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Jahrelang habe ich von ihm gehört. Aber nirgends fand ich ausführliche Erklärungen, Deutungen oder gar handfeste Fakten, denen ich trauen konnte. Zu meiner großen Überraschung gibt es über dieses Natur- und Kulturdenkmal kaum zuverlässige Informationen. Und schon gar keine guten Bilder. Es geht um den ‚B’schriebenen Stoa‘, bisweilen auch ‚G’schriebener Stoa‘ genannt.

„Beschriebener Stein“ deshalb, weil auf seinen glatten Seitenwänden sogenannte Petroglyphen, also Felszeichnungen sichtbar sein sollen. Ich wollte endlich wissen, was es mit diesem rätselhaften Stein wirklich auf sich hatte und rüstete zu einer kleinen Expedition ins Viggartal. Nicht ohne vorher noch dem Meissnerhaus mit seinen aussergewöhnlichen, ja legendären Kachelöfen einen Besuch abzustatten.

Über den Patscherkofel zum Meissnerhaus

Ich wählte also den Weg von Igls aus über den Patscherkofel. Zuerst mit der Seilbahn. Anschließend dann zu Fuß auf die Spitze des Innsbrucker Hausberges mit der gemütlichen Gipfelstube. Von hier aus geht’s weiter bis zur Boscheben-Hütte, wo der Abstieg ins Viggartal zum Meissnerhaus beginnt.

Viggartal

Der grandiose Blick ins Viggartal vom Patscherkofel aus.

Wie der Name schon sagt, ist es die Hütte der Stadt Meissen in Sachsen, die den Wanderern als Schutzhaus dient. Meissen als europäische Porzellan-Hauptstadt hat es sich nicht nehmen lassen, die beiden Kachelöfen dementsprechend kunstvoll zu gestalten. Man darf schon behaupten, dass das Interieur des Hauses heute noch überaus nobles Flair ausstrahlt.

Meissnerhaus, Viggartal

Einer der zwei Kachelöfen mit den ganz besonderen, handgefertigten Meissner-Kacheln auf dem Meissnerhaus.

Vom Meissnerhaus geht’s dann in Richtung Talende. Was mich bei der rund 2-stündigen Wanderung vor allem interessierte, waren die Formen der Berge des Viggartales. Meine Hypothese lautet: Sollte der B’schriebene Stoa Teil eines alten Kultplatzes sein, müsste sich auch eine pyramidenförmige Bergspitze finden. Weshalb genau, erläutere ich weiter unten anhand von Fotos.

Viggar Hochleger

Am Viggar-Hochleger tauchen die ersten Schalensteine auf. Ein Hinweis auf die prähistorische Nutzung?

Schalenstein Viggar Hochleger

Ein Schalenstein

Erste Anzeichen, dass diese Gegend bereits von Menschen der Vorzeit begangen worden ist, fand ich auf den Almwiesen des Viggar Hochlegers. Auf dieser Hochalm stolpert man regelrecht über Schalensteine. Darunter versteht man kleine und/oder grosse Steinblöcke oder Felsplatten, auf denen sich schalenartige, meist halbkugelförmige Vertiefungen natürlichen oder künstlichen Ursprungs befinden. Wie die Schalen in den jeweiligen Stein gekommen sind, ist nicht klar. Es müssen nicht immer von Menschenhand geformte Schalen sein. Die Natur ist zu solchem auch fähig.

Wer die Steine wann bearbeitet hat, ist nicht bekannt. Aber für mich sind sie in Tirol zumeist ein Hinweis auf naheliegende Kultplätze. Der B’schriebene Stoa soll ja auf einem Kultplatz stehen, wird in einigen kurzen Texten behauptet, die im Internet aufzufinden sind.

Der B’schriebene Stoa im Viggartal und sein Menhir

Vom Viggar Hochleger sind es dann nur noch wenige Höhenmeter bis zur jener Talstufe, auf der sich der mysteriöse Stein befindet. Aber noch bevor ich diese Stufe erreiche, sticht mir ein bemerkenswerter Stein ins Auge. Dreieckig, rund 2 m hoch und mit größter Sicherheit ‚gesetzt‘. Also von Menschen an diesem Platz aufgestellt. Kurz: ich hatte einen Menhir entdeckt, einen ’stehenden Stein‘. Und bei meiner näheren Erkundung sehe ich dann den für mich unverbrüchlichen Beleg dafür, dass ich hier auf einem vorzeitlichen Kultplatz stehe: die Viggarspitze mit der Form einer wunderschönen, regelmäßigen Pyramide. Weshalb ich das behaupte? Weil in Tirol sehr viele prähistorische Kultplätze von dreieckigen Bergspitzen flankiert werden. Die uralte Wallfahrtskirche in Obsaurs wird von der Tschirgantspitze ‚bewacht‘. Über einen der größten Brandopferplätze der Alpen, dem Igler Goldbichl, thront die Serles. Sogar die Burgstall-Kapelle in Mayrhofen im Zillertal hat quasi ihren eigenen, dreieckigen Hochaltar. 

Menhir und Viggarspitze im Viggartal

Dieser Menhir flankiert den B’schriebenen Stoa. Von hier aus sehr gut sichtbar: die wunderbare Viggarspitze, die Beherrscherin des Viggartales.

Und dann stehe ich vor dem B’schriebenen Stoa, einem unglaublich massiven, rund 10 m hoch aufragenden Steinkoloss aus Glimmerschiefer. Er ist dreikantig und hat am Boden einen Umfang von 17 Meter. Ich schätze seine Höhe auf 8-9 Meter. Steinritzungen, die auf ihm vorhanden sein sollen, (b’schrieben) sind kaum noch zu erkennen. Und wenn, ist nicht klar, was sie bedeuten könnten. Es gibt die Ansicht, es handle sich dabei um ‚Hauszeichen‘ jener Bauern, die früher ihre Tiere auf die Almen des Viggartales aufgetrieben hatten. Andererseits wird behauptet, im Stein sei in kaum mehr kenntlichen Buchstaben zu lesen „Maximilian 1489“. Ich konnte davon nichts entdecken. Unbestritten ist, dass Kaiser Max das Tal gekannt hatte, es ist in seinem Jagdbuch angeführt.

Der Bschriebene Stoa und sein Bezugspunkt, die Viggarspitze als natürlich Pyramide im Hintergrund.

Viel wichtiger ist für mich die Tatsache, dass vom B’schriebenen Stoa aus die Viggarspitze in ihrer ganzen Pracht und Schönheit zu sehen ist. Denn diese Kombination macht den Platz zu einem mystischen Ort. Und dass diese Ebene auf der zweiten Talstufe des Viggartales bereits vor tausenden von Jahren bekannt und beliebt war, steht seit geraumer Zeit auch wissenschaftlich fest.

Bschriebener Stein Viggartal

Die Ansicht des B’schriebenen Steins von Westen. Die Kuh im Hintergrund verdeutlicht die Größenverhältnisse.

Viggartal, Bschriebener Stein

Von solchen Felseinritzungen und -zeichnungen hat der Stein seinen Namen. Er ist quasi beschrieben.

Dominik Markl, ein gelernter Archäologe aus Ellbögen spricht sogar von einer „bedeutsamen Raststation prähistorischer Jäger“. Er berichtet in einem beachtenswerten Beitrag zur Vor- und Frühgeschichte der Patscherkofelregion von Silex-Funden in der Nähe des B’schriebenen Steines. „Unter einem Felsdach belegen zwei Brandhorizonte Feuerstellen unterschiedlichen Alters und ein Kratzer aus Silex beweist die steinzeitliche Nutzung des schützenden Daches.“ Die Felsgravierungen im B’schriebenen Stoa wiederum bezeichnet er als neuzeitlich.

Bschriebener Stein Viggartal

Ein sicher neuzeitlicher ‚Eintrag‘ am Bschriebenen Stein. Naja, Narrenhände verschmieren Tisch und Wände. In diesem Fall hieß der Narr Wechner…

Damit steht für mich außer Zweifel, dass das Gebiet des B’schriebenen Stoa von Menschen schon sehr lange begangen und vor allem geschätzt wird. Ob es ein Kultplatz war wage ich nicht zu behaupten. Die wundersame Form der Viggarspitze lässt mich das jedoch vermuten.

Die Blauen Seen des Viggartales

Die rund 200 m höher gelegenen Blauen Seen ergänzen diese fantastische Komposition einer ‚uralten‘ Landschaft. Auch auf dieser dritten Höhenstufe – dann geht’s nur noch auf die Kreuzspitze – sind Schalensteine zu finden. Vor allem aber erscheint mir die „Seegrube“, so heißt die dritte Höhenstufe im Viggartal, als ein Sehnsuchtsort. Die Jäger der Vorzeit, die hier mit Sicherheit während der Sommerjagden lebten. Und die modernen Menschen, die einen Ort der Ruhe suchen.

Wer sich für Kultplätze, Menhire und heilige Steine interessiert wird vom Viggartal genauso fasziniert sein wie die Naturliebhaber, die von der Ruhe und der schlichten Schönheit des Tales in seinen Bann gezogen werden.

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Tipps:

Eine Beschreibung der Grosse Tälerüberschreitung vom Arztal auf der Kreuzspitze und weiter zu den blauen Seen und den Geschriebenen Stein bis zum Meissner Haus finden Sie hier

Absolut lesenswert: Im Reich des Patscherkofel. Sagen und Fakten rund um Innsbrucks Hausberg und das Südöstliche Mittelgebirge. https://www.bod.de/buchshop/im-reich-des-patscherkofel-9783839104194/

Ein Link zur der besten Zusammenstellungen zum Thema „Schalensteine“ findet sich bei Franz Neururer: https://www.schalensteine.at/FACHARTIKEL.pdf

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