Flüsterbogen

Die Höttinger Breccie ist in Innsbruck derart omnipräsent, dass sie nicht nur hinter jeder Ecke lauert, sondern selbst die Ecke vermutlich aus Breccie besteht. Was das Gestein mit der Feueraversion von Kaiser Max dem Ersten zu tun hat, wie sie die Eiszeitforschung durcheinandergewirbelte und warum die Bahnstrecke über den Brenner ihr Ende mit einläutete, habe ich für MyInnsbruck herausgefunden.

Stein und das Alter der Stadt

Woran erkennt man, dass eine Stadt wirklich alt ist? In meiner Vorstellung war der Eindruck von Alter stets an nackten Stein geknüpft, der Gebäuden eine Mächtigkeit verleiht, die sich mit der modernen Mischung aus Glas und Beton kaum erzielen lässt. Das war in Innsbruck allerdings nicht immer so, wie mich der Höttinger Bildhauer und Restaurator Peter Kuttler in unserem Gespräch für diesen Blogbeitrag aufklärte.

Steinsichtigkeit als historische Norm ist nicht das einzige Missverständnis, das Kuttler rasch geraderückte. In einem Anflug der Sprachverwirrung sprach ich ihn als Restaurateur an – was mir den freundlichen Hinweis einbrachte, dass ein Restaurateur ein Gastwirt sei, also rein gar nichts mit dem nur phonetisch verwandten Restaurator zu tun hat. Damit war klar: Ein Anfang bei den Basics ist nicht verkehrt. Was also ist die Höttinger Breccie?

Was ist die Höttinger Breccie?

„Die Höttinger Breccie ist der Heimatstein von Hötting“, beginnt Kuttler. Er verwendete durchgehend die Bezeichnung Breccie, während ich zu Beginn noch von Brekzie sprach. Beide Versionen sind grundsätzlich korrekt, nur reflektiert Erstere die italienischen Ursprünge der Bezeichnung besser. Breccie kommt vom Wort „breccia“, das so viel wie Schotter bedeutet. Wenn man sich das Sedimentgestein ansieht, wird klar warum: Eckige Bruchstücke werden durch eine feinkörnige Grundmasse zusammengehalten. Kuttler hat in seiner Arbeit laufend mit dem Gestein zu tun: „Breccie ist in Innsbruck präsent für jeden Bildhauer, Restaurator und Ähnliches.“

Alles auf Rot

Dass sie sie präsent ist, hat mit den zahlreichen Vorteilen der Breccie zu tun. Abgebaut wurde sie in fünf Steinbrüchen im Gebiet des Stadtteils Hötting, der Bringungsweg von der Hungerburg über den Grauen Stein war also sehr kurz. Gute Bearbeitbarkeit, Vorkommen in großen Bänken und schnelle Feuchtigkeitsabgabe haben die Breccie zu einem praktischen Werkstein, Baustein und Material für bildsame Erzeugnisse gemacht. Eine Einschränkung machte Kuttler jedoch: „Es kommt auf die Qualitätsstufe an bei der Breccie, die vielleicht im letzten Jahrhundert schon zurückgegangen ist und in die weicheren, lehmigeren Breccien ausgewichen ist.“

Schon die Farbe liefert Rückschlüsse auf die Qualität, die man vor sich hat. Am besten schneidet die rote Breccie ab, die mit Abstand am meisten verwendet wurde. Die weiße Breccie ist poröser, weniger fest zementiert. Sie wurde laut Kuttler nur bei der Rauch Mühle verbaut, die auch die Bruchrechte dazu hatte. Die braune Breccie wird nur der Vollständigkeit halber aufgezählt.

Stein oder nicht Stein

Vom Flüsterbogen bis hin zum Viadukt und der Triumphpforte, überall ist die Breccie zu sehen. Steinsichtigkeit, also dass der Stein ohne Farb- oder Schlämmschicht frei liegt, entstand in vielen Fällen erst im 19. Jahrhundert durch Freilegung und Bauarbeiten. Der Künstler Joseph Strickner, der für seine Genauigkeit bekannt war, fertigte Stadtansichten an, auf denen heute steinsichtige Gebäude noch mit Schlämmung zu sehen sind. Die Schlämme war besonders in Gotik und Barock beliebt. Bei der letzten Restaurierung der Claudiana (historisches Gebäude in Innsbruck) entschied man sich dazu, von der Steinsichtigkeit zu einer Schlämmung zurückzugehen. Das hat neben historischer Basis auch einen praktischen Vorteil: Die Schlämme fungiert als Opferschicht. „Die heutigen Umwelteinflüsse wie Streusalz im Winter zerstören jedes Gestein. Ob das Granit ist, Breccie oder sonst ein Gestein, es wird zerstört“, erklärt Kuttler.

Eiszeitforschung im Aufruhr

Faszinierend, dass etwas so Simples wie Streusalz einem Werkstoff zusetzt, der schon die letzte Eiszeit gesehen hat. Wann genau die Breccie entstand, hat Geologen im Inntal seit den Erstuntersuchungen von Adolf Pichler beschäftigt. In der Nähe des Alpenzoos wurde schließlich um die Jahrhundertwende der sogenannte Lepsius-Stollen angelegt, der endlich Klarheit brachte: Die Brekzie liegt zwischen den Gletschermoränen der beiden letzten Eiszeiten, Riss und Würm. Diese zwischeneiszeitliche Entstehung ist laut Kuttler etwas Außergewöhnliches: „Breccie hat in der Geologenwelt alles umgerührt, auch mit Eiszeitforschung im Inntal.“ So wurde 1910 entdeckt, dass es zwei Eiszeiten gegeben haben musste und nicht nur eine.

Geschichte, in Stein gemeißelt

Vermutlich begann der Abbau der Breccie schon früher, aber urkundlich erwähnt ist er ab dem 13. Jahrhundert. Die Bruchrechte waren eine besondere Angelegenheit: Um 1500 wurde Innsbruck zum Hofsitz Kaiser Maximilians des Ersten. Er hatte großes Interesse daran, dass Innsbruck nicht – wie so viele andere Städte dieser Zeit – einem Feuer zum Opfer fiel. Also ließ er zwischen 1490 und 1520 die zuvor hölzerne Altstadt mit steinernen Gebäuden erneuern. In dieser Zeit gingen daher die Bruchrechte an der Höttinger Breccie an die Bürger, sodass diese ihre Häuser feuersicher bauen konnten.

Laut Kuttler sind rund 10.000 Kubikmeter verbaut worden, inklusive Monumentalbauten wie dem Viadukt, (heute auch bekannt als Bogenmeile) das im 19. Jahrhundert der größte Verbraucher war. Ziegel waren damals noch kein Thema, erklärt Kuttler: „Man muss betrachten, dass der Werkstein aus Hötting günstiger und schneller zu verarbeiten war als Ziegel und natürlich auch physikalische Vorteile gegenüber dem Ziegel aufweist.“ Die Herstellung von Ziegeln war energieintensiv, das nötige Holz setzte man damals lieber für die Erzverhüttung ein.

Neben Innsbruck ist auch das Nachbarstädtchen Hall von Breccie dominiert, in Schwaz wurde sie in kleinerem Maßstab ebenfalls eingesetzt. Sogar im bayrischen Raum ist sie zu finden: „Entweder war die Breccie durch den schiffbaren Weg billiger oder exklusiver.“ Die berühmten Steinmetzdynastien der Zeit taten ihr Übriges zur Verbreitung des Gesteins. Die Familie Thüring etwa, die aus Memmingen stammte, schuf in Innsbruck bekannte Arbeiten wie den Flüsterbogen oder die Reliefs am Goldenen Dachl. Letztere sind wohlgemerkt aus Sandstein, denn für so feine Arbeiten eignet sich die Breccie nicht. 

Historisches Recycling

Eine der interessantesten Geschichten mit Breccienbeteiligung dreht sich um die Triumphpforte. Sie ist quasi ein Recyclingbau. Zuvor war nämlich eines der alten Stadttore abgetragen worden (der heutige Eingang zur Altstadt von der Maria-Theresien-Straße kommend). Die so frei gewordene Breccie verbaute man dann in der Triumphpforte.

„Damals war die Wertschätzung gegenüber dem Material deutlich größer, denn die Gewinnung war Schwerstarbeit“, so Kuttler. Die Breccie trat natürlich nicht immer alleine auf, sie wurde oft in Verbindungen mit anderen Gesteinen genutzt. An der Pfarrkirche Pradl sieht man etwa wunderbar eine Skelettstruktur aus Breccie, die durch Innsbrucker Phyllit ergänzt wurde. Auch Häuser aus der Innsbrucker Gründerzeit, während der die Breccie noch als Baustein verwendet wurde, zeigen eine solche Skelettstruktur.

Das Ende der Breccie

Wie kam es also dazu, dass dieser einst so geschätzte Baustoff heute nur noch als Dekorstein eingesetzt wird? Hier spielten diverse Faktoren zusammen. Die Qualität nahm langsam ab, die Branche schwächelte, dann kam noch Druck durch verbesserte Infrastruktur hinzu. „Die Breccie ist zum Teil auch abgelöst worden durch die Südbahn, denn auf einmal sind die Transporte von Franzensfeste mit Granit  deutlich billiger geworden“, erklärt Kuttler. Zuvor konnte über den Brenner nur mühsam gesäumt werden, nun war er selbst für tonnenschwere Blöcke Franzensfeste Granits, Trentino Marmors und Bozner Porphyrs passierbar.

Zwischen 19. und 20. Jahrhundert gingen die größten Steinbrüche endgültig nieder und mit ihnen die Breccie.
Diese Steinbrüche sorgten einst für zahlreiche Arbeitsplätze, Kuttler erzählt, dass viele Familien in seiner Heimatgemeinde Hötting auf steinverarbeitende Berufe in ihrer Vergangenheit zurückblicken können. Heute wird geklettert, wo früher geschuftet wurde: im Höttinger Steinbruch. So bleibt die Breccie gewissermaßen auch Teil des modernen Innsbrucks.

Breccie wohin man schaut

Augen auf beim Stadtspaziergang! Denn wer einmal weiß, wie sie aussieht, entdeckt die Breccie überall. Besonders in der Altstadt und der Innenstadt Innsbrucks ist sie wirklich oft zu sehen. Und wer sich auf ihre Spuren begeben will und sich im Klettersport auskennt, schaut in den Höttinger Steinbruch. Wo einst Breccie abgebaut wurde, wird heute geklettert.

Fotos: Theresa Kirchmair

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