Freirad-Innsbruck-1

Dass Innsbruck einen kleinen Radiosender hat, muss einem überhaupt erstmal zu Ohren kommen. Wozu auch Sendungsformate mit festgelegtem Stundenplan, wenn jeder Streamingdienst doch willig liefert, was man gerade so lauschen will? Dass es dafür überraschend viele gute Gründe gibt, beweist Freirad 105.9 in entsprechend kunstvoll schillernden Facetten. Eine davon durfte ich kürzlich quasi privat kennenlernen - als mich Moderator Alessandro in seine einzigartige Sendung eingeladen hat.

Hunderfünfkommaneun

Man muss hier kurz die Geschichte vom Freirad erzählen, denn sie ist schön und spannend: Das Freie Radio sendet in Innsbruck schon seit einem Vierteljahrhundert, gut die letzte Hälfte davon legal. Früher war man nämlich ein waschechter Pirat_innensender und leistete als Radio Radiator wertvolle Kulturpionierarbeit: Anfang der Neunziger funkt eine Handvoll politisch begabter Student_innen, üblicherweise freitags, halbstündige Sendungen über Innsbruck, sorgfältig vorproduziert auf Tonbandkassette. Immer auf der Flucht vor der Funküberwachung (heute Fernmeldebehörde) im Puch Geländewagen, man geht mit angemessener Härte gegen diese Freigeister vor. Kann man keine fassen, werden die schwachen Sendefrequenzen überlagert, vorzugsweise mit Radio Maria. Schließlich schafft es die Angelegenheit sogar vor den Verfassungsgerichtshof, die Freigeister sind im Recht, das österreichische Rundfunkgesetz wird angepasst und seit Juli 2002 sendet Freirad werbefreies Kulturprogramm auf Hunderfünfkommaneun.

Non Solo Italo Disco

Natürlich macht auch Alessandro nicht einfach so Radio. Akribisch bereitet er jede seiner Sendungen vor. Auch mich, wir treffen uns Wochen vorher zum Konzeptgespräch für unsere gemeinsame Ausgabe von Non Solo Italo Disco. Ales hat mich in seine Künstlerwohnung eingeladen. Im Hintergrund spielt ein Radio energiegeladene Riffs, die man im italienischen Ausland nirgendwo hört. Obwohl seine Heimat irgendwo zwischen Italien, der Schweiz und Österreich wurzelt, ist Amore sehr stark in ihm. Das merkt man auch im Freien Radio, hier baut er den italienischen Underground-Riffs eine liebevolle Bühne. Moderiert wird zweisprachig auf Deutsch und Italienisch – Kultur verbindet, wo Sprache trennt. Die tiefsinnigen Texte bekommen Non-Italos wie ich darum feinsinnig übersetzt vorgetragen, sodass man im Anschluss überraschend frei ins Unbekannte lauscht.

Sendungsformat mit Seele

Freies Radio heißt, dass Menschen ihr eigenes Programm selbst gestalten können. Und Alessandro hat sich für unsere Sendung etwas Besonderes überlegt: Jeder von uns bringt fünf handverlesene Songs mit, die wir nicht nur uns gegenseitig, sondern auch unserem geschätzten Publikum an den Volksempfängern vorstellen werden. Weil mein Italienisch aber höchstens für eine Pizza reicht, sammle ich die Wochen vor unserem Sendetermin alle deutschsprachigen Lieblingslieder, die mir so einfallen. Es sind einige, doch nur etwa zehn passen in unsere gemeinsame Stunde Freirad. Handschriftlich notiere ich mir Wissenswertes, markiere die schönsten Textpassagen, recherchiere Geschichtliches. Lange habe ich mich nicht mehr so intensiv mit meiner Lieblingsmusik auseinandergesetzt, ich entdecke dabei ganz neue Intimitäten. Als wir uns am Sendetag beim Innsbrucker Burrito Kartell Machete treffen, bin ich mehr als aufgeregt: Schafft ihr noch zwei schnelle Burritos? Wir sind gleich auf Sendung! Den Satz wollte ich schon immer mal sagen.

Amore on Air

Ein unscheinbarer Hinterhof in unmittelbarer Nähe Westbahnhof. Wüsste man es nicht besser, man würde hier keinen Radiosender vermuten – immer noch ein bisschen Piratenfeeling. Die Räumlichkeiten sind funktional gemütlich, nur die Toilettentür am Gang klemmt fürchterlich, weswegen Alessandro sogar fast selbst seine erste Sendung verpasst hätte. Dem kleinen Studio wohnt ein besonderer Charme inne, am Teleskoparm mit dem dicken Mikro fühle ich mich sofort wohl. Sich selbst beim Sprechen zu hören, bleibt trotzdem seltsam. Nach dem Soundcheck stelle ich mich noch einmal in die eiskalte Nacht, um das Lampenfieber abzukühlen. Dann erklingt die Signation von Freirad und wir sind On Air.

Momente für immer

Weil doch ein paar Eingeweihte wissen, dass ich heute zum ersten Mal Radio mache, wird auch außerhalb Innsbrucks via Webstream mitgehört. Alessandro begrüßt die Freirad-Gemeinde mit selbstsicherer Routine, packt sein schönstes Italienisch aus und ist sofort in seinem Element. Als der erste Track läuft, lehnt er sich entspannt zurück, dreht das Radio auf und grinst: Schau, das sind wir. Es ist ein wunderschönes Gefühl. Eine Stunde lang tragen wir unsere Herzen auf der Zunge, teilen unsere intimen Musikgeschichten mit der Welt und genießen diese unwirkliche Freiheit gemeinsam. Die Stunde ist so kurz, dass sie plötzlich einfach vorbei ist. Wir bleiben noch ein wenig sitzen, spüren unserer Sendung  nach und bewundern die teils noch antike Technik im Studio. Irgendwo zaubert Ales eine Sofortbildkamera hervor und lässt den Selbstauslöser zwei Schnappschüsse schießen. Eine analoge Erinnerung für jeden von uns, den digitalen Podcast unserer Sendung kann man hier nachhören. Alle anderen Beiträge von NSID (Non Solo Italo Disco) natürlich auch.

Wer nun Lust bekommen hat, das Freie Radio Innsbruck etwas näher kennen zu lernen, lauscht im Großraum Innsbruck der Sendefrequenz 105.9 oder nutzt den Freirad Webstream weltweit. Wie man dort auch selbst Radio machen kann, erfährt man via Vereinsworkshop, aber auch einfache Spenden sind dort gerne willkommen - ein hochwertiges Audiokabel wäre echt mal nötig. Wer Radio aber am liebsten einfach nur genießt, trifft Ales jeden ersten Donnerstag im Monat, ab 22 Uhr im Äther. Und ich überlege mir inzwischen ein eigenes Sendungsformat – wir hören uns dann auf Freirad!

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