„Bald ist es so weit.“, sagt Max und macht kleine Wölkchen dabei. Immer noch ist es klirrend kalt, weiße Weihnachten sind selten geworden. Unten im Stadion schaufeln unterdessen 40 Ameisen emsig Schnee von den Rängen. Eine schwindelerregende Innsbrucker Schanzenlänge (316m) weiter oben feiert die Vierschanzentournee in wenigen Tagen wieder das legendäre Bergisel-Springen. Die wahnwitzigen 138 Meter Schanzenrekord von Michael Hayböck werden dann genau zehn Jahre alt. Oder auch nicht, wiegt Projektleiter Christian den Kopf: „Drei, vier Meter mehr wären vielleicht noch drin.“ „Wenn wirklich alles passt.“, blinzelt Orga-Chef Max in die Sonne. Neben uns knattert eine Baggerladung Schnee vorbei. Max fragt, ob ich gleich mit rauf schauen will. „Klar!“, lügt meine Neugier und ich schlucke meinen Schwindel runter.
Bergisel: Von Olympia bis Vierschanzentournee
Der erste Siegessprung hob im Jänner 1927 am Bergisel ab und landete nach genau 47,5 Metern. Im Jänner ‘53 wurde dann die Vierschanzentournee geboren. Im Winter ’64 und ’76 brannte olympisches Feuer in den mächtigen Tellern neben den fünf Ringen. Seit Herbst 2002 schmückt eine schicke neue Schanze den Naturhang oberhalb der altehrwürdigen Ränge – und leuchtet nachts als bunter Langhals-Dino vom Bergisel. Die Alte wie die Neue Schanze kenne ich, zu meiner Schande (weil sogar gebürtiger Wiltener Lausbub, und im Stadtteil Wilten liegt auch der Bergisel) nur vom Rauf- und nie vom Runterschauen. Der hohe Turm, die steile Schanze, der Sprung ins Bodenlose – der Lausbub hat auch heute noch Höhenangst. Wie oft er die steile Stiege neben der Schanze schon hochgelaufen (Siehe auch.hier und hier) ist, hat Max nicht gezählt, nur die Stufen, es sind über 400. Das ganze Jahr ist er nicht so fit wie jetzt, lacht er, als uns der Lift vor der Nase wegfährt.
Sehr, sehr schwarze Piste
Vor wenigen Tagen hat es geschneit. Zu mehr als Kulisse taugt der Schnee der Weihnachtstage jedoch leider nicht, erklärt Christian. Viel zu pulvrig zum Verarbeiten und für die Witterung hier im Tal, dafür dankbar zum Wegschaufeln, schmunzelt er. Schon seit mindestens Olympia '76 kommt die Schneeunterlage via Bundesheer-Unimog aus der Lizum. Und als neben uns gerade 76 Quadratmeter LED-Videowall zusammengesetzt werden, zählt Christian nochmal nach: Insgesamt sind 30 Firmen und sicher 2.000 Menschen involviert. Unzählige davon freiwillig, allein 40 Menschen die auf Abruf tagelang begeistert Schnee schaufeln sind ja schon ein Privileg, schwärmt er.
Dritte Station der Vierschanzentournee
Für Schanzen-Chef Herbert, der uns aus dem Lift entgegensteigt, ist der Bergisel aber auch sonst das absolute Highlight im Tournee-Quartett Oberstdorf-Garmisch-Innsbruck-Bischofshofen: Sausteil, sauschnell und sauspanned - die Springer kommen hier ja mit fast 100 km/h beim Absprung an. „Schaut super aus…, schaut super aus!“, mustert Max die nur fast senkrechte Landebahn auf unserem Weg nach oben. „Aber ist schon a echt steiler Bichl (Hügel)…“, gibt er zu. „Und a sehr, sehr schwarze Piste.“, pflichtet Christian ihm bei.
Sternzeichen Adler
Beim Schanzenturm angekommen, steigen wir in den Skispringerlift um, der auch innen sehr hoch ist, weil ja der Ski wegen. Dann geht es nochmal 50 Meter nach oben. Die blaue Anzug-Box liegt halbfertig neben der Abschussrampe. Mittels Schrittnorm-Messgerät wird hier nämlich vor (und unten nach) dem Sprung gemäß gültigem FIS-Reglement vermessen, dass man mit und ohne Anzug jeweils gleich wenig Flughörnchen ist. „Und die FIS misst sehr genau!“, mustert mich Max vielsagend und drückt mir ein Paar federleichte Fluglatten in die Hand. „Nagiller Martin steht da, das sind gar nicht meine.“, entgegne ich erleichtert. Sondern die von einem der beiden Showspringer, die hier ganzjährig für die Besucher springen. Max lässt meine Ausrede zum Glück gelten, klappt aber trotzdem einen der viel zu schmalen Startbalken über die gekühlte und noch sicher abgedeckte Startspur. Weil zumindest einmal gesehen haben will ich‘s ja doch. Und einmal dort sein, wo sonst nur die Adler sitzen.
Die Höllenschanze vom Bergisel
Die Stufen rauf zum Restaurant überlegen meine butterweichen Knie, welches Grab am Wiltener Friedhof der Hayböck Michael vor zehn Jahren für seinen Rekordsprung angepeilt hat. Meines wäre beim Versuch jedenfalls ein frisches. Und sicher hat die Sache mit dem Friedhof schon einen Bart bis runter ins Tal. Was viele aber nicht wissen: Dass man mit dem kesselförmigen Stadion auch in einen riesigen Schalltrichter springt. Das ist einzigartig für Innsbruck und sehr aufregend, fordert wahnsinnige Kontrolle bei den Athleten. Wo gerade alle Tische gut besetzt sind, blicken die Springer an den Wettkampftagen also mit einer Handvoll Snacks in einen 134 Meter tiefen Hexenkessel. Ich drehe mich zu meinen Begleitern um: „Denke ich hab‘ hier oben alles!“
Andi und die Spurbläser
Nur eine Liftfahrt später schnauft uns auf den endlosen Stufen abwärts Spurbläserchef Andi mit einer Schneeschaufel entgegen. Er ist auch schon seit 25 Jahren dabei, grinst gern für ein Foto, wechselt 1-2 Details mit meinen Begleitern und muss schon weg, schaufeln. „Erst am Dritten (Jänner) wird die Spur „abgeplant“, bei Bedarf nachgeschliffen, einmal feucht durchgewischt und ein paar Mal sauber eingesprungen – Andi und die Spurbläser müssen die perfekten Bedingungen dann nur noch erhalten.“, kalkuliert Projektleiter Christian hinter mir.
Das Auge springt mit
Auf Höhe des Athletendorfes läuft uns Dominik in die Arme, Kapitän der 25-köpfigen Tretmannschaft und auch für die fachsprachliche „Dekoration“ zuständig. Die „Dachsln“ werden hier noch handgeschnitten, sagt er stolz und deutet nach hinten auf eine Horde hilflos gefesselter Weihnachtsbäume. Die Tradition sei ihnen die viele Arbeit für die grünen Begrenzungs-Zweigerln wert, und alte Weihnachtsbäume sind nicht nur schöner, sondern auch nachhaltiger als die Plastik-Alternativen. Auch die roten Markierungen bringt das Dekoteam Tretmannschaft auf und für das 8x8 Meter große Logo haben sie sogar eine Riesenschablone gebastelt, erzählt Dominik stolz. Und überhaupt gibt’s in der Tretmannschaft nur echte Buggler (richtig gute Arbeiter), wer da mitmachen will, steht schonmal morgens um fünf zum Schneetreten mit den schwersten Ski auf, weil die Konditionen dafür halt absolut perfekt sein müssen. „Wir sind sogar noch genauer als die FIS.“, grinst Dominik. Max und Christian nicken zufrieden.
Bergiselgeschichte(n) schreiben
Kurz besichtigen wir noch die blauen Container und die Hütte, wo seit 25 Jahren der Athletendorf-Bruno wohnt. Der kennt jeden und kann bei allen Notfällen helfen, der wahrscheinlich wichtigste Freund der Athleten. „Und der Hans ist unser vielleicht ältestes Bergisel-Urgestein“, stellt Max vor. Frische 73 Jahre jung, die glorreiche Schlacht am Bergisel (1809) habe er also fast noch miterlebt, bestätigt Hans grinsend. Das könne auch sein Bergisel-Kamerad Cyril hier jederzeit bezeugen, weil der ja noch von den gegnerischen Franzosen übriggeblieben sei. Alle lachen laut über die alten Geschichten vom Bergisel, weil ja längst alle wieder Freunde sind.
Als Max und Christian mich verabschieden, frage ich, ob sie auch mal Ruhe in dem Trubel finden. Nur ganz kurz müssen sie überlegen. „Wenn es soweit ist, und alles läuft, gibt's irgendwann ein paar Minuten, wo ich ganz still dastehe und einfach nur diese Wahnsinnsatmosphäre aufnehme. Das Gefühl lässt sich für mich ganz schwer in Worte fassen. Sag Max, was sagst’n du?“ „Eh auch so“, sagt dieser, „die Freude spüren einfach. Bald ist es endlich so weit.“
Tickets fürs Bergiselspringen der 73. Vierschanzentournee am 03. Jänner (Qualifikation) gibt es hier.
Fotos: Alle Bilder im Beitrag stammen vom Autor. Außer es steht "Max Obergruber" dabei, dann sind sie vom Max.
Noch mehr Geschichten über den Bergisel
Über den sagenhaften Hügel namens Bergisel im Süden Innsbrucks gibt es viel zu erzählen. Hier geht es zu weiteren Geschichten von meinen Bloggerkollegen.
- Danijel berichtet von seinem Besuch des Bergiselspringens, spektakuläre Fotos inklusive: https://www.innsbruck.info/blog/de/sport-natur/vierschanzentournee-am-bergisel-ein-sport-spektakel/
- Werner Kräutler berichtet über die Geschichte des Bergisels in Sachen Skispringen. Sogar Gianna Nannini trat schon hier auf
- Lea war mit dem FEnsterreiniger am Bergisel unterwegs
- Vil hat Skisprunglegende Eddie the Eagle am Bergisel getroffen. Den kennt ihr vielleicht aus dem Hollywoodfilm mit Taron Egerton und Hugh Jaxkman.
- Auch im Innsbruck Podcast hört und sieht man Spannendes über den Bergisel. Olympiasieger und Vierschanzentourneegewinner kommen zu Wort. Schaut rein zur Podcast Episode mit Toni Innauer und hört euch an, was Ernst Vettori im Podcast übers Skispringen erzählt.
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Kleiner Schreiberling mit großen Leidenschaften. Geboren, aufgewachsen und veredelt in Tirol, liest gern und kocht fast wie Oma. Am liebsten immer irgendwo unterwegs und auf der Suche nach neuen Horizonten.
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