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„Ich rufe Herrn Grassmayr gleich an“, sagt mir die freundliche Dame im Geschäft der Glockengießerei Grassmayr. Dort werden Glocken, Klangschalen und Souvenirs verkauft. Keine 30 Sekunden später steht ein strahlender Johannes Grassmayr vor mir.

Er sieht ganz anders aus als erwartet: sehr leger, informell, mit einem weißen Hemd und einem zu großen blauen Wollpullover. Ich hatte einen Geschäftsmann mit Sakko vor Augen, als wir uns am Telefon hörten. „Komm, wir gehen ins Büro“, schlägt er vor. Wir sind gleich per du. „Das ist die Glocke, die wir für die Catedrala Nationala in Bukarest gegossen haben“, sagt er, als wir an der Werkstatt vorbei gehen und zeigt durch eine Metalltür mit Fenster auf ein Meisterwerk der Glockengießkunst. Ich bleibe stehen, schaue nach oben auf die Engelskrone, wir halten kurz inne, Johannes berührt sie sanft und lächelt dabei. Sie ist rund 4 m hoch, wiegt 25 Tonnen und kühlt immer noch aus – auf ihrer Oberfläche haftet schwarzer Lehm vom Guss. Sein Bruder Peter arbeitet währenddessen in einer großen Uhrschale (Klangschale), daneben trägt ein Mitarbeiter einen speziellen Spray auf, um die Glocke schmutzresitent zu machen.

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Dieses Meisterwerk von Grassmayrs Gusskunst hängt bald in der Catedrala Nationala in Bukarest, die Glocke wiegt 25 Tonnen und hat einen Durchmesser von 3,3m. Foto: Vil Joda.

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Peter Grassmayr arbeit an einer Uhrschale, während sich Johannes und ich in der Werkstatt unterhalten. Foto: Vil Joda.

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Hier wird eine Grassmayr mit einem speziellen Spray für den Transport schmutzresitent gemacht. Foto: Vil Joda.

Silicon Valley der Gusskunst

Einen Stock höher im Büro setzen wir uns an einen großen Holztisch. Johannes wirkt ein wenig neugierig und freut sich, dass sich ein Blogger für eine Glockengießerei interessiert. Er führt die Gießerei mit seinem Bruder und Vater Christoph, der zwar seit ewig in Pension ist, aber immer noch jeden Tag in den Betrieb kommt. „Begonnen hat alles 1599, vor 400 Jahren“, schwelgt er in der Vergangenheit. Die Firma Grassmayr gilt als der älteste Familienbetrieb Österreichs. „Das hat das Magazin Trend herausgefunden.“ Seine Ahnen haben im Ötztal zu gießen begonnen, sind später nach Innsbruck gezogen, als die Mobilität mit Pferden und Kutschen besser wurde. „Weißt du, Innsbruck war so etwas wie das Silicon Valley der Gusskunst.“ In Tirol wurden seit jeher Waffen, Kanonen, die Schwarzmander und Glocken gegossen. Auch Grassmayr hat neben Glocken Druckkessel für Feuerspritzen, Mörser, Kanonen und Bronzetafeln gefertigt.

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Das Foto ist wohl das älteste Bild, das bei der 300-Jahr-Feier in der Gießerei geschossen wurde. Foto: Vil Joda.

„Während des zweiten Weltkrieges hat Hitler den Glockenguss verboten“, sagt Johannes mit gesenkter Stimme. „Die Umstände haben uns zur Innovation gezwungen.“ Auch heute noch, oder besonders heute ist das Unternehmen innovativ und forscht sogar: „Einmal im Monat machen wir ein Experiment. Zuletzt probierten wir neue Schweißtechniken, experimentierten mit unterschiedlichen Gusstemperaturen und machten computerunterstützte Einfluss-Simulationen.“ Das sind Simulationen, bei denen ein Computer errechnet, wie sich das flüssige Metall in der Glockenform verteilt. Forschung und Entwicklung sind in dieser Branche wichtiger denn je, auch wenn die Glocken mehr oder weniger wie früher gegossen werden. „Die Verfahren sind schon andere, obwohl das Metall immer noch aus 20 Teilen Zinn und 80 Teilen Kupfer besteht. Mehr oder weniger“, zwinkert der Glockenmacher. Patente hat das Unternehmen paradoxerweise keine angemeldet, und das aus gutem Grund: „Unser Wissen würde damit öffentlich,“ meint er verschmitzt.

Stradivari der Glocken

Grassmayr ist Marktführer in einigen Bereichen von ca. 40 Gießereien in Europa, von denen wahrscheinlich nur 4-5 überleben werden, denn die Nachfrage sinkt. „Wenn du nicht innovierst, kann es schnell gehen.“ Die Engelskrone, der Greif als Wappentier oder die ästhetische Oberflächenverzierung machen die Glocken zu einer echten Grassmayr. Dazu kommt sozusagen die glühende Klangkunst, denn ohne guten Ton, wäre es wohl zu wenig: „Unsere Produkte gelten als die Stradivaris unter den Glocken“. Die Familie hat sich vor einiger Zeit zu diesem Kernwert bekannt und strebt seither nach dem vollendeten Klang: „Wir brillieren mit exzellenter Toninnenharmonie und langem Nachhall“, ist sich Johannes sicher. Von hoher Toninnenharmonie spricht man, wenn die 200 verschiedenen Töne einer Glocke harmonieren. Der Nachhall muss je Zentimeter Durchmesser 1 Sekunde lang dauern.

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Das Markenzeichen der Glocken ist die Engelskrone. Hier die zwei Brüder in jüngeren Jahren. Foto: Grassmayr.

Die größte Klangschale der Welt

Ich wusste nicht, dass hier im Hause, neben Glocken, auch die gesamte Glockentechnik wie Holzjoche und Holzglockenstühle für Kirchtürme in der hauseigenen Tischlerei gefertigt werden. Noch weniger wusste ich, dass Grassmayr einer der bekanntesten Hersteller von Klangschalen ist – seit 200 (!) Jahren. Als ob das nicht reichen würde, setzt Johannes noch eines drauf: „Die größte Klangschale der Welt wurde bei uns gegossen.“ Sie wiegt 1.300 kg und hat einen Durchmesser von über 2 m. Mit den Klangschalen aus Tibet haben ihre jedoch nichts zu tun. Diese seien eher fürs Meditieren. Sie werden von Grassmayr auch als Orchesterschalen bezeichnet und erklingen in Läutewerken von Rathäuseren oder Brauerein sowie exakt aufeinander abgestimmt in Orchestern.

 

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Die Uhrschale hat Johannes für mich angeschlagen und die Werkstatt wurde von einem wohligen Klang erfüllt. Foto: Vil Joda.

Bei jedem Guss ein Vater Unser

Das glühend heiße Metallgemisch wird in eine Form aus Lehm gegossen – ähnlich einer Kuchenbackform. Mit einem feuchten Erlenstamm wird das Metall entgast, indem es wie mit einem Kochlöffel umgerührt wird. Jeder Guss erfolgt unter kontrollierten Bedingungen: Trotz akkuratester Vorbereitungen kann es vorkommen, dass eine Glocke nicht perfekt klingt. „Dann gießen wir halt noch einmal“, meint Johannes ganz nüchtern. Bei jedem Guss ist eines der Enkelkinder dabei und es wird gemeinsam ein Vater Unser gebetet. „Mit Gottes Hilfe geht fast immer alles gut.“ Die Frage, ob die Familie sehr gläubig ist, liegt natürlich nahe. Johannes nickt, macht eine andächtige Pause und sagt leise: „Schon, ja.“

Grassmayr Facts

  • Die kleinste Grassmayr hat 4 cm Durchmesser, die größte 3,3 m und wiegte über 25 Tonnen.
  • In über 100 Ländern der Erde erklingen Glocken der Innsbrucker Glockengießerei. Die berühmteste ihrer Glocken hängt am Berg Sinai, dort wo Moses die 10 Gebote übergeben habe.
  • Im Glockenmuseum gibt’s Wissenswertes zur Glockengießerei und einen Klangraum, in dem die Glocken angeschlagen werden können. Die Grassmayrs erhielten dafür den Österreichischen Museumspreis und vom ORF den Maecenas-Preis. Die beste Auszeichnung sind aber die vielen begeisterten Besucher.
  • Tibetanische Klangschalen wurden von Grassmayr zu Musikinstrumenten weiterentwickelt. Das Mariinsky Theater in St. Petersburg ist Auftraggeber von 33 Klangschalen mit einem Gesamtgewicht von 2,5 Tonnen.

 

Koordinaten:
Glockengießerei Grassmayr
Leopoldstraße 53
6020 Innsbruck
T. +43 (0) 512 59416
E. info@grassmayr.at
www.grassmayr.at

 

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Das Metallgemisch besteht noch heute aus 20 Teilen Zinn und 80 Teilen Kupfer. Plus den geheimen Zutaten aus dem Hause Grassmayr. Foto: Grassmayr.

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Im Museum der Gießerei sind unter anderem Gussformen zu sehen. Foto: Vil Joda.

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Es stank nach Mist, Pferdemist, der dem Lehm für die Gussformen seit jeher beigemengt wird. Foto: Vil Joda.

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