arzler scharte

Kann Quarantäne spannend sein? Für Innsbruck schon. Jetzt wird urplötzlich Wirklichkeit, was ich mir vom Innsbrucker Stadtarchiv immer schon gewünscht hatte: einen digitalen Stadtrundgang durch das historische Innsbruck machen zu können. Und das am Sofa sitzend. Das Stadtarchiv ‚packt aus‘. Und das im wahrsten Sinn des Wortes. Eine attraktive neue Website stellt rare Fotodokumente in digitaler Version vor, die bisher unter Verschluss gehalten werden mussten, weil nur auf Glas, Celluloid oder Papier vorhanden. 

Alte Höttinger Kirche

Am Turm der alten Höttinger Kirche fehlte 1931 etwas, als die Aufnahme gemacht wurde. Aber was? Bild: Stadtarchiv Innsbruck

 

Dr. Lucas Morscher und Niko Hofinger haben gemeinsam mit den Mitarbeitern des Stadtarchivs ein neues Präsentationskonzept aus dem Boden gestampft. Die Grundidee: Man wollte in Zeiten der Krise die Geschichte der Stadt aus einem leicht veränderten Blickwinkel präsentieren. Der Zeitpunkt und Inhalt sind den unerfreulichen Viren-Umständen geschuldet.

Wer hat schon vom ‚Wolfele Wilde‘ gehört?

Der Ansatz der Website ist völlig neu. Es sind nicht die ‚touristischen Hotspots‘ wie das Goldene Dachl oder die Hofburg, die im Mittelpunkt stehen. Sondern Orte, Gebäude oder Menschen, die weithin unbekannt oder nur wenig berühmt sind. „Es sind nicht Hinterhofgeschichten im engeren Sinn, die wir dokumentieren. Aber es sind Begebenheiten oder Beschreibungen, die man so nicht kennt, meistens gar nicht kennen kann“, erzählt mir Morscher telefonisch, weil in seinem Home-Office sitzend.

Wolfele, Stadtarchiv Innsbruck

Josef Pradler hießt der Mann, den sie in Hötting Mitte des 19. Jahrhunderts „Wolfele Wilde“ genannt hatten. 50 Jahre lang lebte der Mann als Einsiedler im Wald ob Hötting, wo er 1894 tot aufgefunden worden ist. Bild: Stadtarchiv Innsbruck

 

Ein herausragendes Beispiel ist die Geschichte des ‚Wolfele Wilde‘, einem Einsiedler, der ob einer verschmähte Liebe in den Wald bei Hötting gezogen war. Oder jene von Anton Hotter, einem Straßenkehrer, der in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts eine wahre Berühmtheit auf Innsbrucks Straßen gewesen ist.

Anton Hotter, Staßenkehrer, Stadtarchiv Innsbruck

Anton Hotter war Straßenkehrer, aber zwischen 1920 und 1930 eine kleine Berühmtheit in Innsbruck. Er posierte vor der Triumphpforte (gerne gegen ein kleines Trinkgeld) und zierte sogar Postkarten. Bild: Stadtarchiv Innsbruck

Sechs Champagnersorten auf der Speisekarte

Da kommt teils Überraschendes zutage, das meist nur Spezialisten oder älteren Menschen bekannt gewesen ist. Wie jener künstliche See auf der Hungerburg, der zwei Jahre lang ein wahrer Anziehungspunkt für Innsbruck-Touristen gewesen war. Aus allen Winkeln der damaligen Monarchie fanden Reisende den Weg hierher. Der Hotelstandard des „Seehof“ befand sich auf internationalem Niveau. Die Getränkekarte des Hauses enthielt nicht weniger als 25 Wein- und sechs Champagnersorten. Die Jahrhundertkatastrophe des 1. Weltkrieges setzte auch diesem mondänen Zauber ein jähes Ende.

Hungerburgsee und Seehof, Stadtarchiv innsbruck

Der Hungerburgsee mit dem Nobelhotel Seehof wurde 1912 in Betrieb genommen. Der 1. Weltkrieg setzte dem mondänen Zauber zwei Jahre später ein jähes Ende. Bild: Stadtarchiv Innsbruck

 

 

„Wir können aus einem riesigen Fotoarchiv wählen“, freut sich Dr. Matthias Egger, Mitarbeiter des Stadtarchivs. Mit insgesamt 150.000 Fotos besitzt das Stadtarchiv österreichweit vermutlich das größte Archiv. „Jedenfalls haben wir genug Material“, lacht der Spezialist für Militär- und regionale Geschichte. Dass die Seite in Zukunft weiter bestehen und ausgebaut wird ist heute schon fix. „Sie wird die Zeit der Quarantäne mit Bestimmtheit überleben“, versichert Archiv-Direktor Morscher.

Exklusives Fotorätsel

Die Mitarbeiter des Stadtarchivs sorgen quasi aus der Quarantäne heraus dafür, dass die Inhalte stetig erweitert werden. Da müssen Fotos gescannt und Geschichten geschrieben werden. Was wiederum Recherchen nötig macht. Aber für Mitarbeiter eines Stadtarchivs nicht wirklich schwierig. Und wie immer ist das Stadtarchiv dankbar für Rückmeldungen und Hinweise. Diese können jederzeit ohne Schwierigkeiten in den Kommentarspalten der Website gemacht werden. Diese Spalten sind auch für jene wichtig, die das exklusive Wochen-Fotorätsel lösen können. Wer kann das unten stehende aktuelle Rätsel lösen?

Aquarell, Stadtarchiv innsbruck

Das Rätsel dieser Woche: Was zeigt dieses Aquarell? Die Straße in der Bildmitte gibt es heute noch, aber mit etwas mehr Fahrzeugen. Die Gebäude links und rechts gibt es nicht mehr, aber das Bauwerk links dahinter steht heute noch unverändert. Bild: Stadtarchiv Innsbruck

 

Ich bin mir absolut sicher, dass diese außergewöhnliche Website nicht nur mit ihren Rätseln für Spannung am Computer sorgt. Sie vertreibt die Langweile der Quarantäne (#dahoambleibn – #bilderschauen – #gschichtenlesen) und ist gleichzeitig eine Liebeserklärung an eine der schönsten und lebenswertesten Städte der Welt.

Hier geht es zur Website: https://innsbruck-erinnert.at/

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