Stadtspaziergang-1

Anton Prock sammelt Geschichten. Als Kunsthistoriker erstaunt das kaum. Dass er sie aber auch noch gut erzählen kann, macht den Mann schon spannend. Wirklich faszinierend wird die Sache, wenn man weiß, dass der Gute auch noch Fremdenführer, zwanzig Jahre Schuldirektor und gleich ein paar gute Bücher kann. Dieser Tage erschien beim heimischen Tyrolia-Verlag sein neuestes Begleitbuch – für Innsbrucker Stadtspaziergänge.

Schritt für Schritt Stadtgeschichte

Dem geneigten Spaziergänger biedert sich die kleine Tiroler Landeshauptstadt ja geradezu an: Hier säumen Promenaden den Fluss, dort spielen die Jahreszeiten im Stadtgarten, und sobald es auf den Wiesenwegen steiler wird, führen Wanderwege in den Wald. Aber nicht nur die Natur lockt vielfältig zur Entdeckungsreise, auch die Stadt selbst weiß einiges zu zeigen und zu erzählen. Und so luden Verlag und Autor der Innsbrucker Stadtspaziergänge letztens zu einer Buchpräsentation der etwas anderen Art.

Vor der Gedenktafel an der Tyrolia-Buchhandlung schlägt Anton Prock sein kleines blaues Buch auf und liest – wie die gebürtige Innsbruckerin Diana Obexer einst mehrere tausend Kinder aus kroatischen Konzentrationslagern rettete. Den mir vormals völlig unscheinbaren Ort verwandelt die kurze Lesung in einen gewichtigen Meilenstein der Geschichte, mitten auf der pulsierenden Maria-Theresien-Straße. Ein ganzes Kapitel widmet sich der adretten Innsbrucker Flaniermeile und findet hinter den Schaufenstern und Stuckfassaden seitenweise Schätze zum Erzählen.

Schachtelwirt bis Stadtbrunnen

Nur kurz reißt der Autor einige Geschichten an – Annasäule, Rathaus-Galerien und Spitalskirche, aber auch die neue Sachlichkeit der 1920er, die der Tiroler Künstler Hans André auch in der Innsbrucker Altstadt in zahlreiche Fresken fasste. So finden wir uns am Rosenhaus (Herzog-Friedrich-Straße 39) in Kapitel 20 unter seinem prominenten Rosenprinz von 1952 wieder, der mir ebenfalls nie so bewusst aufgefallen war. Nur wenig weiter ziert das gotische Promenadengewölbe neben dem zeitgenössischen Schachtelwirt (McDonald’s) der Quaternionenadler – zum Schrecken aller Stadtführer: Unter wilden Verrenkungen sind hier insgesamt 60 Wappen und heraldische Symbole zu erklären – außer man blickt einfach ins Buch, schmunzelt Professor Prock. Es folgen noch ein paar Worte zu den acht öffentlichen Innsbrucker Stadtbrunnen und ihrer gewichtigen Aufgabe als „Social-Media-Plattform“ beim täglichen Waschen und Ratschen – die „Tätigkeiten am Stadtplatz“ sind übrigens nur wenig weiter in Abbildungen am Katzung-Haus verewigt.

Eines führt zum Anderen

Im Stadtturm (mit Welscher Haube) finden wir uns schließlich zur eigentlichen Buchvorstellung wieder und dürfen auch endlich selbst im erzählerischen Begleitwerk für Innsbrucker Stadtspaziergänge blättern. Meine Befürchtungen bestätigen sich: Hier führt das eine zum anderen und weiter zum nächsten – schnell verliert man sich in den Seiten. Schlau darum, dass sich bei korrekter Handhabung dann Gehen und Lesen abwechseln, damit auch Schauen und Staunen nicht zu kurz kommen. Hier hast du eine Inschrift, da ein Fresko, dort ein Wappen – schon die Auswahl der erzählerischen Fixpunkte stellte vor gewisse Herausforderungen, lacht der pensionierte Lehrer. Wer viel weiß, kann auch viel erzählen: Einfach zu lesen, kurze Kapitel, wohlsortierte Schwerpunkte – der schulische Hintergrund des Autors spiegelt sich wohlwollend in der Zugänglichkeit und Aufbereitung seines Spazierwerkes. Wer sich selbst ein Bild machen möchte, bekommt hier sogar eine kostenlose Leseprobe.

Innsbruck: Brücke und Kreuz

So erfahren wir im Stadtturm auch vom Leben und Arbeiten der Türmer, die im Sommer 18, im Winter 16 Stunden Dienst verrichten mussten. War Gefahr im Verzug, wurde die Sturmglocke geläutet, und im Brandfall eine Laterne in das Fenster in Brandrichtung gestellt. Historische Aufzeichnungen der Innsbrucker Stadtarchive beklagen jedoch die lockere Arbeitsmoral und wohl auch anhaltende Trunkenheit unter den Turmwächtern. Als ich schließlich mit meinem neuen Buch die steile Stadtturmstiege runterstolpere, muss ich unwillkürlich an die sturzbetrunkenen Turmwächter denken, die hier einst womöglich regelmäßig runtergekugelt kamen. Auf diesen Stufen werde ich nun wahrscheinlich immer wissend schmunzeln müssen – wieder eine Geschichte mehr. Vor dem Stadtturm spielt die Stadtmusik Saggen gerade ein spontanes Blaskonzert, Innsbruck weiß unterwegs wirklich zu belohnen. Auf meinem Heimweg nach St. Nikolaus begegne ich auf Innsbrucks ältester Brücke wie immer auch dem Wach-Kreuz. Diesmal aber bleibe ich stehen, schlage die Innsbrucker Stadtspaziergänge auf und lasse mir erzählen.

 

Fotos, sofern nicht anders angegeben: © Christian Weittenhiller

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