
Das Stift Stams ist ein Ort sagenhafter Besonderheiten. Man kann dort am Meinhardinum studieren, feinster Kammermusik lauschen, fürstlich feiern und tafeln und im Kloster noch bis heute als echter Klosterbruder leben. Inmitten herrlichster Alpenlandschaften bewahren die Mönche des Stamser Zisterzienserordens ein wundersames Gleichgewicht zwischen Tradition und Moderne. Wie eines der ältesten Tiroler Klöster auch in der Gegenwart eine lebendige und relevante Rolle spielt, wollte ich aus allererster Hand erleben: Wie ich dort für einen Sommerabend selbst ein bisschen Klosterbruder wurde, mir im Kreuzgang der heilige St. Anton erschien und warum auch manchmal Mönche auf die Alm getrieben werden.
Singen und Schweigen
Im goldenen Licht der Abendsonne glänzt das Stiftsportal wie das leibhaftige Tor zum Himmel. Es ist unwirklich still hier, nur der Wind spielt in den alten Bäumen und trägt von der Basilika engelsgleiche Stimmen an mein Ohr. Als sich Pater Lukas gegen den mächtigen Torflügel stemmt, schlägt uns kühle Klosterluft entgegen. “Wir müssen jetzt ganz still sein”, legt er verschwörerisch einen Finger an die Lippen, “die Wiltener Sängerknaben sind heute für Aufnahmen hier!”.
Das malerische Stift Stams wurde einst als Grablege des Adels errichtet.
Schon die Pforte lässt hier alte Schätze erahnen.
Während die Mönche ihre Gebete singen, schweige ich fromm.
Im Kreuzgang ist sonst selbst den Mönchen allerhöchstens ein Flüstern erlaubt, doch zu Gesang und wohliger Gänsehaut schweigt man eigentlich eh ganz gern. Andächtig und ohne Hast durchqueren wir den Gewölbegang, treten durch eine unscheinbare Seitentür und stehen plötzlich im hochbarocken Kirchenschiff der Basilika. Ich bin zur Abendvesper der Mönche eingeladen, dem gemeinsamen Abendmahl und vorletzten Gebet des Tages. Die Knaben stürmen in die Pause, Pater Lukas fasst sein ledergebundenes Gebetsbuch und erbittet von mir nur meditatives Schweigen.
"Dein Stock und Stab trösten mich."
Rückblickend eine Erlösung, denn die heiligen Gesänge folgen mir gänzlich unbekannten Regeln, ich wäre heillos verloren, trotz Liederbuch, Amen. Nur das lateinische Pater Noster klappt im Stillen so semi und ich schicke ein dankbares Stoßgebet an meine Schulzeit Richtung Himmel. Im Anschluss verbeugen wir uns demütig vor der Segnung, empfangen einige Spritzer Weihwasser und prozessieren schließlich im Gänsemarsch durch die Gewölbegänge Richtung Speisesaal. Das Abendmahl ist schlicht aber schmackhaft, es gibt Reisfleisch und Sprudelwasser, danach Mehlspeis mit Zwetschgenkompott.
Im Gänsemarsch geht's zum Abendessen.
Die Tafelform ist dem letzten Abendmahl nachempfunden - passt auch heute.
Stille Orte gibt es hier viele - ganz absichtlich und zur Besinnung.
Ob man im Kloster eigentlich das Konzept der Eile kennt, frage ich Pater Lukas, als wir uns anschließend auf einen Abendspaziergang durch die Klostergärten begeben. Dieser schmunzelt, faltet die Hände und geht nun gefühlt noch etwas gemächlicher: “Die Glocke und das Gebet geben uns Rhythmus, Struktur. Alles andere kann warten. Es gibt hier auch viele stille Orte, um einen Gang zurückzuschalten. Siehst du die Alm da oben? Gleich daneben den Kirchturm? Auf 1.100 Metern steht im Stiftswald die höchstgelegene Rokoko-Kirche der Alpen.” Soeben stimmen die Sängerknaben einen Lobgesang an und vor meinem inneren Auge prozessiert ein Almabtrieb festlich geschmückter Mönche. Ich nicke verstehend: Psalm 23.
"Geheiligt werde dein Name"
Mitglieder eines Zisterzienserordens (Ordo Cisterciensis oder kurz OCist, nach dem ersten französischen Kloster im Jahre 1098) erkennt man übrigens auch im Stift Stams am schwarzweißen Habit (Ordensgewand). Außerdem an zwölf edlen Stufen der Demut, verfasst um 540 von einem gewissen Bruder Benedikt von Nursia. Unter anderem steht in der Regula Benedicti geschrieben: Gelassenheit. Und vielleicht auch, weil wir gerade den kleinen Klosterfriedhof erreichen, schreiten wir nun noch ein wenig andächtiger. Hier liegen die verstorbenen Mitbrüder - und Lukas kennt sie alle. Am Todestag wird für jeden einzelnen gebetet, sehr gründlich, denn zu jedem gibt es genaue Niederschriften. Und nach 751 Jahren Klostergeschichte sind das an manchen Tagen schon ganz schön viele Gebete. Unser kurzes aber sehr andächtiges Schweigen (ebenfalls benediktinisch wertvoll) umspielen im Sommerwind die glockenhellen Sängerknabenstimmen aus der Stiftsbasilika und der anbrechende Abend fühlt sich wunderbar heilig an.
Im Garten liegen die Mitbrüder - gedacht wird ihnen bis heute.
Die Obstgärten, der Stiftswald, der Stamserbach und sogar die Alm - gehören dem Stift.
Erst kürzlich frisch für Feierlichkeiten restauriert: Das barocke Partyhaus im Garten.
Überhaupt wird neben der Arbeit ja viel gebetet. Neben dem eigenen Offizium (Tagesgebet) aus Laudes (Lobgesänge, 6 Uhr), hl. Messe (07:15 Uhr), Lesehore (hl. Schrift, 12 Uhr), Vesper (Abendlob, 17:30 Uhr) und Komplet (Nachtgebet, 19 Uhr), sind da auch noch die unzähligen Gebetsanliegen der Gläubigen. Gebetet werden ausnahmslos alle. Siehe da: Auch Ausdauer ist eine benediktinische Tugend. Einbringen kann man sein Anliegen inzwischen übrigens auch ganz bequem (und anonym) online – man geht ja mit der Zeit, schmunzelt der Pater. Das jeweilige Anliegen sollte aber gern recht sorgfältig beschrieben werden, denn das hilft den Brüdern dann möglichst genau zu beten. Zur besten Zeit zählte das Mönchskapitel 58 aktive Brüder, heute sind es nur noch 13. Den Kapitelsaal, wo das Kapitel für besondere Anlässe zusammentritt, schmücken feine Intarsien edler Hölzer. Hier finden Abtswahl, Andachten und Konzerte (etwa ein "alternatives Silvester") statt.
"Sie verließen alles und folgten ihm." - Lukas 5:11
Ein echter Klosterbruder wird man jedoch keinesfalls einfach so. Ein "göttlicher Ruf" muss da schon vorliegen, in welcher Form auch immer, so Lukas. Denn die Entscheidung sein Leben fortan dem Herrn (und seinen Lämmern) zu widmen, will wohlüberlegt sein! Seit dem Mittelalter durchläuft eine Mönchwerdung die immergleichen heiligen Instanzen: Als Kandidat lernt man zunächst bis zu ein Jahr lang die Gemeinschaft und das Kloster kennen. Nach erfolgreicher Probezeit tritt der Konvent zusammen und stimmt über die eigentliche Aufnahme ab. Man legt dabei sein altes Ich ab, bekommt seine Kutte und sucht sich auch einen neuen (Mönchs-)Namen aus. Dann folgt das einjährige Noviziat voller geistlicher Lesungen, Chorgebet sowie Ordens- und Klostergeschichte. Die anschließende zeitliche Profess, also das Versprechen fortlaufender Vertiefung und Ausbildung, dauert weitere drei bis fünf Jahre und überträgt auch Verantwortung im Klosteralltag – etwa als Koch, Gärtner, Bäcker, Landwirt, Fischer, Priester oder in der Verwaltung klostereigener Betriebe, je nachdem.
Im altehrwürdigen Kapitelsaal tritt das Mönchskapitel zusammen. Daher wohl auch "ein neues Kapitel aufschlagen".
Das weltliche Ego
Schlussendlich folgt die feierliche, ewige Profess samt Gelübde und Profess-Urkunde. Ein absoluter Höhepunkt der Mönchskarriere. Das eigene Selbst zurücklassen und sich ganz dem Dienen zu verpflichten, das fällt nicht jedem leicht. Als kleiner Leitfaden dient die sogenannte Correctio Fraterna, also die brüderliche Zurechtweisung, um Mitchristen auf Verfehlungen und Sünde aufmerksam zu machen. Denn auch Selbstverleugnung, Selbsterniedrigung und Reue listet die Benediktsregel – vulgo die spirituelle Auslöschung des weltlichen Egos. “Immer wieder merken wir, dass gewisse Wege doch einfach ihre gute Zeit brauchen.”, sinniert Pater Lukas. Und ich resümiere mir zwischen weltlichem Tod und geistlicher Wiederauferstehung gewisse Parallelen zu einem hier gut bekannten Sohnemann zusammen, der für uns ja einst ganz ähnliche Wege zur Erlösung ging.
Glocke und Gebet – außer es gibt Gäste!
“Das Gebet ist allem vorzuziehen, außer der Begegnung.”, so Pater Lukas. Und auch “Gäste sollen dem Kloster nie fehlen!”, steht da geschrieben, in den alten Anweisungen in den Klosterarchiven. Nach Stams kamen die Gäste aber immer gern: Die Pilger, die Künstler, die Armen und Kranken, auch die Adeligen, also alle eigentlich. Für ein einfaches Essen, ein Lager für die Nacht, für Rat und Beistand, die Beichte und ein Gebet oder für ein linderndes Elexir und ein Ave Maria für den Großvater am Sterbebett. Früher war das Stift sogar die einzige Apotheke im Tiroler Oberland, viele kamen von weit her und manche der heilsamen Elixire werden noch bis heute hier gebrannt.
Ohne Luxus leben die Mönche hier.
Der stille Herrgottswinkel samt Kruzfix darf nicht fehlen - auch eine alte Tiroler Tradition.
Hier der Bildbeweis, sonst glaubt's mir wieder keiner.
Just in dem Moment tritt ein Pilger durch die Stiftspforte, Pater Lukas flüstert nur ein paar Worte und ohne Umstände wird der müde Wanderer in ein Quartier begleitet. Ein einfaches Refugium, wie es auch die Mönche bewohnen. Manche kommen auch für Exerzitien zu uns, intensive Übungen der geistlichen Einkehr, zum Schweigen und Beten etwa, berichtet mir der Gottesmann. Stille Tage in der Klausur des Klosters, mit geistlicher Begleitung durch Pater Lukas. (Wer darauf Lust hat, meldet sich hier direkt bei ihm.) Ob das wohl auch für mich was wäre? Und noch im selben Gedanken öffnet sich die heilige Pforte erneut und in den letzten Strahlen der Abendsonne erscheint dort der "heilige St. Anton von Mattle", Schutzpatron der Christlichsozialen. Lächelnd reicht er mir die Hand und entschwindet sogleich wieder, für eine Recherche in den Klosterarchiven, flüstert Lukas allwissend.
Heiliger Geisterkeller
Wieder knarrt die Pforte und ein junger Geistlicher im Talar steht vor uns. Er senkt den Kopf und hat eine fromme Bitte: Ob der ehrwürdige Pater ihm nicht die Seitentür aufsperren könnte, er würde so gern etwas lauschen! Erst schüttelt Lukas den Kopf, hält aber kurz inne und winkt ihm dann doch: Der alte Schlüssel kratzt im Schloss und die Holztür knarrt nur einen Spalt weit auf, wir huschen hindurch, platzieren uns im leeren Gestühl der Basilika und sind schon umgeben von den Engelsstimmen. Randnotiz: Alle Aufnahmen der Sängerknaben sind übrigens hier erhältlich, Gänsehaut gibt's inklusive.
Privatkonzert der Wiltener Sängerknaben - himmlisch!
Im Herzen der Basilika: Die geradezu schmucklose Grablege des Adels.
Im Keller lagern die heiligen Geister fassweise.
Und wahrlich: Ein schmackhafter Segen.
Nach einigen stillen Momenten der Einkehr stehlen Lukas und ich uns hinaus und hinunter in die alten Kellergewölbe des Klosters. Den jungen Geistlichen lassen wir ganz selig sitzen. Im Tiefgeschoss liegen die Jahrhunderte feucht in der Luft, hier lagern die erlesenen Klosterprodukte – und Elexire. Feine Marmeladen, Apfelessig, Schnaps und Liköre – einer der Brüder bäckt sogar Brot und Süßwaren für den kleinen Klosterladen. Ich darf einen der heiligen Geister verkosten, und wahrlich, der Muskatellerbrand ist von Meisterhand: Mir schießt Leben in die Adern, das Bouquet entfaltet blumige Honignoten und ganz kurz ist nochmal Sommer. Mit diesem besonderen Segen verabschiedet mich Pater Lukas an der Klosterpforte schließlich wieder zurück in mein Leben. Ob die Offenbarung des heiligen Toni schon als göttlicher Ruf durchgeht, muss ich ihn wohl beim nächsten Mal fragen. So ein modernes Klosterleben ist hier ja doch gar nicht so übel.
Stift Stams selbst erleben
Selbst erleben kann man das Stift Stams übrigens wie folgt: Festlich und kulinarisch in der Orangerie und bei den "Schwarzfischern", musikalisch bei den Kammermusiktagen, geistlich bei den Gottesdiensten, historisch im Klostermuseum sowie besonders eindrücklich im Rahmen einer Klosterführung. Wer das Stamser Klosterleben bequem von der Couch aus erkunden möchte, dem sei auch der Podcast des Paters ans Herz gelegt - hier etwa über die Stille und die eigene Berufung.
Fotos: Alle Bilder im Beitrag stammen vom Autor.
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Kleiner Schreiberling mit großen Leidenschaften. Geboren, aufgewachsen und veredelt in Tirol, liest gern und kocht fast wie Oma. Am liebsten immer irgendwo unterwegs und auf der Suche nach neuen Horizonten.
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