5_Glockengießerei Grassmayr_©SGurschler

Es ist immer ein besonderes Ereignis, wenn die Glockengießerei Grassmayr einlädt, live bei einem Glockenguss dabei zu sein. Am 14. April 2023 war es wieder so weit. Zehn neue Kirchenglocken sollten an diesem Tag entstehen. Der Andrang war entsprechend groß. Neben Vertretern aus den Orten, für die die Glocken vorgesehen waren – Prag (Tschechien), Dancu (Rumänien), Waldshut (Deutschland) und Wölfnitz an der Saualpe (Kärnten) – fanden sich auch Interessierte aus Innsbruck und Umgebung ein.

Ältester Familienbetrieb

„Glockengießerei seit 1599“ steht auf dem dottergelben, geduckten Gebäude am Innsbrucker Südring, der stark befahrenen Durchzugsstraße Innsbrucks. Seine Wurzeln hat der Betrieb im Weiler Habichen im Ötztal, wo Bartlmä Grassmayr 1599 seine erste Glocke goss. 1836 zog das Unternehmen in den ehemaligen Ansitz „Straßfried“ in Innsbruck.

Seither befindet sich das Traditionsunternehmen an dieser Stelle. Kein Wunder also, dass die Kreuzung „Grassmayr-Kreuzung“ genannt wird. Mit Johannes und Peter Grassmayr leitet mittlerweile die 14. Generation die Glockengießerei. Damit ist sie das älteste Familienunternehmen Österreichs.

Bei einem Glockenguss ist natürlich die ganze Familie im Betrieb – auch Elisabeth und Christof Grassmayr, der die Firmenleitung an seine Söhne übertragen hat.

Komplexes Verfahren

Bevor es in die Gießerei geht, führt Austria Guide Monika Unterholzner durchs Museum und erläutert das Verfahren. Die Herstellung einer großen Glocke erfordert Monate der technischen und praktischen Vorarbeit. Was früher händisch gezeichnet und berechnet wurde, erledigt heute zwar ein Computerprogramm – das eigentliche Gießen aber funktioniert wie früher. Es braucht immenses Know-how, Kraft, Können und Präzision (weitere spannende Details gibt es hier). 

Zuerst wird ein Kern gemauert und mit Lehm ummantelt. Darüber kommt eine Schicht Fett als Trennmittel. Dieser Kern wird neuerdings mit einem Lehmmantel überzogen. Eine exakt auf die spätere Glockenform abgestimmte Schablone sorgt für einen rundum gleichmäßigen Auftrag.

In Gottes Namen

Auf die zweite Wachsschicht kommen die Wachsvorlagen für Verzierungen und Beschriftungen, die von Bildhauern in einem aufwendigen Verfahren hergestellt worden sind. Es folgt eine weitere Ummantelung mit einer Masse aus Lehm, Heu und Pferdeäpfeln. Um das Objekt zu stabilisieren, wird es in einen Stahlmantel gefasst. Anschließend härtet das Ganze über mehrere Wochen aus.

Jetzt lassen sich die drei Teile voneinander trennen. Die falsche Glocke wird entfernt, die Wachsverzierungen mit Feuer ausgeschmolzen, danach Kern und Mantel zusammengesetzt – dazwischen findet sich nun der Hohlraum für die Glocke. Frei bleiben die Gusslöcher oberhalb der Krone, der Halterung der Glocke.

Den perfekten Klang erhält eine Glocke seit alters bei einer Legierung 80 zu 20: 80 Prozent Kupfer, 20 Prozent Zinn – für den Guss erhitzt auf 1.100 Grad! Mehr als zehn Tonnen Metall wurden für den aktuellen vorgeschmolzen. Insgesamt seien bei diesem Prozess drei Tonnen verglüht, ergänzt Monika Unterholzner, bevor es in die Gießerei geht.

Am Boden zehn Glocken im Metallkorsett, dahinter die große Trommel mit dem geschmolzenen Metall. Arbeiter in Schutzanzügen steigen zwischen den Formen herum, treffen letzte Vorbereitungen. Nicht fehlen darf natürlich der göttliche Segen. Der Pfarrer weiht die zehn Glocken, Zuschauerinnen und Zuschauer stimmen das Lied „Vor dem Glockenguss“ an, und mit einem „In Gottes Namen“ geht es los.

Mit Kraft und Präzision

Christof Grassmayr moderiert und fordert die Anwesenden auf, sich während des Gusses ruhig zu verhalten – das Team um Peter Grassmayr muss Anweisungen hören können. Wie seit Hunderten von Jahren wird das heiße Metall noch einmal mit einem feuchten Erlenstamm umgerührt. Es zischt und gurgelt, Rauch steigt auf. Und man sieht, wie viel Kraft es den Mitarbeiter kostet, den Stamm zu bewegen.

Dann wird die glühendrote Bronze angestochen, fließt in das erste Gussloch. Hoch konzentriert sorgen die Mitarbeiter für eine gleichmäßige Fließgeschwindigkeit, achten darauf, dass die Hitze konstant bleibt. Jeder Schritt ist genau geplant. Sie wissen, jeder Fehler rächt sich. Entsprechend der Druck, die Anspannung.

Das Gießen selbst dauert, je nach Größe der Glocke, nur wenige Minuten. Dann plötzlich konzentrieren sich die Blicke auf eine Glocke, Murmeln ist zu hören. Der „worst case“ sei eingetreten, sagt ein hörbar bewegter Peter Grassmayr. Bei einer Glocke tritt Bronze aus. „Es nützt nichts. Wir müssen weitermachen“, erläutert er. Es sei wie bei einem Ball im Wasser, den man runterdrücken müsse. Hier sei es nicht gelungen. Irgendwo habe sich die Form gehoben. Wo und wie und warum, werde man später klären.

Die Anspannung der Mitarbeiter ist nun noch einmal höher, überträgt sich auf die Zuschauer. Doch das Team muss ruhig und besonnen weitermachen, jeder Glocke weiter die nötige Aufmerksamkeit schenken. Bei den neun anderen Glocken funktioniert der Guss. Aufatmen. Nur am Rande sei erwähnt, dass sich unter den Zuschauern auch Tobias Moretti befand – wie alle anderen fasziniert vom Geschehen.

Schnapserl und Gebäck

Für diesen Tag ist es vorbei. Nach einem „Großer Gott wir loben dich“ gibt es ein Schnapserl für alle und Gebäck, das Elisabeth Grassmayr eigens für diesen Anlass gebacken hat. Seit ihrer Heirat gehört auch das zum Ritual nach dem Glockengießen, diesem aufregenden „Moment“ für jeden Glockengießer seit jeher.

Den nächsten emotionalen Moment werden die Glockengießer ohne Zuschauerinnen und Zuschauer erleben. Nach dem Auskühlen legen sie die Glocke frei und reinigen sie. Die Glocke wird in Schwingung und damit zum Klingen gebracht. Erst dann wissen Familie Grassmayr und ihr Team, ob der Guss wirklich gelungen ist.

Glockengießerei Grassmayr

Leopoldstraße 53
A-6020 Innsbruck
+43 512 / 59 41 637
museum@grassmayr.at
www.grassmayr.at

Fotos, wenn nicht anders angegeben: © Susanne Gurschler

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