
Eine junge Kärntner Ärztin ist auf dem besten Weg, Österreichs erste Frau im Weltraum zu werden. Mit bewundernswerter Energie und außergewöhnlichem Können hat sie es geschafft, in den elitären Astronautenkreis der European Space Agency (ESA) aufgenommen zu werden. Dass sie in Innsbruck forscht und studiert ist ein Beleg für die hohe Qualität unserer Universität.
„Ich habe bis zum 8. Februar aufgrund von Winter Survival Training keinen Zugriff auf meinen Posteingang.“ Die automatisch generierte Mail-Antwort von Dr. Carmen Possnig (36) auf meine Interviewanfrage zu Jahresbeginn verrät noch nicht wirklich, weshalb diese junge Frau trainiert um im Winter zu überleben. Dass sie ein solches Training‘ überhaupt absolviert ist aber ein erster Hinweis auf ihre Mission: Sie ist Österreichs erste Astronautin. Die, wenn bei der Landung der Raumkapsel etwas nicht optimal läuft, auch im härtesten Winter bis zu ihrer Bergung überleben muss.
Ein Bad im Eiswasser gehört für Carmen Possnig dazu, wenn man Astronautin werden will. © Trailhaven - S. Schraegle
Das ESA-Überlebenstraining in den Pyrenäen. Da werden grad Fische gebraten. Mit Sicherheit kein Urlaub. © Trailhaven - S. Schraegle
Magellan und Robert Scott als Vorbilder
Schon in der Volksschule träumte sie davon, ins Weltall zu fliegen, erzählt sie mir. „Star Wars und Star Treck trugen sicher mit dazu bei, dass ich als Mädchen solche Kindheitsträume hatte“. Mit Begeisterung las sie von den Entdeckungsfahrten eines Ferdinand Magellan, der als erster die Erde mit einem Schiff umrundete oder von Polarforschern wie Robert Falcon Scott. Sie hatte dessen Tagebuch gelesen und war fasziniert. Dass sie einst 13 Monate auf dem Südpol zubringen würde hätte sie damals vermutlich selbst kaum geglaubt.
So eigenartig es klingt: Ihr Weg auf die Forschungsstation Concordia in der Antarktis und dann ihre Aufnahme in die elitäre Gruppe der ESA-Astronauten hat sich schon während des Medizinstudiums quasi abgezeichnet. Carmen Possnig schloss es in Graz mit einer Arbeit ab, die die Auswirkungen künstlicher Gravitation auf die orthostatische Toleranz untersuchte. Für Laien wie mich verständlich ausgedrückt: Orthostatische Toleranz beschreibt die Fähigkeit des Körpers, bei einem Wechsel in die aufrechte Position (z. B. vom Liegen zum Stehen) den Blutdruck und die Durchblutung stabil zu halten, um Symptome wie Schwindel oder Ohnmacht zu vermeiden. Was die Arbeit einzigartig machte: die Untersuchung basierte auf der Annahme künstlicher Gravitation, wie sie in Raumstationen durch Rotation hergestellt werden kann.
Ein Newsletter als Karrierebooster
Die Anmeldung zum ESA-Newsletter war der direkte Auslöser einer einzigartigen Karriere, die die junge Kärntnerin mit großer Wahrscheinlichkeit ins Weltall führen wird. Als in einem der Newsletter eine Forschungsstelle in der Antarktisstation ausgeschrieben wurde, bewarb sie sich. „Der Text war ungefähr so: wir suchen eine Ärztin ohne Angst vor der Kälte. Da hab ich mich beworben und wurde akzeptiert.“ Ihr erster Kindheitstraum wurde wahr: sie folgte den Spuren ihres Idols Robert Falcon Scott, der als zweiter Mensch den Südpol erreicht hatte.
Es war einer ihrer Professoren, der sie schon früh auf diese Forschungsstation der ESA aufmerksam gemacht hatte, die jedes Jahr einen Platz in der Crew der Concordia-Forschungsstation in der Antarktis besetzen kann. Vier Jahre später war es dann soweit.
Carmen Possnig bei einer Schneeanalyse vor der Forschungsstation am Südpol. ©Cyprien Verseux PNRA:IPEV
Was machen 13 Monate in der völligen Abgeschiedenheit des Südpols, davon zehn Monate in totaler Isolation? „Es ist irgendwie außerirdisch. Man kann nur im Sommer an- und abreisen. Der dauert von Ende November bis Anfang Februar. Der Rest der Zeit lebt man in völliger Isolation. Die Sonne verschwindet für vier Monate, dafür kann man einen wunderschönen Sternenhimmel genießen.“ Es ist für Laien aber genauso schwer, sich minus 80 Grad und die Polarnacht vorzustellen.
„Wo die Nacht vier Monate dauert und ein warmer Tag minus 50 Grad hat“
Zwei Ärzte waren Mitglieder der 12-köpfigen Crew auf der Station. Possnig führte medizinische Forschungsarbeiten durch während ihr italienischer Kollege quasi für die Notfallmedizin zuständig war. Sie erforschte, wie sich menschliche Kompetenzen in einer Isolation verändern. Etwa um zu sehen, ob Astronauten nach langen Flügen durch das All ein Raumschiff überhaupt noch sicher landen können. Das auffälligste Ergebnis ihrer Arbeit: Die Kompetenzen eines Menschen sinken über den antarktischen Winter. „Man wird irgendwie dümmer“, sagt sie, „weil die Gedächtnisleistung heruntergeht“. Für alle, die sich für ihre Arbeit am Südpol im Detail interessieren empfehle ich ihr Buch: „Südlich vom Ende der Welt. Wo die Nacht vier Monate dauert und ein warmer Tag minus 50 Grad hat“.
Sommer in der Antarktis, ©Cyprien Verseux PNRA:IPEV
Labor Blutabnahme mit ihrem Paxi ©Carmen Possnig ESA:IPEV:PNRA
Forschungsstudium in Innsbruck
Seit 2020 absolviert Astronautin in spe Carmen Possnig an unserer Universität in Innsbruck ein Forschungsstudium bei Univ.-Prof. Justin Lawley, PhD. Der gebürtige Waliser hat bereits für die NASA geforscht und hat Possnig eingeladen, zu den Auswirkungen von Mikrogravitation auf das Herz-Kreislauf-System und die Gehirndurchblutung zu forschen. Wiederum ein Thema der Weltraummedizin. Immerhin dauern künftige interplanetare Flüge mehrere Monate, wenn nicht gar Jahre.
Schwerelosigkeit im Tauchbecken
Als ‚Reservistin‘ verbleibt sie vorerst in ihrem angestammten Beruf, wird aber regelmäßig zu Trainingskursen einberufen. Wie etwa den Winter-Überlebenskurs in den Pyrenäen bei minus 15 Grad oder einen Tauchkurs, um die Schwerelosigkeit zu simulieren. Die europäischen Astronautinnen und Astronauten trainieren Weltraumspaziergänge und Außeneinsätze in der Tiefe eines großen Beckens, in dem auch Teile der internationalen Raumstation ISS versenkt werden können.
Harte Trainingskurse
Dass sie im November 2022 aus mehr als 22.500 Bewerbungen (!) als Ersatzastronautin der ESA ausgewählt wurde war quasi logisch. Die Leistungen auf der Antarktis-Station und die Ergebnissen ihrer wissenschaftlichen Forschungsarbeiten waren mit Sicherheit neben ihrer körperlichen Fitness - sie liebt Weitwandern, Bouldern und Aikido - mit entscheidend bei der Auswahl.
Österreich kann von ihrer Arbeit profitieren
Im Herbst 2025 folgen weitere Ausbildungen. Wie etwa ein Überlebenstraining auf hoher See, sollte eine Raumkapsel im Meer gelandet und nicht gleich auffindbar sein. Weiters wird die ESA-Astronautenreserve einen Parabelflug absolvieren, bei dem für kurze Zeit echte Schwerelosigkeit simuliert werden kann. Im kommenden Jahr folgt dann ein weiterer zweimonatiger Ausbildungsblock.
Wie es dann weitergeht, kann derzeit noch nicht gesagt werden. Carmen Possnig ist jedoch sehr zuversichtlich, tatsächlich ins All zu fliegen. Einer ihrer Kollegen, der Schwede Marcus Wandt ist als Reservist bereits ins All geflogen, der Pole Slawosz Usnanski - ebenfalls ein Reserveastronaut - wird in einigen Wochen starten. Was werden ihre Aufgaben auf der Raumstation sein? „Ich werde Experimente für österreichischen Unternehmen durchführen. Österreich könnte mit Unterstützung der ESA eine Mission auf der ISS und die Experimente dafür selbst zusammen stellen. Aber es ist eine politische Entscheidung.“
Mein Lesetipp
Carmen Possnigs Schilderung ihres Aufenthaltes am Südpol, die atemberaubende Schönheit aber auch die monatelange Dunkelheit oder Temperaturen um - 80 Grad: https://www.thalia.at/shop/home/artikeldetails/A1057819601
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Alm-Freiwilliger in der 'Schule der Alm', Kultur-Pilger, tirol-Afficionado, Innsbruck-Fan.
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