Ich wurde am 3. Oktobersonntag zum Zeugen zweier Kirchtagsbräuche, die es in sich haben: dem Zachäussingen zu früher Morgenstund‘ in Zirl und dem Kirchtagsschnölln in Axams.
Es muss schon etwas sehr Ausgefallenes sein, das mich motiviert, das Bett um drei Uhr morgens (!) mit der Kälte eines Kirchplatzes zu vertauschen. Aber: das Aufraffen hat sich gelohnt. Denn das Zachäussingen am Zirler Kirchtag rechtfertigt jede Anstrengung. Und quasi als Draufgabe habe ich mir noch einen weiteren Kirchagsbrauch angeschaut. Jenen der Axamer Kirchtagsschnöller, die am selben Tag die Almsaison mit lautem Goaßl-Knallen endgültig verabschieden.
Zum Zachäussingen. Man muss sich das so vorstellen: da versammelt sich ein halbes Dorf gegen 4 Uhr 30 vor der Pfarrkirche. Ein Feuer wird vor dem Eingang entzündet, die Glocken läuten mindestens 1/4 Stunde lang, wenn nicht länger.
Erst einzeln und dann alle gemeinsam, ein gewaltiges Geläute quasi mitten in der Nacht. Und dann noch der Name Zachäus. Das war übrigens ein reicher Typ, der laut Bibel für die Römer Abgaben eingetrieben hatte. Und dennoch – vermutlich – im Himmelreich landete, weil er Buße tat.
Kinder wärmen sich am offenen Feuer vor der Zirler Pfarrkirche
Gegen die feuchte Kälte brennt vor dem Kircheneingang ein Feuer, an dem sich die Kinder wärmen. Nachdem Musikanten und Sänger in die Kirche eilten, erschallt plötzlich Musik und Gesang aus der Glockenstube. Das Zachäussingen hat begonnen. Ein Brauch, der erst vor kurzem zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO geadelt worden war.
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Von Hölle, Tod und Teufel
Immerhin stammt die schriftliche Aufzeichnung des Zachäusliedes aus dem Jahre 1723, verfasst von einem ehemaligen Frühmesser. Petra Streng, die sich intensiv mit diesem Brauch befasst hat verriet mir, dass dieses ,Bußlied‘ Teil einer Strategie von Jesuiten war, das Volk zu missionieren und zu bekehren. Offenbar ging‘s damals moralisch nicht nur an Kirchtagen drunter und drüber. Und in der Tat, die Strophen des Zachäusliedes sparen nicht mit Hinweisen auf Hölle, Tod und Teufel:
„O ihr Stein‘ laßt euch erweichen, weil der Sünder gar so hart, Und die Buß‘ will nicht ergreifen, bis man ihn in d‘Erde scharrt. Und sein Seel‘ muß ewig leiden in der heißen Höllenqual, Die so leichtlich könnte leben in dem schönen Himmelssaal.“
Nach der schaurigen ersten Stromphe, auf dem Turm gesungen, pilgern Besucher, Musikanten und Sänger auf den Platz vor der Kirche. Hier kommt die 2. Strophe des Zachäusliedes zum Vortrag. Ebenso übrigens wie das Kirchtagslied.
Am Kirchplatz wird die 2. Strophe des Zachäus- und des Kirchtagsliedes mit Unterstützung einer Bläsergruppe dargeboten.
Während das Zachäuslied also den Teufel an die Wand malt ist das Kirchtagslied doch etwas erbaulicher. Obwohl es offensichtlich vom Sterben und von der Letztmaligkeit handelt. Besonders lustig finde ich aber die Behauptung, „Tiroler jodeln schon von Weitem“:
„Nur einmal noch in meinem Leben unsern Kirchtag möcht ich seh‘n, Nur einmal noch soll mir vom Maibaum das Fähnlein bunt entgegenweh‘n. Da kommen Scharen von lust‘gen Leuten, Tiroler jodeln schon von Weitem.“
Das Zachäussingen endet am Dorfplatz, wo nach den jeweils dritten Strophen der beiden Lieder endlich die lustigen Weisen zum Zug kommen. Und: es wird sogar getanzt, und das auf der Straße. Die dramatischen Zachäustexte haben den Zuhörern offenbar keine kalten Schauer über den Rücken gejagt. Auch beim abschließenden Kirchtagskrapfen-Essen im Zirler B4-Veranstaltungssaal ist die Stimmung locker, fröhlich und ausgelassen. Es ist ja Kirchtag.
Der Zirler Kirchtag wird mit dem Tanzen auf dem Dorfplatz eröffnet.
In Axams wird am Kirchtag g’schnöllt
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Gänzlich anders, sozusagen urtirolerisch, verläuft der Kirchtag in Axams. Hier ist nicht von Büßern und Höllenqualen die Rede, schon eher vom Jodeln. Denn in Axams wird die Almsaison am Kirchtag mit Peitschenknallen (tirolerisch Goaßlschnölln) beendet. Ich hatte von diesem Brauch zufällig durch einen Insider-Tipp erfahren. Denn die Axamer hängen das Kirchtagsschnölln ganz und gar nicht an die große Medienglocke. Obwohl die Veranstaltung dann selbst auf sich aufmerksam macht. Zu laut hallen und knallen die Goaßln der Axamer an diesem Sonntag.
Zweierschnölln, vorgeführt von zwei Großmeistern der Axamer Schnöllerkunst.
Ein eigener Verein sorgt dafür, dass dieser uralte Brauch nicht zu einer touristischen Allerweltsveranstaltung verkommt. Die etwa 130 Vereinsmitglieder der „Axamer Kirchtagsschnöller„, davon 50 aktive Schnöllerinnen und Schnöller, widmen sich der Pflege dieses ureigenen örtlichen Brauchtums.
In Axams wird der wunderschöne Brauch des Schnöllns hoch gehalten. Am Kirchtag ziehen die Schnöller das letzte Mal durchs Dorf. Erst nach Dreikönig geht’s dann weiter.
Der achtjährige Franz Leis ist einer der hoffnungsvollen Talente der Axamer Kirchtagsschnöller.
Werner Schaffenrath als Obmann der 2009 gegründeten Kirchtagsschnöller begründet die Zurückhaltung bei der Bewerbung des Kirchtagsschnöllns kurz und bündig: „Das Kirchtagsschnölln ist eine Veranstaltung für die eigene Bevölkerung“, was natürlich nicht heißen soll, Nicht-Axamer oder Gäste wären nicht willkommen. Vielmehr geht es darum den Brauch und nicht seine Vermarktung in den Fokus zu stellen, was im Tourismusland Tirol die Ausnahme und nicht die Regel ist. Wird doch die Piefke-Saga in einigen Tourismusorten gelebte Praxis, wenn mehrmalige Almabtriebe mit denselben Kühen für die Touristen zur gängigen Inszenierung geworden sind. Und wenn man zudem bedenkt, dass das Kichtagsschnölln in Axams mit der Almsaison und der einzigartigen Fasnacht zu tun hat, wird der auch kalendarisch streng fixierte Brauch noch interessanter.
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Die eigentliche Wurzel des Schnöllns geht dann auch mit größter Wahrscheinlichkeit auf die Almwirtschaft zurück. Heute noch sprechen die Axamer davon, „das Viech von der Alm zu schnölln„. Konkret: 14 Tage vor dem Almabtrieb ist es erlaubt, in Axams die Goaßl – so wird die Peitsche mit der kunstvoll gearbeiteten Schnur und dem gedrechselten Griffstück genannt – zu schwingen. Nach dem Kirchtag ist dann wieder Schluss mit lustig.
Details einer Goaßl: der Griff kann für einhändig und beidhändig geschwungene Goaßln ausgestaltet sein. Die Schnur ist kunstvoll geflochten und endet im „Schmitz“, dem ausgefransten Endstück der Schnur, das durch die Überschallgeschwindigkeit beim goaßln den lauten Knall verursacht.
Die Tuxer – sicher eine der interessantesten Fasnacht-Figuren der Alpen – führen eine Goaßl mit sich.
Erst am 1. Dienstag nach Dreikönig ist es den Schnöllerinnen und Schnöllern (ja, auch Weiberleute schwingen in Axams die Goaßl!) wieder erlaubt, ihre Geräte hervorzuholen. Dann beginnt nämlich in Axams die Fasnacht. Und die berühmten Axamer Tuxer sind ja bekannt dafür, das Gerät kunstvoll und vor allem laut zu schwingen. Am Aschermittwoch ist wiederum Schluss mit Schnölln.
Es gibt offenbar keine körperliche Betätigung mehr, die nicht in Meisterschaften gipfelt. So auch beim Schnölln. Das Schwingen dieser Peitschen ist vor allem im bayerischen Rupertiwinkel, im Ötztal, in Südtirol und eben in Axams bekannt und beliebt. „Wobei wir Axamer das Handicap zu tragen haben, außerhalb der steng limitierten ‚Zeitfenster‘ nicht schnölln zu dürfen“, meint Obmann Werner Schaffenrath. Aber das macht ihm wenig aus. Denn das Schnölln gehört zu Axams wie die Axamer Lizum. Daran ist nicht zu rütteln.