsch in den Weg.

„I am the mayor of Innsbruck“

War der Groteskhelm Vorbild für die ‚modernen‘ Masken, die von Mullern getragen werden? ich behaupte: Ja. Und weshalb? Wegen des aufgezwirbelten Schnauzbartes.

Was sie denn da in der Sotheby’s-Tasche habe, wollten sie wissen. Und ob es da sowas ähnliches wie eine Ausfuhrbewilligung gebe. Zach reagierte cool: „I am the mayor of Innsbruck, you know!“ Das wiederholte sie gebetsmühlenartig immer wieder. Sie erzählte später, sie habe nicht etwa Angst davor gehabt, wegen Kunstschmuggels oder sogar Kunstdiebstahls arretiert zu werden. Nein, sie fürchtete, dass sich die Beamten telefonisch in Innsbruck erkundigten, wie der Bürgermeister heiße. Sein Name war damals Herwig van Staa. Und Hilde Zach war noch gar nicht einmal Bürgermeisterin.

Die Durchsetzungskraft und Beharrlichkeit dieser legendären Frau gemischt mit einer ordentlichen Portion Schmäh hat sich aber bezahlt gemacht. Schlußendlich überzeugte sie einen ganzen Schwarm von Grenzbeamten und Zöllner. Die wollten vermutlich ihre Ruhe haben, gaben vor die Notlüge samt Amtsanmaßung zu glaubten und ließen Hilde Zach in allerletzter Sekunde in das wartende Flugzeug sprinten. Der Groteskhelm war auf dem Rückflug nach Tirol.

Die allzu früh verstorbene Bürgermeisterin Hilde Zach hat also mit ihrer Entschlossenheit, ihrem persönlichen Einsatz und auch ihrer Frechheit ein Museumsstück zurück nach Innsbruck gebracht, das für die Kultur des Landes wegweisend war. Und vielleicht auch eine Erklärung dafür ist, wie heute viele Fasnachsmasken ausschauen.

Maximilianeum, Museum im Goldenen Dachl
Öffnungszeiten Montag – Donnerstag 08:00 – 17:30 Uhr. Freitag 08:00 – 12:00 Uhr

 

 

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