
Prächtige Häuser mit farbenfrohen Wänden charakterisieren die Innsbrucker Altstadt. Was bewegte die Menschen schon vor 500 Jahren dazu, ihre Gebäude derart aufwendig zu gestalten? Guide Monika Frenzel nimmt uns mit auf eine Stadtführung durch das mittelalterliche Innsbruck.
Wagen wir ein kleines Experiment: Stell dir einen antiken Tempel und einen Straßenzug im europäischen Mittelalter vor. Wahrscheinlich sind das Ergebnis strahlend weißer Marmor und eine düstere Schlammschlacht, durch die sich pestgeplagte Miesepeter schleppen. Beides ist angesichts der Bilder, die uns Hollywood gern verkauft, mehr als verständlich. Aber um es mit den Worten von Monika Frenzel, Historikerin und Gründerin von Per Pedes Tirol, zu sagen: „Farbe war schon immer gefragt, auch in der Antike.“ Sie hat mir für MyInnsbruck erklärt, warum die Innsbrucker Altstadt – entgegen den Erwartungen – so wunderbar bunt und detailreich gestaltet ist.
Reiche Farbpalette
Was wir heute als Altstadt kennen, ist zwischen 1490 und 1520 entstanden und zählt zu den sogenannten Inn-Salzach-Städten. Soll heißen, Städte entlang dieser Flüsse teilen sich in Nordtirol, Oberösterreich und Salzburg einige Merkmale wie große Stadtplätze, Kirchen leicht abseits des Zentrums und die farbenfrohen Fassaden.
Letztere sind natürlich nicht nur in Österreich zu finden, man denke nur an die Hansestädte. „Dort war die Farbe der Häuser von den Zünften bestimmt“, erklärt Frenzel. In Innsbruck war es wohl eher eine Frage des persönlichen Geschmacks und des Füllstandes der Geldbörse, denn manche Pigmente waren enorm kostspielig. Das Rot der Purpurschnecke etwa, mit dem nur zwei Häuser verziert waren und nur eines gesichert schon im Mittelalter: Das Haus der Maria Theresianischen Normalschule in der Kiebachgasse. Einem Trend folgend wurde es im 19. Jahrhundert im legendären Schönbrunnergelb gestrichen – Begeisterung für die Lebensweise von Royals war scheinbar nicht immer ein britisches Phänomen. Die frühesten Darstellungen von Innsbruck stammen übrigens aus dem Jahr 1420, davor ist nichts über das Aussehen der Stadt bekannt.
Das Gebäude der Theresianischen Normalschule in der Kiebachgasse war einst im besonders prestigeträchtigen Rot gestrichen. Das Nacheifern der Habsburger Lebensweise bescherte ihm einen neuen Anstrich in Schönbrunnergelb.
Farbe auf Steinmauern
Der Trend zur bunten Fassade begann erst mit der Errichtung von Steinhäusern, die auf die berechtigte Feuerparanoia von Kaiser Maximilian I. und den nach ihm benannten Maximilianischen Übergangsstil zurückgehen. Im Mittelalter brannten hölzerne Städte oft bis auf die Grundmauern ab, beispielsweise Schwaz während der Freiheitskriege. Der Monarch erließ daher eine neue Bauordnung, die vorsah, dass die alten Fachwerkhäuser durch Steinbauten ersetzt werden sollten. Zwischen diesen sollten Feuertrennwände hochgezogen werden, eine solche ist bis heute zwischen dem Neuen Hof (an dem das Goldene Dachl prangt) und dem benachbarten gelben Gebäude zu sehen. Um den Funken gar nicht erst überspringen zu lassen, verbannte Maximilian alle Handwerker, die mit Feuer hantierten, nach Anpruggen, das heutige Sankt Nikolaus und Mariahilf. Durch diese Vorsichtsmaßnahmen blieb die Innsbrucker Altstadt mit ihrer fast durchgehend spätgotischen Architektur authentisch erhalten.
Zwischen den Dächern von Neuem Hof und Nachbargebäude ist eine jener Trennwände zu sehen, die Innsbruck vor einem feurigen Ende bewahren sollten.
Mit Feuer hantierende Handwerker mussten in Anpruggen, auf der nördlichen Seite des Inns, ihrer Beschäftigung nachgehen.
Fresko under cover
Die Schönheit mancher Häuser kam erst durch Zufälle zum Vorschein. Fresken waren noch teurer als bunte Fassaden – gerade recht für die vermögende Familie der Grafen Trautson, deren Stadtpalais zu den prächtigsten Innsbrucks zählte. „In Pestzeiten wurden solche Häuser mit Kalk übertüncht, aus Angst vor Ansteckung. Man vergaß die Fresken darunter“, erzählt Frenzel. Ironischerweise war es die Bombe, die im Zweiten Weltkrieg zwei gegenüberliegende Häuser zerstörte, die die Malereien wieder ans Tageslicht holte: Erst durch die Detonation begann der Kalk zu rieseln.
Details, soweit das Auge reicht
Die Bürger und Handwerker der Stadt nutzten nicht nur Farbe, um ihre Häuser zu verschönern. Wappen, Maßwerk, Reliefs und dergleichen mehr wurden eingesetzt, oft gefertigt aus Höttinger Brekzie. Dabei handelt es sich um ein Konglomeratgestein, das sich großer Beliebtheit als Umrahmung für Fenster, Türen und ganze Portale erfreute. Meister in der Bearbeitung war die Steinmetzfamilie Türing, die ob ihres Platzbedarfs ebenfalls nach Anpruggen geschickt wurde. Von ihr stammen beispielsweise die Reliefs am Goldenen Dachl.
Nicht nur die Ansicht, auch die Aussicht war den Stadtbewohnern wichtig. „Erker waren das Fernsehen des kleinen Mannes“, umschreibt die Historikerin den Stellenwert der Vorbauten. Von den Erkerbänken aus blickten die Menschen hinab und bestaunten Märkte, Spielleute und das bunte Treiben, das sich in den Gassen bot.
Eine Nummer zu groß?
Die Häuser in der Altstadt zeichnen sich laut Frenzel dadurch aus, dass sie für eine Stadt mit damals, also um das Jahr 1500, 5000 Einwohnern eigentlich eine Nummer zu groß sind. Das liegt daran, dass Innsbruck ab 1420 Residenzstadt der Habsburger war, die Hofburg ist als Sitz der Landesfürsten das drittwichtigste historische Gebäude Österreichs.
„Man kann Innsbruck nicht auf eine Sportstadt reduzieren, da fehlt etwas“, so die Expertin.
Die großzügigen Dimensionen der Häuser zeigen sich besonders in ihrer Höhe und Tiefe. Über typisch V-förmige Grabendächer wurde Regenwasser bis auf den lehmigen Stadtplatz hinabgeleitet, Lichtschächte boten Helligkeit und Platz für Kunstwerke. Die Dielen in den Erdgeschossen mussten groß genug sein, um Fuhrwerken Platz zu bieten. Der einzige beheizbare Raum war die Stube – je höher der Rang der Bewohner, desto näher schliefen sie an ihr. Auf diese Zeit ging auch die Erfindung des Himmelbetts zurück, das Privatsphäre schuf und vor herabfallendem Ungeziefer schützte. Meist fanden sich Innenhöfe, in denen neben den Latrinen auch Kleinvieh wie Schafe und Ziegen untergebracht waren.
Erker, schräg zulaufende Erdbebenpfeiler an Hauswänden, Details in Brekzie: So kennt man die Innsbrucker Altstadt.
Prost Mahlzeit
Was in dieser Auflistung von Merkmalen fehlt, ist eine anständige Kanalisation. Stattdessen gab es offene Wassergräben, die Ritschen, in die alles außer Schlachtabfälle geworfen werden durfte. „Man muss annehmen, dass Kinder zu allen Zeiten nicht gefolgt haben“, nennt Frenzel einen Grund dafür, warum immer wieder Wellen von Darmkrankheiten auftraten, wenn das brackige Wasser getrunken wurde. Erst mit dem Bau eines Brunnens vor dem Goldenen Dachl fanden die „Leidigen Läuf“ schlagartig ein Ende. Wer mehr über die olfaktorisch fragwürdigen Seiten der Innsbrucker Geschichte erfahren möchte, dem sei die Stadtführung „Anrüchige Geschichte – Innsbrucks Alltag im Mittelalter“ von Per Pedes empfohlen.
Übrigens hatten die Menschen damals nicht nur mit drohendem Feuer, gelegentlichen Überschwemmungen und Pestausbrüchen zu kämpfen. Dank seiner Lage auf einer Erdbebenlinie wurde die Stadt immer wieder erschüttert, was in einer besonders massiven Bauweise resultierte. Einige Türme stürzten in sich zusammen, doch die Bürgerhäuser blieben erhalten. Wer aufmerksam hinsieht, wird immer wieder historische Schutzmaßnahmen entdecken. Zum Beispiel eiserne Klammern, die Hausmauern zusammenhalten, oder massive Stützpfeiler an den bunten Fassaden – wieder aus der bewährten Höttinger Brekzie.
Bilder, sofern nicht anders gekennzeichnet: Florian Riedl
Headerbild: © Innsbruck Tourismus / Frank Heuer
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Begeisterungsfähige Tirolerin mit einem Hang zum Absurden. Springt gern über Mauern und nutzt die resultierenden blauen Flecken dann als Rorschachtest.
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