
Seit Samuel Tanner fliegen kann, trifft man ihn selten auf dem Boden. Bei den RedBull X-Alps bestreitet er bald das härteste Hike & Fly-Rennen der Welt. Wie ich den seltenen Vogel trotzdem traf, warum er so auf Innsbruck abfliegt und wie man sich hier auf 12 Tage Wandern und Fliegen vorbereitet. Unter anderem nämlich: Mit mir im Inn.
Ein Kaisertagerl vom Wetter her - den frühen Vogel erwischt man Morgens.
Samuel Tanner strahlt schon mit der Sonne um die Wette.
Acht Uhr morgens an einem Feiertag. Wir gehen Eisbaden. Zugegeben: Das war meine Idee. Ob er sich traut? Aber Samuel Tanner sagt ganz locker zu. Wohl einen Monat zuvor wollten wir uns treffen, erst Mountainbiken gehen, dann eine Runde Laufen, immer flog mir der junge Wahl-Innsbrucker im letzten Moment davon. Heute Vormittag hat er endlich Zeit, vielleicht zwei Stunden. Lächelnd spaziert er die paar Meter vom Marktplatz neben mir und nur ein paar Steinstiegen später funkelt der Inn auf Augenhöhe. Bei günstigem Wasserstand bremst eine Bucht die Strömung und liegt mit sandigem Ufer günstig für einen Badegang. Wir waten gemeinsam, erst hüfthoch, dann setzen, jetzt atmen und genießen. Vier Minuten Zwanzig: Wenn Tee länger zieht, wird er bitter. Um kein Risiko einzugehen, verlassen wir das Wasser. Frühstück? Samuel lächelt ohne ein Zittern. Ich bin beeindruckt. Wie oft er so Eisbaden geht, frage ich beim Anziehen beiläufig. Sein erstes Mal, lächelt er.
Endlich flügge
Guten Morgen sagt die Marktbar: Samuel bekommt Rührei auf Schwarzbrot, dazu Cappuccino und Orangensaft. Und das erste Mal Fliegen? Mit dem Vater, daheim im Drautal – antwortet er kauend. Von der Emberger Alm auf 1.750 Metern Seehöhe begleitete er den Vater auf unzählige Tandemflüge, bevor er mit 15 zum ersten Mal allein den Schirm hochzog. Hike & Fly wurde dem jungen Samuel also sogar ein bisschen mit ins Nest gelegt. Heute ist Samuel 26 Jahre jung, lebt und fliegt in Innsbruck - und studiert nebenbei ganz locker Medizin. Ein Beruf, der viel verlangt und Ausgleich braucht. Doch auch das Fliegen ist ein Freizeitkiller, gut 270 Stunden war er im letzten Jahr in er Luft. Ob er da oben eigentlich keine Angst hat, frage ich. Dort trägt er nur Verantwortung für sein eigenes Leben, das macht die Sache sehr viel leichter, sagt er sanft. Und wahrlich: Dieser Samuel strahlt eine stoische Stärke aus, steht fest im Leben, ein freundlicher, fliegender Fels.
Die Marktbar tischt auf: Frühstück vom Feinsten.
Wir reden so viel, dass wir kaum zum Essen kommen.
Wandern und Fliegen wohin man will - so schmeckt die Freiheit.
Unsichtbare Wege
Die Nordkette gilt als eines der anspruchsvollsten Fluggebiete Tirols. Das weiß ich von anderen Vögeln. Die Thermik ist dort wild und ungestüm, das Wetter wählerisch und wechselhaft. Viele weichen lieber ins Stubai aus und fliegen entspannt vom 11er-Lift. Aber Samuel ist da Purist – früh aufsteigen, leichtes Gepäck, weit fliegen, das ist seine Welt. Erst gestern war er achteinhalb Stunden Langstrecke in der Luft. Einen ganzen Arbeitstag, rechne ich verblüfft nach. Seine „Hausstrecke“ geht von Nordkette bis zum Achensee und zurück. Mit zwei besonderen Highlights: Einmal die Runde um die digital kartographierte CTR (Controlled Traffic Region, also die „No-Fly-Zone“) des Innsbrucker Flughafens. Und das fantastische Falafel-Sandwich im Restaurant Marrusch danach.
2020 wagt sich der Student an erste Strecken-Wettkämpfe, heuer geht er erstmals bei den RedBull X-Alps an den Start. Der härteste Gleitschirmbewerb der Welt hebt am 15. Juni in Kitzbühel ab, erreicht in der Tiroler Zugspitz Arena den „Turning Point“ und landet am 27. Juni auf einer winzigen Plattform am Zeller See. 12 Tage haben die 35 Athlet*innen aus 17 Nationen dafür Zeit. Die eigentliche Rennstrecke ist dabei unsichtbar, man navigiert millimetergenau zwischen digital in die Luft gemalten GPS-Zylindern.
Mentale Höhenflüge
Die dünnen Para Cords, die Samuel an seinem Schirm halten, sind vom Boden aus nicht zu sehen. Ein Schlüsselmoment für Samuel war da der Umstieg von einem klassischen 3-Leiner auf seinen sportlichen 2-Leiner. Dadurch, dass dort die Mittelleine fehlt, sind steilere Anstellwinkel möglich und damit höhere Geschwindigkeiten, bis zu 60 km/h erreicht er so. Dass Fliegen auch Kopfsache ist, merkt man schnell. Es ist primär ein mentaler Sport, erklärt mir Samuel, solange man beim Start einen Schirm halten und damit loslaufen kann, ist man körperlich schon fit genug. Er trainiert neben Biken, Wandern, Laufen und - im Winter - Skitouren inzwischen aber auch mit einem professionellen Flugcoach für die X-Alps. „Klar ist man da nervöser, die Aufgaben können einschüchtern, der Gesamtumfang ist einfach wild.“ Sein Ziel für 2025: Ins Ziel kommen. Die Top 10 wären natürlich ein Traum. Aber Samuel stapelt lieber tief.
It's official: Samuel ist jetzt schon einer der Weltbesten. Wir wünschen gute Winde für den Wettkampf!
Doppeladler über Innsbruck
Fragt man ihn nach dem Schlüssel zum Fliegen, sagt er: Erfahrung, die Luft lesen können. Und eine gute Flugwetter-App. Musik hört er beim Streckenflug hingegen selten – und wenn, dann gern Progressive Metal, Tool oder Acen. Festivals war er früher gern, Rock am Ring mit Freunden. Wenn sie ihn heute besuchen kommen, zeigt er ihnen am liebsten die Altstadt und seine Nordkette. Und dann nehme ich sie wahrscheinlich einfach auf einen Tandemflug mit, quasi ein Tiroler Doppeladler. Sightseeing aus der Vogelperspektive - da will ich mich auch gern mal einladen. Aber erstmal: X-Alps. So bleibt zum Abschied heute nur noch eine Frage offen: Wie kommt er jetzt eigentlich zum Geburtstag der Oma nach Waging am Chiemsee? Vielleicht Direktflug, grinst er.
Wir wünschen Samuel Tanner für seinen Start bei den RedBull X-Alps schonmal gutes Wetter und günstige Winde. Und falls Ihr den sympathischen Tiroler Schirmherrn im Sommer am Himmel über der Nordkette seht (oder im Inn): Winkt’s ihm nur recht freundlich!
Fotos: Die Bilder vom Bath & Breakfast stammen vom Autor, alle Flug- und Wanderbilder sind natürlich vom Samuel. Danke dafür!
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Kleiner Schreiberling mit großen Leidenschaften. Geboren, aufgewachsen und veredelt in Tirol, liest gern und kocht fast wie Oma. Am liebsten immer irgendwo unterwegs und auf der Suche nach neuen Horizonten.
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