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Wie heißt es so schön: „aus dem Veranstaltungskalender der Stadt nicht mehr wegzudenken“. Das trifft zu 100 Prozent auf die Stadtspaziergänge „Stadtarchiv findet Stadt!“ zu, die vom Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck seit einigen Jahren organisiert werden. Dieses Mal führte der Spaziergang nach Wilten.

Auch heuer gibt es wieder sechs Führungen zu ausgewählten Themen. Wer meine Blogbeiträge verfolgt, weiß, dass ich ein ziemlicher Fan dieses Formats bin. Mitarbeiter und/oder Freunde des Stadtarchivs bieten bei diesen Spaziergängen ganz besondere Blicke auf die Stadtgeschichte, abseits der üblichen Verdächtigen sozusagen. Es geht vom Flughafen bis zu den Innsbrucker Almen, vom Fußball bis zur Stadtteilgeschichte. Die letzte Tour im Juni stand unter dem Titel „Ist Wilten Stadt, Dorf oder Bobo?“

Wilten Stadt

Bei strahlend blauem Himmel und Aussicht auf Rekordhitze trafen wir uns im Stadtmuseum/Stadtarchiv in der Badgasse. Wo der Historiker Niko Hofinger uns erst einmal einen kurzen Einblick in die historische Entwicklung der Stadt Innsbruck und Wiltens gab. Der Stadtteil gehörte nicht immer schon zu Innsbruck, sondern war lange eine eigenständige Gemeinde. Größter Grundbesitzer war das Stift Wilten. Bis zur Eingemeindung 1904 verlief die Stadtgrenze auf der Höhe des Hotels Goldene Krone (früher Gasthof Gamper „Goldene Krone“).

Im Dorf

Mitte des 19. Jahrhunderts begann sich Innsbruck rasant zu verändern. Mit der Eisenbahn über den Brenner und über den Arlberg wurde die Stadt zum zentralen Knotenpunkt. Tausende Bahnarbeiter brauchten Unterkünfte. Zudem wurde Innsbruck Garnisonsstadt, der Bedarf an Wohnraum wuchs markant. Dazu kamen immer mehr Touristen. „Schließlich wurde die heutige Maximilianstraße als neue Grenzstraße eingemessen“, erzählt Hofinger und zeigt historische Karten. Trabantenstädte in Blockrandverbauung auf der grünen Wiese entstanden, wurden mit Wasser und Kanalisation versorgt.

Schon davor hatten allerdings Innsbrucker Bürger im Nachbarort Grundstücke gekauft, Häuser und Gewerbebetriebe errichtet und so die Urbanisierung gefördert.

An der Triumphpforte

Beim anschließenden Spaziergang war der erste Anlaufpunkt natürlich die Triumphpforte. Deren imposante Erscheinung lenkt vom ehemaligen Grenzstein ab, der immer noch am Hotel Goldene Krone zu finden ist. Eindrucksvoll auch das Winkler-Haus mit seinen wunderbaren Ornamenten. Es gilt nicht umsonst als eines der schönsten Jugendstilhäuser Innsbrucks.

Reizlos, aber für die Stadtentwicklung von Bedeutung, das ehemalige Hotel „Holiday Inn“ (heute Hilton Hotel), errichtet anlässlich der Olympischen Spiele 1976. Weder in Architektur und noch in den Proportionen nimmt das 15-stöckige Betongebäude Rücksicht auf das Umfeld. Vielen damals wie heute daher ein Schandfleck im Stadtbild.

Nordöstlich davon findet sich das in der Zwischenkriegszeit vom international ausgezeichneten Architekten Lois Welzenbacher geplante Verwaltungsgebäude der Innsbrucker Kommunalbetriebe.

Veränderungen

Der große Bedarf an Wohnraum macht auch vor Wilten nicht halt. Aufstockungen, Verdichtungen im Bestand sind zu finden – ein forschender Blick nach oben reicht: Aufbauten, Erhöhungen, mal dezent, mal spektakulär.

In den letzten Jahrzehnten wichen immer wieder markante, traditionsreiche Gebäude seelenlosen Neubauten, etwa der Hentschelhof, der Templhof oder der Wohnblock am Edith-Stein-Weg. Damit verschwanden auch viele der für Wilten charakteristischen Handwerks- und Gewerbebetriebe in den Innenhöfen.

Heute gehört Wilten zu den teureren Wohngegenden mit vielen Arztpraxen, Büros und Studentenwohnungen. Und es weist einen geringen Anteil migrantischer Bevölkerung auf, so Niko Hofinger.

Alternative Szene

Womit wir beim letzten Teil der Frage „Ist Wilten Stadt, Dorf oder Bobo?“ wären. Der Begriff verschmilzt die Wörter Bohemien und Bourgeois und meint gutbürgerlich situierte junge Menschen mit bestimmtem Lifestyle. Und wer durch die Leopoldstraße spaziert, kommt nicht umhin, an ein Bobo-Viertel zu denken. Es finden sich hier viele kleine, spezielle Geschäfte, Manufakturen und Lokale mit „alternativen“ Speisekarten: viel Selbstgemachtes, neue Kreationen, besondere Speisen und Getränke.

Zentral für die Ansiedlung neuer innovativer Betriebe war sicherlich die Neugestaltung des Wiltener Platzls. Es ist heute das Herzstück des Stadtteils, multifunktional, nutzbar für den Christkindlmarkt ebenso wie für den Bauernmarkt oder Flohmärkte – oder einfach zum Sitzen, Schauen, Essen, Trinken und Rasten.

Erinnerungen

Wehmütig zeigten sich alteingesessene Wiltener, die an der Stadtspaziergang teilnahmen. Einer der ganz großen Vorzüge dieser Stadtspaziergänge: die ortskundigen Teilnehmenden, die die Ausführungen ergänzen und mit ihrem Wissen bereichern!
Sie zählten auf, welche urigen Gasthäuser in den letzten Jahrzehnten schlossen. Diskutierten, bei welchem der in den 1990er Jahren noch zahlreichen Bäcker in Wilten es die besten Semmeln gab. Und sie erzählten vom „Rauscher-Pulli“. Wie die im Abverkauf beim ehemaligen Modegeschäft Rauscher erstandenen Kleidungsstücke hießen.

Einmal mehr führte dieser Stadtspaziergang an Orte und Plätze, in Geschichte und Geschichten, die sonst kaum zur Sprache kommen. Die Reihe „Stadtarchiv findet Stadt!“ zeigt, wie vielfältig, spannend und überraschend Innsbruck ist und sein kann – für Gäste wie für Einheimische.

Stadtarchiv findet Stadt!

Nächste Termine
23. September 2022 – Fliegen, gleiten und sicher landen
23. Oktober 2022 – Innsbrucker Häuser erzählen Geschichten

Und dann natürlich wieder nächstes Jahr! Alle weiteren Infos finden Sie hier.

Einen Veranstaltungskalender mit allen Events in Innsbruck finden Sie unter www.innsbruck.info

Fotos, wenn nicht anders angegeben: © Susanne Gurschler

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