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Bacchus hat heute Baustelle. Die künstliche Lustgrotte des Kaisers liegt in einer schattigen Nische im Lustgarten des Schloss Ambras rechts unterhalb der Hauptburg. Hubert und Mariya, die beiden Kuratoren der Kammermusiktage „Obertöne“, treffe ich zwar oben im Schlosscafé Ferdinand, aber dem antiken Gott der Ekstase muss hier vorab gehuldigt werden, so will es der Kaiser. Um die wilden Willkommensrituale für Gäste ranken sich bis heute die Legenden. Ich verbeuge mich tief vor dem Baustellengitter, rufe einen lateinischen Gruß ins Dunkel (In Baccho et Venere! – In Lust und Liebe!) und schlendere mit dem Segen der Sünde den Kiesweg zum Schloss hinauf.

Resonierende Nebensächlichkeiten

Mit Mariya Nesterovska und Hubert Mittermayer Nesterovskiy sitzen mir im holzgepflasterten Innenhof heute die beiden Menschen gegenüber, die mit der Kammermusik-Konzertreihe „Obertöne“ im prunkvollen Bernardisaal des Stift Stams nun schon seit zehn Jahren einige der besten Musiker:innen der Welt versammeln. Zu Obertönen muss man wissen: Es sind eben jene feinen Nebenklänge, die zum angeschlagenen Grundton mitschwingen, ja, die erst die wahre Fülle und Tragweite des gehörten Tons angeben. Und es sind eben diese feinen Nebensächlichkeiten, die bei den beiden sofort auffallen: wohlüberlegte Antworten und ausgewählte Worte, um das Gesagte mit würdiger Begeisterung zu würzen. Hier sitzen zwei Menschen, denen die Musik förmlich aus der Seele fließt. Jedes Wort resoniert im Innenhof und scheint in der Stille noch ein wenig zu verweilen, bevor der Ton verlischt – ich habe Gänsehaut.

Prunk ohne Schnörkel

Das Konzept Kammermusik wurde erst im Barock wirklich aus der Taufe gehoben: klein besetzte Instrumentalmusik, klassisch im Streichquartett oder als flotter Klavier-Dreier. Im Stift Stams sieht die Sache ein paar hundert Jahre später auch eigentlich noch genauso aus wie damals: goldbesetzter Stuck, aufwändige Wandmalereien, sakrale Motive und falsche Perspektiven, die hoffnungsvoll gen Himmel streben. Nur das mit der Musik ist dank Mariya und Hubert mittlerweile doch ein bisschen anders. Kunterbunt gemischt nämlich – sie, die Schöne an der Violine, er, ein Biest am Fagott, und dann noch all die anderen: 27 Künstler:innen aus elf Ländern begeisterten das Publikum der Obertöne seit dem Gründungsjahr 2014. Nachzuhören übrigens online, wo alles meisterhaft mitgeschnitten und für die Ewigkeit in Bits und Bytes gepresst wurde. Dass die beiden Kuratoren zwei ausgewachsene Perfektionisten sind, steht für mich längst außer Frage. Dass sich viele musikalische Fragen trotzdem erst auf der Bühne klären, überrascht dann umso mehr.

Concertare unter Kam(m)eraden

Telemann.brahms.mittermayer.lecic.pisendel.nisinman – schon das Programm am ersten der vier Konzerttage vom 13. bis 17. September liest sich wie ein erlesenes Degustationsmenü. Und da muss Mariya schon wieder schmunzeln, denn genau so ist es doch auch: wie ein gutes Essen! Wir haben, wie ein Koch, da nur den Löffel in der Hand. Die Frage ist immer, was erlebst du beim ersten Biss? Ganz wichtig ist auch, dass man am Ende nicht überfressen ist. Die Persönlichkeiten der Künstler:innen sind für uns darum sehr zentral. Das Werk vom Interpreten zu lösen, ist für uns unmöglich, dafür müsste man die Partitur ins Museum stellen – in der Popkulur ja völlig undenkbar, hakt Hubert ein. Wagner hingegen: Ich bin das Werk! Man kann schon auch übertreiben, aber wenn jemand auf die Bühne geht, geht da auch der Charakter mit. Es „riecht“ immer nach einem selber, sinniert Mariya, ja, ein bisschen Bühnenschwein muss man dafür schon sein!

Concertare heißt ja eigentlich Wetteifern, klärt mich Hubert auf – wir suchen darum erst die Menschen aus, dann folgt das „Entfaltungsprogramm“, die Stücke für die Spielenden. Wir denken da nicht nur an das Instrument und haben auch schon ganze Programme geändert, wenn das Konzept nicht komplett stimmig ist. Unsere vier Konzerte sind wie ein Theaterstück, es gibt eine Erzählung und keine Wiederholungen. Wie ein Spielplatz. Oder die Lindenstraße, lacht er: Wir machen immer etwas Neues!

Das Kostbarste ist die Zeit

Die Ungewissheit des Moments macht die Spannung aus, endgültig trifft man sich ja erst auf der Bühne. Das ist dann auch ein bisschen Spitzensport: Die Konzentration ist extrem, Training (Probe) und Wettkampf (Concerto) sind grundverschieden, die wirklich unvergesslichen Momente müssen immer auch gelingen, dafür muss etwas offenbleiben, ungewiss. Man braucht da einfach Vertrauen zueinander, ein Geben und Nehmen, sich mögen und respektieren, wie eine gute Beziehung. Bei manchen Stücken fragt man sich schon, warum man sich das antut, lacht Hubert. Doch wenn man dann gemeinsam auf der Bühne steht, zählt nur noch der musikalische Dialog zwischen den Menschen. Aber es ist so ein super Programm, jubiliert Mariya, jeder Tag ist toll, ich freue mich, ein Glücksgefühl, so eine Aufregung! Die Begeisterung ist ansteckend, die Liebe zur Musik so echt, dass man den beiden einfach nur schweigend lauschen möchte.

Die schönsten Momente kann man oft gar nicht planen, erinnert sich Hubert zurück: Während Corona spielten wir Freiluft-Konzerte, wurden einmal von einem Sommergewitter überrascht und haben im Gang weitergespielt. Solche Situationen entstehen spontan, und genau darin liegt der Zauber, die Magie des Moments, die Gänsehaut, schwärmt Mariya mit. Die Menschen schenken ihre Zeit, das ist nicht selbstverständlich. Und es gibt so viel angenehme Dinge im Leben, lacht sie – da soll es sich lohnen, man soll erfüllt nach Hause gehen! Wir sehen das sehr emotional, auch ein wenig psychologisch, wie eine Erlösung vielleicht. Die erste solche „liberatio“ spielt am kommenden Mittwoch, 13. September, um 18 Uhr im Stift Stams (hier gibt's Tickets). Damit auch danach noch Zeit für Schönes bleibt.

Fotos: Das Portrait von Mariya und Hubert im Schlosscafé Ferdinand sowie das Beweisbild von der Lustgrotte stammen vom Autor. Die übrigen Bilder hat Heinz Zak für die Obertöne geschossen.

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