innsbruck_architektur_teil2
Kristina Erhard
03. August 2016
Originalsprache des Artikels: Deutsch

Die Architektur in Innsbruck vermag ebenso erfreuen wie die Gemüter spalten, gestern und heute. Warum? Weil es Geschmackssache ist zwischen Tradition und Moderne. Im Falle von Innsbruck jedoch mit nicht unerheblichem geschichtlichen Hintergrund.

Die 1970er

Blumenkinder? Geranienkästen und Architektur am Scheideweg der Geister.

Die Ursulinenschule schlägt durch ihre Architektur neue Wege ein: Offenheit und Freiheit bei den Nonnen der Ursulinen. Definitiv erwähnenswert. Foto: Ursulinen Schule

Die Ursulinenschule schlägt durch ihre Architektur neue Wege ein: Offenheit und Freiheit bei den Nonnen der Ursulinen. Definitiv erwähnenswert. Foto: Ursulinen Schule

Als anderswo die Blumenkinder auf die Straßen gingen und die Jungen gegen das Establishment protestierten, beschlossen die Schwestern der Ursulinen, dass es nun wohl Zeit würde, eine neue Mädchenschule bauen zu lassen – nach katholischen Grundsätzen. Versteht sich. Womit die guten Schwestern allerdings nicht rechneten, war die 1968er Prise im Schaffen ihres Architekten. Josef Lackner schuf durch sein Bauwerk ein Symbol für eine neue Art des Schulwesens, dessen Fokus es sein sollte, Offenheit, Kommunikation und Helligkeit zu transportieren. Seit letztem Jahr nimmt das Mädchengymnasium Ursulinen übrigens auch Buben auf. Der im Jahr 2000 verstorbene Josef Lackner gilt nicht umsonst als einer der einflussreichsten Tiroler Architekten der Nachkriegszeit – durch seine Bauwerke versuchte er nämlich stets auch eine gesellschaftliche Haltung zu transportieren. 1979 war das mit der Eröffnung des Mädchengymnasiums der Ursulinen in der Höttinger Au vielleicht ein wenig auch die Hoffnung auf liberales, offenes Denken.

Die 80er Jahre

Als die Kulturszene in Innsbruck endlich jugendlich wurde.

Halligalli und Kultur mit Tiefgang. So schaut das Gebäude auch schon von außen aus. Foto: Treibhaus Innsbruck

Halligalli und Kultur mit Tiefgang. So schaut das Gebäude auch schon von außen aus. Foto: Treibhaus Innsbruck

Ein weiteres Bauwerk, das knapp zehn Jahre nach der Ursulinenschule entstand, vermochte für Furore zu sorgen. Happy Faces bei allen Innsbruckern, deren Musik-Kulturgeschmack über das Landestheater und die Oper hinausging – Sad Faces bei jenen, für die dieses Gebäude den Grabstein auf Sitte und Ordnung bedeutete. Die Rede ist vom Veranstaltungszentrum Treibhaus. Das 1986 von den Architekten Reinhardt Honold, Rainer Köberl, Raimund Rainer, Gerhard Manzl fertiggestellte Kulturzentrum – ein dunkles Oktogon aus Leccahohlblocksteinen – spiegelt auch ein wenig den Eigensinn des streitlustigen Bauherrn Norbert Pfeifer wider. Inzwischen ist das 2001 von Reinhardt Honold erweiterte Bauwerk sowie auch die sensationelle Kultur, die dort jenseits starrer Grenzen veranstaltet wird, ein nicht wegzudenkender Bestandteil der Stadt Innsbruck geworden.

Die 90er Jahre

Konsumrausch und Globalisierung in der Alpenstadt.

Die Welt hält Einzug in Innsbruck fristgerecht im Zuge der allgemeinen Erkenntnis, dass sich Wirtschaft, Leben und eben auch Einkaufen globalisieren. Foto: Innsbruck Tourismus

Die Welt hält Einzug in Innsbruck, fristgerecht im Zuge der allgemeinen Erkenntnis, dass sich Wirtschaft, Leben und eben auch Einkaufen globalisieren. Foto: Innsbruck Tourismus

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1999 hielt die Welt Einzug in Innsbruck – auch diesmal in Form eines Franzosen. Dominique Perrault brachte zwar nicht wie Napoleon die Aufklärung in die Alpen, jedoch einen Konsumtempel, der wohl dem Zeitgeist der 1990er Jahre und dessen Form der Aufklärung entsprach: die Rathausgalerien – Shoppingmeile mit Gastro-Konzept sowie Stadtverwaltung und Politik. Ein weiteres Sinnbild unserer Gesellschaft? Andreas Hofer wäre es wohl zu gewagt, ja zu visionär gewesen. Dominique Perrault schuf einen Glaskomplex, der Altes und Neues unpathetisch verbindet. Architektonisch ein Meisterwerk, und eines der ersten Gebäude Innsbrucks mit dem Titel „Stararchitektur auf internationalem Niveau“.

Die 2000er

 Fassade oder nicht Fassade – das ist hier die Frage!

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Innen und Außen eine Faust aufs Auge oder eine architektonische Höchstleistung im Design? Eine Frage der Perspektive? Definitiv spannend. Foto: Kaufhaus Tyrol

Innen und Außen eine Faust aufs Auge oder eine architektonische Höchstleistung im Design? Eine Frage der Perspektive? Definitiv spannend. Foto: Kaufhaus Tyrol

Die ersten Entwürfe zur Neugestaltung des Kaufhauses Tyrol in der Prachtstraße Innsbrucks, der Maria-Theresien-Straße, sorgten für heftige, man könnte fast sagen emotionale, Diskussionen. Der Dekan der Innsbrucker Fakultät für Architektur empfand den Entwurf des Gebäudes „provinziell“, das Denkmalamt sprach von einer „Katastrophe“. „Anspruchslose Kulissenarchitektur“ war eine weitere milde Formulierung zum ursprünglichen Siegerentwurf von Architekt Heinz Neumann. David Chipperfield, Londoner Star-Architekt, holte die Karre 2007 sprichwörtlich aus dem Dreck – nach drei Jahren Bauzeit wurde 2010 das Kaufhaus Tyrol in der heutigen Form eröffnet. Ja und die Fassade? Die geknickte Rasterfassade von Chipperfield versöhnte die Innsbrucker und etablierte sich zum Besuchermagnet – nicht nur von Shopping-Queens, sondern auch von internationalen Architektur-Interessierten.

Ende gut, alles gut? Wir Innsbrucker dürfen gespannt sein – Sie auch, werter Leser.

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