7 Todsünden – Tiroler Volksschauspiele Telfs-5

Freitag, 17. Juli, es ist fünf vor acht am Birkenberg. Fünfzehn stramme Gehminuten oder einskommadrei Kilometer oberhalb der Haltestelle Gasthof Martina in Telfs. Eigentlich ist hier heute keine Vorstellung, noch sind die Vorbereitungen nicht abgeschlossen. Trotzdem ist hier heute Vorstellung, vorab und um acht, für die versammelte Medienpresse. Wer Rang und Namen hat, ist da, wer nicht, selbst schuld. Ich bahne mir den Weg durch tonnenschwere Marmorblöcke, zwei Kellner stellen kleine kabellose Lampen auf. Neben dem barocken Kirchlein erhebt sich eine knallrote Freiluftbühne, links und rechts leuchten zahllose Zirkuslamperln: 7 Todsünden. Es schlägt acht. Ich bin gespannt.

Ein Tiroler Volksschauspiel

Das Stück schrieb einst Franz Kranewitter, ein Tiroler Bauernsohn aus Nasserreith. Seinen detaillierten Dramenzyklus über die sieben Todsünden setzt er 1925 mitten in eine fiktive Dorfgemeinschaft. Fast hundert Jahre später steht das Stück in Telfs wieder auf der Bühne, und man ist gespannt, was der neue Zirkusdirektor der Tiroler Volksschauspiele Gregor Bloéb hinter den wallenden Tüllvorhängen vorbereitet hat. „Das ist keine Vorstellung, es werden Fehler passieren“, erinnert er eingangs die versammelten Pressevertreter. Er gibt das Zeichen für den ersten Einspieler, wir zücken die Notizblöcke und Kameras, und eine körperlose Stimme verbietet uns freundlich, aber bestimmt sämtliche Foto- und Videoaufnahmen. Die erste Pointe sitzt schon, wir schmunzeln. Zur Erinnerung: Zorn, Neid, Geiz/Gier, Maßlosigkeit, Wollust, Hochmut und Trägheit. Sieben Sünden von neun Autor:innen: „Schreibt, was ihr wollt, zwanzig Minuten lang“, soll Bloéb da nur gesagt haben. Es dürfte demnach schrill und wirr werden, wie das Leben eben so spielt.

Nehmt euch ein Beispiel!

Der erste Akt versammelt eine Talkshow und ihre Archetypen auf der Bühne, schrill und wirr, geliefert wie bestellt: Eine Klimaaktivistin echauffiert sich, machtlos gegen die Eloquenz des Lobbyisten, der Moderator beruhigt: Nimm dir ein Beispiel an Jack Carter, er trinkt sein Bier und gibt Ruhe – er ist einer von euch! Und schon kommt der Applaus erstmals nicht nur aus den Boxen, auch die zweite Pointe sitzt. Scharfzüngig ist das Stück geschrieben, wortgewandt und ziemlich wild.

Zwar knacken und knistern die Mikros stellenweise noch ein wenig, doch Markus, die Maschine von der Technik ist ein wahrer Oktopus am Mischpult, am Notenständer daneben liest er den gut dreistündigen Epos silbentreu mit. Das neue Theater-Flagschiff, das er heute in die Dämmerung fliegt, ist deutlich größer und luftiger, als das stickig-alte Kranewitterstadl im Tal - wo letztes Jahr ja das schöne Grauen unterging. Markus setzt die Spots für den ersten Monolog, denn die Trägheit will sich trennen, befreien, endlich ausbrechen - oder eben doch nicht: „Mein Schatten reicht schon bis zum Horizont, ich bin schon da hinten.“ Daneben verwandelt sich der Teufel höchstselbst in ihren Partner, wer denn auch sonst.

Taktlosigkeit mit Pilzen

Der Hochmut heißt Jeff und macht „Satire“. Also nur unter ganz großen Anführungszeichen, man kennt's, echter Humor kennt bekanntlich keinen Anstand: „Willkommen in eurem scheiß langweiligen Leben!“, auch die Realität ist ja ganz lustig, nicht wahr? Bereitwillig lassen wir uns beleidigen, schließlich haben wir dafür bezahlt. In ähnlicher Manier lässt Felix Mitterer die Gier aufmarschieren, durch den Wald, auf ewiger Schwammerlsuche: „Es Kilo um zwoaneinaneinzg (2,99)?!“ Irgendwann hört sich der Spaß auf.

Nach der Pause noch eine kurze Pause: Die Geige ist im Arsch, verkündet die Bühnenband. Ungünstig, denn das nächste Stück wird ja getanzt – wenn auch nur zartmusikalisch untermalt. Ja fast stillschweigend stellt Marie Stockhausen ihre Choreographie auf die Bühne, in blutrotes Licht getaucht. Die Nacht ist dunkel geworden und auch das Stück wird immer düsterer: Mit dem Teufel im Nacken tanz man am besten, sogar ganz ohne Musik, denn erstmal bleibt es ganz absichtlich still. Was man ganz ohne Worte sagen kann, erzählt das gemischte Tanzquartett gemeinsam. Doch nur die Frauen küssen sich, die Männer nicht, wo war die Sünde da? Doch genau so tut der Neid, wenn er mit dir durchs Leben tanzt – nicht ganz fair, bei aller Liebe.

Das Werk des Teufels in Telfs

Maja hasst Melanzani, fährt nie Zug und hat jetzt immer ein Klappmesser in der Tasche. Was macht Sie eigentlich so zornig? Eidos und Nemesis, Scham und Zorn sind ungleiche Geschwister und erfahren im Stück in viel zu gegenwärtigen Gewaltfantasien ihre Verwirklichung. Dann fährt der billige Rockstar seinen VW-Bus auf die Bühne – für 1000 Euro spielt Jack Carter überall und wer viele Frauen hat, der braucht gar keine Freunde. Du alter Cowboy. Schlussendlich wird also die Freiheit selbst zur Wanderhure, zum kurzweiligen Unterhaltungsprogramm, nur lachen will jetzt keiner mehr. Nach drei Stunden geht dem Stück zum Ende zwar ein wenig die Luft aus - doch endlich hat man in Telfs wieder ein Vorstellung, wie vielfältig sich der Teufel so verfügbar macht. Oft steckt er im Detail, hier im großen Ganzen. „Ja, Teifl…!“, resümiert man neben mir und David Bowie stimmt vorne die ersten Takte von Life on Mars an – was denn auch sonst – dann fällt der Vorhang.

Spielplan und Tickets zum aktuellen Programm der Tiroler Volksschauspiele gibt es hier. Die Öffis fahren mit gültigem Ticket übrigens sogar komplett kostenlos (zumindest bis zum Gasthof Martina). Der Regisseur, Schauspieler und künstlerische Leiter Gregor Bloéb plauderte kürzlich im Podcast aus dem Nähkästchen, nachzuhören hier.

Fotos: Sämtliche Schnappschüsse sind vom Autor selbst.

Ähnliche Artikel