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Das Innsbrucker Stadtgebiet verlasse ich ja nur für ganz besondere Abenteuer. Zum Golfen nach Mieming, zum Wandern im Sellraintal, aber auch zum Theater in Telfs. Kürzlich durfte ich mich dort in eine der letzten Proben der Tiroler Volksschauspiele schleichen. Und weil sämtliche Darbietungen von „Ich bleibe hier“ dort jetzt schon restlos ausverkauft sind, will ich von meinem Besuch hier in aller Feinheit berichten. Inzwischen war ich dort nämlich auch schon ein anderes Stück - und so viel sei vorweg verraten: Ansehen muss man sich dort eigentlich eh alles.

Dicke Luft im Kranewitterstadl

Vor der Pizzeria Capello drehe ich mich suchend auf der Stelle. Hier müsste es doch eigentlich irgendwo sein. Nach ein paar Schritten ist es das auch, aber im Hinterhof, ein uralter Holzbau mit knarrender Freitreppe ins Obergeschoss. Bereits 1569 wird hier in Telfs eine Spieltenne erwähnt, hinter der ehemaligen Bäckerei Bergant, die historische Fassade ist mittlerweile wohl fest in italienischer Hand. Das Kranewitterstadl ist seiner Rolle hingegen treu geblieben, hier knarrt der Boden noch genau wie damals, auch das dunkle Dachgebälk spricht Bände, nur die Scheinwerfer sind neu. Gnadenlos heizen sie die schwere Gewitterluft, jeden Moment muss sich die Spannung hier doch entladen. Auch das Ensemble hat längst Stellung bezogen, ungewöhnlich nah, so ganz ohne Vorhang. Ein alter Tisch, ein paar Stühle, sonst nichts.

Das nackte Graun

Sphärische Klänge umspielen den bebenden Monolog der Protagonistin Trina (urgewaltig inszeniert von Wiltrud Stieger). Es ist als schriebe sie einen Brief an die verlorene Tochter, taumelnd durch Erinnerungen, die mancher wohl lieber vergessen würde. Ich bleibe hier: Auf der Telfer Kulturbühne wird die Romanvorlage von Marco Balzano zu einem nervenzerreißenden Volksschauspiel. Regisseur Lorenz Leander Haas zeichnet das Kriegsschicksal einer Familie in Graun nach, ebenjener idyllischen südtiroler Siedlung, wo heute nur noch der Kirchturm aus dem Stausee ragt. „Wenn es eich nit mit der Politik beschäftigts, beschäftigt sich die Politik mit eich!“, eskaliert Ehemann Erich (ein meisterlicher Edwin Hochmuth), in ihm brennen Wut und Widerstand. Auch Trina unterrichtet anfangs noch heimlich Deutsch, bis man ihre Lebensliebe Barbara erwischt, verprügelt und verbannt. Tochter Marika wird von Onkel und Tante nach Deutschland entführt, der einzige Sohn Michael ein Nazi.

Die Augen nach vorn

Warum heißt Leben unbedingt vorwärts gehen, will die Erzählende wissen. (Die Schauspielerin stammt selbst aus Siebenbürgen, einem deutschen Kriegsexil in Rumänien, wo Viktator Orban erst kürzlich wieder nationalistische Schlagzeilen machte.) Eleonore Bürcher spielt die Oma und kennt die Antwort: Der Herrgott setzte uns die Augen vorne in den Kopf, genau dorthin soll man im Leben auch schauen, sonst wären wir wohl Fische. Und vielleicht auch weil die Fische im Wasser heute schweigen, muss eben das Schauspiel die Geschichte von Graun erzählen und den schmerzvollen Blick in die Vergangenheit wagen.

Ob Lorenz Haas ein Hellseher sei, möchte der anwesende Rundfunk im Anschluss an das Bühnenstück wissen. Der Künstler winkt ab und muss dann doch zugeben das Bühnenbild aus Tisch und Stühlen eben genau so auch im Museum in Graun vorgefunden zu haben. Gemeinsam mit dem Ensemble hat man den Stausee besucht und dort der Geschichte nachgespürt, schön war das nicht. Ein außergewöhnliches Auge muss man dem feurig-roten Herrn Haas aber wohl trotzdem lassen, stellt er in Telfs doch ein Grauen auf die Bühne, das aktueller kaum sein könnte: Es ist wieder Krieg.

(Schlussbild von Victor Malyshev)

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