Sie gehört mit Sicherheit zu den letzten authentischen und zu den schönsten Almabfahrten in Tirol: die Rückkehr der Schafe, Pferde, Ziegen und Rinder von den Hochalmen des Sellrain nach Axams.
Es ist die Begeisterung eines ganzen Dorfes, die ich an den Axamer ‚Almabfahrten’ so schätze. Die Rückkehr der Tiere wird Jahr für Jahr gefeiert. Ihr Kopfschmuck ist nicht der Fantasie irgendwelcher Tourismusveranstalter entsprungen. Die Heimkehr von der Alm ist in Axams einfach und schön geblieben, da schmücken weder Plastikblumen noch papageienfarbige Girlanden das Haupt der wohlgenährten Tiere. Es ist der Axamer Almgemeinschaft hoch anzurechnen, auf diesen Tand zu verzichten um ein altes Brauchtum Jahr für Jahr wieder aufleben zu lassen. Die Rückkehr der Tiere von den Sommerweiden ist das geblieben, was sie immer schon gewesen ist: ein Dorffest als Ausdruck der Freude und Dankbarkeit für einen guten Almsommer.
Traditionspflege vom Feinsten
Traditionen werden in Axams ganz offensichtlich unverfälscht hoch gehalten. Neben dem ‚Wampelerreiten‘ am ‚Unsinnigen Donnerstag‘ - ein immaterielles UNESCO Weltkulturerbe - zählen auch die beiden Almabfahrten dazu. Denn in Axams will man eigentlich lieber unter sich bleiben und buhlt deshalb dankenswerterweise nicht um Zuschauer.
Alljährlich zwei Almabfahrten
Genauer hätten die Verantwortlichen um Almvereinsobmann Thomas Brecher ihre heurige Heimreise für die Rinder, Ziegen und Pferde nicht planen können. Just am Tag des ersten Schneefalls im Hochgebirge verließen die Axamer Hirten und Bauern am 17. September die im Volksmund ‚Hintra-Alm’ genannte See Alm, packten ihre sieben Sachen und ‚fuhren‘ in wärmere Gefilde ab. Nicht ohne vorher ihre Tiere liebevoll geschmückt zu haben, ob Ross, Goaß oder Rind. Schon zwei Wochen vorher hatten sie - wie alljährlich am 6. September - mit 1.200 Schafen die 16 Kilometer lange Strecke ins Winterquartier der Axamer Bauernhöfe zurückgelegt.
Was wenige wissen: Almbewirtschaftung ist aktiver Katastrophenschutz
Wenn man weiß, wie wichtig die Bewirtschaftung unserer Almgebiete in Tirol ist, kann man den Almvereinen, Bauernfamilien und Hirten nur aufrichtig dankbar für ihr Engagement und die harte Arbeit sein. Was viel zu wenig bekannt ist: Die Beweidung hochgelegener Flächen ist eine Art ‚Katastrophenschutz‘. Einerseits ist die Wasseraufnahmekapazität beweideter Flächen wesentlich höher als jene ‚verwilderter‘ Flächen. Andererseits bieten Almflächen einen größeren Schutz vor Lawinen. Und von der touristischen ‚Umwegrentabilität‘ grüner Almwiesen möchte ich jetzt erst gar nicht beginnen. Allein die Vorstellung verbuschter Almwiesen lässt nicht nur mich erschauern.
Kein Wolf störte heuer die 1.558 Tiere im Fotschertal
Der Kelch der ‚Wolfsrisse‘ von Schafen und Ziegen - in Tirol heftig und kontrovers diskutiert - ist an der See-Alm im hintersten Fotschertal gottseidank vorüber gegangen. „Wir haben keinen einzigen Zwischenfall gehabt“ erzählt mir der Almhirte Alexander Danler sichtlich erfreut. „Es war ein wirklich guter Almsommer“. Wer übrigens mehr über sein Leben als Hirte auf der Hintra See-Alm wissen will: auf seinem Facebook-Account postete Alexander im Sommer einige tolle Fotos und Gedanken über 'sein' Revier.
Der Alltag der Hirten ist nicht wirklich romantisch
Der Alltag der zwei verantwortlichen Hirten ist übrigens weniger romantisch als dies in Liedern besungen wird. „Wir stehen um halb fünf in der Früh auf um unsere sechs Kühe zu Melken. Milch, Butter und Graukäse erzeugen wir uns selbst. Von halb acht bis um etwa drei Uhr nachmittags schauen wir nach den Tieren“ erzählt mir Alexander. Zu Fuß, versteht sich. Wer das nun arbeitstechnisch einordnen will: Die Alm umfasst 27 Quadratkilometer und einen Höhenunterschied von 1.000 Metern. Aber, so Alexander Danler, „es ist einfach wunderbar im Fotschertal.“ Ich empfehle Alexanders Facebook-Seite, auf der er seine Begeisterung als Hirte mit tollen Fotos freien Lauf lässt.
Seit 11.000 Jahren schätzen Menschen das Fotschertal
Bei genauerem Hinsehen liegt die Hintra See-Alm in einem wahrhaft historischen Gebiet. Unweit der Almhütte richteten mittelsteinzeitliche Jäger bereits vor 11.000 Jahren einen sommerlichen Rastplatz ein. Sie dürften den Wildreichtum des Gebietes geschätzt haben, weshalb derselbe Platz auch über etwa 1.000 Jahre hinweg durchgehend benützt worden war. Für uns heute nahezu unvorstellbar. Ich habe dies in einem Blog beschrieben.
Es ist anzunehmen, dass Almabtriebe zu den ältesten ‚Traditionen‘ in Tirol gehören. Archäologisch belegt ist die Almwirtschaft in Tirol bereits in der Bronzezeit, also vor rund 3.500 Jahren. In der Eisenzeit war es dann üblich, mit den Tieren - es waren Schafe und Ziegen - im Sommer auf die Hochweiden zu ziehen. Und wenn die Tiere nach einigen Monaten gesund nach Hause gekommen waren war das auch schon damals mit Sicherheit ein willkommener Anlass für ein Fest.
Schön, dass die Heimkehr der Tiere in Axams das geblieben ist, was sie immer war: ein Festtag für das ganze Dorf.
Bilder, wenn nicht anders angegeben: ©Werner Kräutler
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Alm-Freiwilliger in der 'Schule der Alm', Kultur-Pilger, tirol-Afficionado, Innsbruck-Fan.
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