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Kristina Erhard
09. Juni 2016
Originalsprache des Artikels: Deutsch

Die Architektur in Innsbruck vermag ebenso erfreuen wie die Gemüter spalten, gestern und heute. Warum? Weil es Geschmackssache ist zwischen Tradition und Moderne. Im Falle von Innsbruck jedoch mit nicht unerheblichem geschichtlichen Hintergrund.

Moderne Architektur im Aufbruch.

Foto: Tiroler Heimatschutzverband

Die Gratwanderung zwischen „Modern“ und „Traditionell“ ist auch eine Gratwanderung zwischen „Innovativ“ und „Konservativ“. Foto: Tiroler Heimatschutzverein

Erstes Stichwort Heimatschutz: Der 1908 gegründete Tiroler Heimatschutz Verein war die erste Organisation in Österreich, die sich als Gegenbewegung zum gründerzeitlichen Fortschrittsglauben verstand und sich in einer Phase großer Bautätigkeit für den Schutz der Landschaft, von Denkmälern etc. einsetzte. Obwohl die Heimatschützer spöttisch auch als „Heimatschutzjammerer“ bezeichnet wurden, nahm der Verein ab 1926 eine „halbamtliche Stellung“ ein. Über 100 Jahre Architektur in Innsbruck bedeuten deswegen nicht nur ein Sammelsurium an tatsächlichen Bauwerken, sondern auch mal mehr mal weniger erfreuliche Rahmenbedingungen im Laufe der (architektonischen) Jahrzehnte. Angefangen bei der Zwischenkriegszeit.

Wegweisende Architekten.

Die prägenden Architektenpersönlichkeiten in Tirol zwischen den beiden Weltkriegen waren wohl Clemens Holzmeister und Lois Welzenbacher. Welzenbacher – einer der wenigen österreichischen Vertreter der klassischen Moderne – realisierte 1926/1927 in Innsbruck das erste Hochhaus, die Elektrizitätswerke Innsbruck, das Gebäude der heutigen Innsbrucker Kommunalbetriebe – kurz IKB. Im Lauf des Wettbewerbs wurde jedoch die „Hochhausfrage“ heiß diskutiert, viele Entscheidungsträger vertraten damals die Meinung, dass im Umfeld des historischen Denkmals Triumphpforte auch allen Aspekten der Wirtschaftlichkeit zum Trotz kein hohes Gebäude entstehen sollte. Solche Diskussionen kennt man auch heute noch in Innsbruck und symbolisieren mitunter auch die „Wichtigkeit“ von Architektur im städtischen Raum. Heute nämlich – über 80 Jahre später – wird das Gebäude als Beispiel für den „International Style“ (oder „Bauhaus“) in Tirol genannt.

Foto: Bauforum Innsbruck

Das Hotel Mariabrunn auf der Hungerburg von 1931 war jahrelang ein architektonisches Aushängeschild – der Architekt Siegfried Mazagg starb ein Jahr später bei einem tragischen Autounfall. Foto: Archiv Baukunst

Die „Ironie“ der Geschichte wollte es dennoch so, dass nicht die Beiträge dieser beiden anerkannten Tiroler Architekten den größten Eindruck des Tiroler Heimatschutzvereins erweckten, sondern die ihres Schülers, dem (noch) unbekannten Siegfried Mazagg (1902–1932). Er verstand es modern zu bauen und (oder jedoch) „typische“ Tiroler Elemente in seinen Bauwerken zu integrieren. Sein beruflicher Durchbruch gelang ihm mit der architektonischen Gestaltung der Hochbauten für das Achenseekraftwerk in Jenbach, die zum Teil nach seinen Entwürfen umgesetzt wurden. Die ersten Pläne und Zeichnungen für die Stationsgebäude der Nordkettenbahn stammten ebenso von ihm wie ein Projekt für ein Hotel auf der Seegrube, Entwürfe für einen Kiosk auf der Spitze des Hafelekars, ein Beamtenwohnhaus auf der Hungerburg etc., die aber alle nicht verwirklicht wurden. Sein letztes Werk Hotel Mariabrunn/Hungerburg 1931, galt lange Zeit als „Wahrzeichen“ von Innsbruck – sein letztes Werk.

Ein städtebauliches Großprojekt dominiert Innsbruck Anfang der 1940er.

Foto: Universität Innsbruck

Die Südtiroler Siedlungen schufen in kürzester Zeit 7000 neue Wohnungen in Tirol und Vorarlberg – für die optierenden Südtiroler. Ob das heute auch noch möglich wäre? Foto: Universität Innsbruck

Die Südtiroler-Siedlung in Pradl aus dem Jahr 1939 ist ein städtebaulicher Beweis in Innsbruck, dass sich Gesellschaft und Politik auch räumlich niederschlagen, ob man es will oder nicht. Nach der im Jahre 1939 zwischen Italien und dem Deutschen Reich vereinbarten Umsiedlung der SüdtirolerInnen, wurden in verschiedenen Orten der damaligen „Ostmark“ zahlreiche Wohnbauten zu deren Unterbringung errichtet. Dieses „volkspolitisch“ notwendige Vorhaben erhielt damals als Sondermaßnahme „S“ – „S“ stand für Südtirol – die höchste Priorität zuerkannt und wurde somit in die gleiche Dringlichkeitsstufe wie die Panzerproduktion eingereiht. Deshalb wurden zur  Verwirklichung der „Südtiroler Siedlungen“ trotz Rohstoffmangels die erforderlichen Baumaterialien bereitgestellt und Arbeitskräfte bevorzugt zugewiesen, wodurch innerhalb kürzester Zeit knapp 7.000 Wohnungen alleine in Tirol und Vorarlberg gebaut worden sind. So entstanden in vielen Orten diese sogenannten Südtiroler Siedlungen, die noch heute das Erscheinungsbild so mancher Wohngegend oder – wie etwa auch in Innsbruck – ganzer Stadtteile wie Pradl prägen.

„Elemente romantisch-alpiner Prägung“ für das Heimatgefühl.

Die Südtiroler Siedlungen im Innsbrucker Stadtteil Pradl stellt eine interessante Sonderform des sozialen Wohnbaues dar. Städtebaulich wie architektonisch war sie stark von der nationalsozialistischen „Blut und Boden“-Ideologie geprägt. Ihre Umsetzung unterlag den Heimstättenämtern, in denen oft auswärtige, seltener einheimische Architekten beschäftigt wurden. In Innsbruck war dafür der damals neu gegründete Bauträger „Neue Heimat Tirol“ zuständig, den es auch heute noch gibt. Gebaut wurde die Siedlung von Helmut Erdle (1906-1991). Der ursprünglich aus Dresden stammende Architekt war bis zu seinem Einzug in die Deutsche Wehrmacht für vier Jahre in Innsbruck tätig. Trotz der ideologischen Vorgaben gelang es ihm, bei seinen Südtiroler Siedlungen einen architekturhistorisch beachtenswerten Wohnungsbau zu realisieren. Die Südtiroler sollten ihre Herkunft und Tradition auch in den neuen Häusern und Siedlungen wieder finden – allen „reichseinheitlichen“ Bauformen zum Trotz. Dazu zählte alles an Bau- und Gestaltungselementen, die es vermochten, die geschichtliche und kulturelle Kontinuität im Sinne eines „gemeinsamen Deutschtums“ vorzutäuschen: umlaufende Balkone, Erker, Lauben, Fensterläden u. v. m.

Wiederaufbau und Neubesinnung.

Nach 1945 ging es nicht nur ganz pragmatisch um den Wiederaufbau zerstörter Bausubstanz, sondern auch um das Finden einer neuen Identität. Misstrauen und Beklemmung folgten in den Jahren nach Kriegsende. Mit der Unabhängigkeit Österreichs im Jahr 1955 wehte jedoch auch in Innsbruck ein frischer, architektonischer Wind. Es musste ein Ort geschaffen werden, an dem Menschen zusammenkamen, redeten und Lebensmittel einkaufen konnten. Nach den Kriegsjahren war das auch in Innsbruck nicht selbstverständlich. So erweiterte der Architekt Willi Stigler Ende der 1950iger Jahre die Markthalle Innsbruck, die Anfang des 20. Jahrhunderts noch Fritz Konzert im Jugendstil erbaut hatte. Die neue Markthalle gehört laut Juliane Mayer, Architekturhistorikerin der Universität Innsbruck, zum Besten was in den 1960ern in Tirol gebaut wurde. Und ist auch heute noch ein markanter Treffpunkt aller Innsbrucker und Innsbruckerinnen und somit ein Beispiel für nachhaltige Architektur jenseits der Prachtbauten für jedermann.

Und das Beste, was noch kommen wird, erfahrt ihr im Teil 2 von 100 Jahre Architektur in Innsbruck.

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