
Die Adresse Tschamlerstraße 3 ist Legende in Innsbruck! Wer, wie die Autorin, Stammgast im Utopia war und sein jähes Ende, im folgenden Weekender Club großartige Konzerte besuchte und dessen Schließung miterlebte – wird unweigerlich nostalgisch beim Betreten des Gebäudes. Nach einem kurzen Intermezzo wird hier wieder Kultur gelebt. Heute in Gestalt von progressivem, mitunter kritischem Theater. Für Unterhaltung und kulturelle Auseinandersetzung abseits der großen Bühnen - eine grandiose Ergänzung für Innsbrucks Kulturszene.
Memories
Von außen sieht man dem Gebäude in der Tschamlerstraße seine bewegte Geschichte als buntes Kulturzentrum nicht mehr an.
Von außen verweist nichts mehr darauf, dass sich hier einmal eines der wichtigsten Kulturzentren Innsbrucks befand. Kaum betritt man jedoch den Vorraum, kommen die Erinnerungen. Rechts ging es früher ins Utopia-Café, hinter den damaligen Bullaugen finden sich heute loftige Büroräumlichkeiten.
Links die Stiege hinauf geht es in den ersten Stock zu Cunst & Co. Seit Jahrzehnten hier angesiedelt, ist die Kunst-Werkstatt offen für alle. Die Stufen hinab führen in jenen Raum, in dem lange bekannte und weniger bekannte Bands einen Zwischenstopp in Innsbruck einlegten. Pete Doherty stand hier ebenso auf der Bühne, wie The Whisky Priests oder Kurt Ostbahn und seine Combo – die Liste kultiger Auftritte nationaler und internationaler Bands schier endlos.
Theater praesent
Seit Oktober 2024 bespielt Theater praesent den Raum. Viel Energie haben die Vereinsmitglieder in die Adaptierung der Räumlichkeiten gesteckt. „Insgesamt sicher mehr als 500 ehrenamtliche Stunden und Robert Simmerle hat den Raum hergerichtet“, erzählt Michaela Senn. Zusammen mit Elke Hartmann leitet sie seit 2018 das Off-Theater, das 2006 gegründet wurde und lange in einem Keller in der Jahnstraße beheimatet war.
Eröffnung der neuen Theaterräume mit „Antrag auf größtmögliche Entfernung von Gewalt“ von Felicia Zeller. Foto: © Alena Klinger
Stilgerecht eröffnet
Eröffnet wurden die neuen Räumlichkeiten mit einem großen Fest und einem brandaktuellen Stück. Am 5. Oktober 2024 feierte „Antrag auf größtmögliche Entfernung von Gewalt“ von Felicia Zeller seine österreichische Erstaufführung. Als Ausgangsmaterial für dieses Stück um häusliche Gewalt dienten der Autorin statistische Unterlagen. Zudem führte sie Interviews mit von Übergriffen betroffenen Frauen, die ins Frauenhaus geflüchtet sind, mit Mitarbeitenden der Einrichtungen, mit Ärztinnen, aber auch mit Tätern. Daraus schuf Zeller ein beklemmendes Stück über Gewalt und Gewalterfahrung, ohne in die „Betroffenheitsfalle“ zu tappen: Die eigene Stimme zu erheben ist ein Schritt zur Selbstermächtigung.
Gesellschaftspolitisch relevante Themen stehen bei Theater praesent ganz oben auf der Liste. Foto: © Alena Klinger
Barrierefreier Zugang
99 Menschen finden im Theaterraum Platz, barrierefrei auch für Rollstuhlfahrerinnen und –fahrer zu erreichen. Den Wechsel von Dreiheiligen in den Stadtteil Wilten hat auch das Stammpublikum vollzogen. Zu den bekannten Gesichtern kommen, dank größerer Kapazitäten, viele neue. Zumal das stark studentisch geprägte Wilten ein vielseitig interessiertes Publikum „liefert“.
Im Parterre verfügt der Verein über ein Büro, das sich auch für Proben eignet. Inhaltlich bleibt Theater praesent seiner Linie treu. „Wir wollen gesellschaftspolitisch relevantes Theater machen, Themen verhandeln, die sonst ungern angesprochen werden“, so Michaela Senn.
Der Theaterraum ist barrierefrei erreichbar; im Bild die Ankündigung für das ab 12. April laufende Stück.
Der neue Theaterraum in der Tschamlerstraße bietet Platz für 99 Personen.
Ob es um häusliche Gewalt geht, oder um das Thema Sexarbeit, das im kommenden Herbst verhandelt wird, oder um Wohnungsarmut, Altersarmut von Frauen, das 2026 aufgegriffen wird – Theater praesent bietet seinem Publikum spannendes zeitgenössisches Theater, darunter viele österreichische Erst- und Uraufführungen.
Oft im Kollektiv erarbeitet und eingebettet in ein Rahmenprogramm aus Diskussionsformaten wie „Talk-Night“ und Filmabenden („kino praesent“) will Theater praesent die Bühne zu seinem herausfordernden Ort der Auseinandersetzung mit der Gegenwart machen.
Mehr Spielraum
„Theater ist ein toller Ort, um demokratisch brisante und relevante Fragen zu stellen“, so Michaela Senn. Die Räume in der Tschamlerstraße erweitern nun den Spielraum für Experimente und innovative Theaterformen an der Schnittstelle zu andern Künsten nochmals. Und sie bieten die Möglichkeit, verstärkt mit anderen Einrichtungen zu kooperieren.
Mehrere hundert Stunden investierte der Vereinsvorstand in die Renovierung des ehemaligen Weekender. Foto: © Gerhard Berger
Seit November 2024 ist Theater praesent Mitglied der Theaterallianz, einem Zusammenschluss unabhängiger Theater in Österreich. Als erstes und bisher einziges Theater in Tirol, wie Michaela Senn festhält. Ziel der Interessensgemeinschaft ist unter anderem der Austausch von ausgewählten Inszenierungen. Von den drei bis vier in der Tschamlerstraße produzierten dürfte das eine oder andere also demnächst auf Tournee gehen – Arbeiten anderer unabhängiger Theater Station in Innsbruck machen. „Tolle Impulse, neue Blickwinkel, Sichtweisen, es wird spannend“, freut sich Michaela Senn.
Viele Allianzen
Nicht weit entfernt ist zudem das Stadtteilzentrum Wilten. Kooperationen mit Kulturveranstaltern wie dem Journalismusfest Innsbruck und den Klangspuren Schwaz sind bereits fixiert. Stationiert in den Räumen des Theaters praesent sind bereits der U20 Poetry Slam oder eine Lesebühne.
Das Interesse der freien Szene sei groß, dazu kämen Anfragen für Konzerte und andere Formate, erzählt Senn. Zu den sonstigen ehrenamtlichen Tätigkeiten kommt damit noch die Betreuung von Fremdveranstaltungen hinzu. Auf Dauer sei ein solch enormer zeitlicher Zusatzaufwand wohl nicht zu leisten, wie Senn festhält.
Blick auf den Siebdruck-Bereich von Cunst & Co. Die Anfänge des Vereins reichen in die 1980er Jahre.
Aber (noch) wiegt dieser Wermutstropfen nicht allzu schwer: Angesichts des fulminanten Starts und der jetzt schon hohen Akzeptanz der neuen Kultureinrichtung in Wilten, freuen sich die Macherinnen und Macher von Theater praesent über die tollen Räume und die Möglichkeiten, die sich ergeben.
Wo viele Jahre hochkarätige Konzerte, Kabarettabende und legendäre Disconächte stattfanden, ist ein neuer Raum für die künstlerische Auseinandersetzung mit der Gegenwart entstanden. Einer, der keine Weichspülatmosphäre verströmt – sondern im besten Sinne rebellisch, unbequem – und widerständig. Es bleibt spannend in der Tschamlerstraße 3. Eine neue alte Adresse, die man sich (wieder) merken sollte!
Theater praesent
Verein Theater praesent
Tschamlerstraße 3
6020 Innsbruck
[email protected]; www.theater-praesent.at/
Programm online hier.
Innsbruck hat eine lebendige Szene freier Theater, die aufregendes Programm bieten. Im Veranstaltungskalender von Innsbruck.Info finden sich die aktuellen Termine.
Fotos, wenn nicht anders angegegen: © Susanne Gurschler
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Innsbruck ist ihre Herzensstadt, der Blick auf die Nordkette ihr Seelenschmeichler. Journalistin, Sachbuchautorin, Bücherwurm, Hobbyfotografin, Hundebesitzerin, BergGeherin #ghostsofinnsbruck
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