Tiroler Beuschl nach Art der Wilderin-01

Mein erstes Mal? Das war eher so spontan: Die umtriebige Wilderin nahm mir die Unschuld, in einer Nische in der Seilergasse, mitten in der Innsbrucker Altstadt. Immer wieder zieht es mich seither dorthin, dieser so seltenen Schönheit zu frönen. Denn hier und nur hier servieren dir die Geschwister Wirtsleut eben ein altehrwürdiges Tiroler Beuschl. Wer das uralte Innereien Gericht hierzulande noch kennt, der liebt es oder hasst es, dazwischen gibt es nichts. Einige Feinschmecker behaupten aber, dass ein richtig zubereitetes Beuschl noch jeden skeptischen Gaumen überzeugt hat. Meinen sogar so weit, dass ich unlängst selbst bei den Wilden in der Küche stand, um hier davon zu schwärmen.

Beuschl“ listet das etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache auf Seite 117 seiner 24. Auflage. Konkret als eine niedliche Verkleinerungsform von Bausch (oder Wulst), dessen früher ausschließlich kleidungsbezogene Bedeutung wohl irgendwann auch auf Eingeweide ausgedehnt wurde. Seinen kulinarischen Ursprung wiederum gründet das knuffige Beuschl in der bäuerlichen Allesküche. Dort, wo alles Gute wertvoll und nichts je verschwendet ist. Und weil die edle Wilderin bis heute mit ebendieser allumfassenden Liebe kocht, ´führt die täglich wechselnde Karte immer mindestens ein erlesenes Innereien Gericht. Unter anderem das so seltene und so schöne Tiroler Beuschl.

Hand aufs Herz

Oleia aus dem Pitztal, ehem. Haflingerfohlen vom Hof Christian Wille - werde ich gleich beim Reinkommen vorgestellt. Ein Zwischenstopp in Thomas‘ Edelfleischerei Klamm 80b im allerhintersten Leutaschtal, schon liegt das Pony in seine Bestandteile sortiert in Innsbruck. „Gekauft und verarbeitet wird ein Tier bei uns immer im Ganzen. So hat man auch Zugang zu den frischesten Innereien!“, erklärt der Chefbruder-Michl stolz und nickt Richtung Victoria. Die Restaurantleitung wirft mir daraufhin mit einer Hand eine Schürze über, zieht mit der anderen einen dickflüssigen Espresso aus dem Siebträger und drückt mit der dritten lächelnd die Tür zur Küche auf.

Drinnen kocht die Kathi ein Obstkomp(l)ott, die Schalen werden später noch Sorbet. Von Laurid bekomme ich sein schönstes Messer und da schau: „Die Lunge haben wir schon flachgepresst, die bläht‘s beim Kochen auf wie einen Schwamm. Da müssen jetzt erst die dicken Gefäße raus und dann in ganz feine Streifen schneiden. Die Milz ist vergleichsweise cremig, das Herz wiederum ein Muskel - aber ganz fein, wie ein Filet!“ Und tatsächlich, beim Anschnitt herzlich rot und seidig, faktisch fett- und faserfrei. Die Lunge mit ihren endlos vielen Leitungen ist da schon anders lästig in der Verarbeitung. Die Milz sieht zwar aus wie Marmor, ist aber butterweich. Andi mischt Krautsalat und findet es sehr schade, dass so viele schöne Dinge vergessen werden. Laurid verkündet seine Zustimmung von der Kartoffelpresse. Auch Kathi schüttelt den Kopf, sie könnte ewig über Innereien schwärmen. Nach einer Stunde Schnippeln bin ich erstmal fertig, eingekocht wird morgen.

Ein Kleinod Küchenkultur

Am nächsten Tag begrüßt mich Chefschwester-Claudia, gerade kommen kistenweise frische Innereien an. Im Vorbeifliegen schnappt sich die Kathi schnell ein Herz, für ein Sous-Vide-Projekt strahlt sie. Und nach Victoria, Espresso, Schürze und Tür erwartet mich schon Küchenjüngling Lukas am Kochtopf. Dort schwitzen Zwiebeln Brunoise (fein geschnitten) sowie Mehl von der steirischen Schalk Mühle in allerfeinstem Schweinefett. Erreicht die Roux (Mehlschwitze) ein aromatisches Vollmilchschokoladendunkel, wird mit exzellentem Weißwein abgelöscht. Es folgen, neben meinem gestrigen Innereien-Feinschnitt, nun auch Julienne (feine Streifen) vom Essiggurkerl, ein guter "Batzn" (Klecks) Estragonsenf, eine Handvoll Knoblauch, ein Schwall kräftiger Rindsfond, Apfelessig und Gurkerlwasser sowie Majoran, Lorbeer, Kümmel, Pfeffer und Salz. Anschließend nur kurz einkochen und erst zum Servieren mit etwas Obers verfeinern.

Das Rezept

Tiroler (Kalbs-)Beuschl nach Art der Wilderin

  • 4kg Bio-Beuschl (Lunge, Herz, Zunge, Milz), in feine Streifen geschnitten
  • Für die dunkle Roux/Mehlschwitze zunächst
  • 550g Schweinefett mit 550g Mehl etwas anbräunen, dann
  • 800g Zwiebeln (fein gewürfelt) mitrösten bis vollmilchschokoladendunkel.
  • Mit 1l Weißwein ablöschen,
  • 100ml Apfelessig, ein 500ml Glas Essiggurkerl (in feinen Streifen) und -wasser,
  • 150g Estragonsenf und 20g gehackten Knoblauch sowie
  • 12g Kümmel, 12g Pfeffer, 6g Majoran und zwei drei Blatt Lorbeer zugeben
  • Mit 1-2l kräftigem Rindsfond aufgießen und mit etwas Salz abschmecken.
  • Zum Servieren aufwärmen und mit etwas Obers verfeinern.

Tradition automatisch

In der Wilderin reicht man das Beuschl typischerweise mit frischen Blechknödeln. Ein guter Anteil wird heute aber gleich abgefüllt und wandert draußen in den Automaten. Das eigentliche "Corona-Kind" (also Erfindung aus Covid-Zeiten) wird nämlich nach wie vor gut besucht – und das Beuschl ist dort längst ein beliebter Klassiker. Offenbar sucht so ein Beuschl-Guster (lustvoller Hunger) nicht nur mich zu den unmöglichsten Zeiten heim. Und eine Sicherheit gibt’s da nun gewissermaßen mehr: Sollte die umtriebige Wilderineines Tages selbst nicht mehr sein, so wird zumindest ihr Beuschl nun doch ein Weilchen weiterleben.

Zum Verkosten in der Wilderin wird um vorherige Reservierung gebeten.

Zum Abholen am Automaten brauchts hingegen keine Reservierung - nur etwas Glück. Die Gerichte sind sehr beliebt!

Fotos: Alle Bilder von Beuschl bis Belegschaft stammen vom Autor.

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