Die Form: Ross und Reiterin. Das Material: purer Fels, dessen nadelartige Spitze einen Namen trägt. Der Ort: Innsbrucks Nordkette in 2.267 Metern Seehöhe. Während andere Bergnadeln hierzulande meist nicht eigens benannt werden, hat es dieser Felszacken zu echter Berühmtheit gebracht: Er stellt die Frau Hitt hoch zu Ross dar. So schaut’s aus, wenn Geiz und Gier von den himmlischen Mächten bestraft werden. Die gute Frau fristet also auf dem Kamm der Nordkette hoch über Innsbruck seit urdenklichen Zeiten ein elendes Dasein. Den näheren Grund dafür will ich in diesem Beitrag erkunden.
Es sind eigentlich drei Sagen, die das ‚Schicksal‘ der Frau Hitt erklären. Die Gebrüder Grimm nahmen eine davon in die Sammlung der „Deutschen Sagen“ unter dem Namen ‚Frau Hütt‘ auf. Demnach lebte einst eine Riesenkönigin dieses Namens auf den Gebirgen um Innsbruck herum. Als eines Tages ihr kleiner Sohn mit Schlamm bedeckt heimkehrte, jammerte und weinte, versprach ihm seine Mutter ein schönens Röcklein. Ein Diener sollte dann aber sofort weiche Brosamen bringen, um Gesicht und Hände des Bübleins zu reinigen. Worauf Schlag auf Fall ein schweres Gewitter über den reichen Kornäckern, grünen Wiesen und Wäldern der Königin aufzog und entsetzliche Blitze zu Boden zuckten. Als es vorbei war, war alles verschwunden, was dieser Dame gehörte. Überall nur Felswüste mit Steinen, kein Grashalm konnte mehr wachsen. In der Mitte des Chaos stand versteinert die Frau Hütt, „und wird so stehen bis zum jüngsten Tag“, so die Vorschau der Gebrüder Grimm.
Die zweite Erklärung der ‚Versteinerung‘: Eines Tages, so erzählt es diese Geschichte, begegnete Frau Hitt einer armen Frau und ihrem hungrigen Kind, die sie um ein wenig Nahrung baten. Statt ihnen zu helfen, nahm die Riesin einen Stein und reichte ihn dem Kind, als ob es Brot wäre. Die arme Frau flehte noch einmal um Hilfe, doch Frau Hitt verspottete sie nur und ritt hochmütig weiter. Diese Tat des Hochmuts und der Hartherzigkeit blieb nicht ungesühnt. Die göttliche Strafe folgte auf dem Fuße: Die Berge begannen zu beben, ein starkes Unwetter zog auf, und ein mächtiger Blitz traf Frau Hitt. Die Riesin wurde mitsamt ihrem Pferd in Stein verwandelt. Seither sitzt sie als steinerne Figur hoch oben auf dem Felsen und blickt starr in die Ferne.
Eine dritte Version steuerte Joseph Kyselak bei. Der Wiener Hofbeamte begann 1825 eine viermonatige Bergtour durch Österreich, die ihn auch nach Tirol führte. Zu Fuß, versteht sich. Er passierte den Gerlospass ins Zillertal, überquerte den Alpenhauptkamm nach Sterzing, um dann über den Jaufenpass, das Passeiertal und über das Timmelsjoch ins Ötztal zu wandern. Über die Wildspitze und das Stubaital erreichte er Innsbruck – und hörte hier vermutlich die dritte Version der Frau-Hitt-Sage. Er stellt in seiner Reisebeschreibung jedenfalls eine völlig neue Sagenversion vor.
Eine von allen geliebte Königin hieß Frau Hütt. Ihr Sohn Ol, den sie mit Tyr, einem Bergriesen, gezeugt hatte, sollte die Regierung künftighin leiten. (Begabte Sprachkundler werden in der Kombination beider Namen das Wort Tyr-ol erkennen.) Allein, der Sohn war ein Tunichtgut. Er lehnte sich gegen seine Mutter Hütt auf, die insoweit unverletztlich war, als dass sie nur das Wasser zu fürchten hatte. Der Sohn wusste dies, riss einen Felsenberg vom Solstein, wodurch die glatte Martinswand entstand, und schleuderte ihn talabwärts, wo heute noch der Berg Isel ein Stück davon ist. Der Inn wurde aufgestaut, ein See verschlang Menschen und Tiere. Frau Hütt floh auf die Alpe und flehte um Rache, die die ‚höhere Macht‘ verwarf. Sie habe den Sohn verzogen, nun soll jeder Blitz ihr Haupt erschüttern. Woraufhin sie erstarrte, ebenso übrigens wie ihr Sohn, der von seiner eigenen Untat verschlungen und zerrissen wurde.
Die Sagen von einer Frau Hitt werden in Tirol vermutlich seit urdenklichen Zeiten erzählt und geben Katastrophen wieder, die sich in prähistorischen Zeiten ereignet haben. Dokumentiert taucht sie aber erstmals 1799 im Reisebericht des Reisebegleiters Mattisson der Fürstin Luise von Anhalt-Dessau auf. Seine Recherchen bei zwei Tirolreisen nahmen die Gebrüder Grimm dann 1816 in die Sammlung „Deutsche Sagen“ auf.
Wie die Sage der Frau Hitt entstanden sein könnte
Dass die Menschen früher in außergewöhnlichen Felsformen einen Beleg für das Wirken himmlischer Mächte gesehen hatten, steht fest. Wenn Felsformen wie jene der Frau Hitt im wahrsten Sinn des Wortes ‚herausragend‘ auf einer majestätischen Felsenkette stehen, regte das mit Sicherheit die Fantasie der Menschen an.
Die Nordkette ist durch gewaltige Brüche in postglazialer Zeit entstanden. Es hatte in der Gegend um Innsbruck schon in prähistorischen Tagen Menschen gegeben, welche massive Felsstürze und Steinlawinen erleben mussten. Das ist aufgrund der prähistorischen Funde in Hötting fast sicher anzunehmen. Solche Erinnerungen sind dann in Form von Erzählungen Jahrhunderte hindurch tradiert worden, wie der Innsbrucker Geologieprofessor Josef Blaas vermutete. Erzählungen, die schlussendlich in Form der Frau-Hitt-Sage von der ‚gerechten Vergeltung‘ mündeten. Die Version von Johann Kyselak ist dafür ein schöner Beleg.
Die Herkunft des Namens ‚Frau Hitt‘ verbleibt im Dunkel der Geschichte
Ein ‚Vorläufer‘ des Namens wird 1500 im Jagdbuch des Kaisers Maximilian genannt: „Das Wild hetzt man vom Freyhaitannger“, wird vermerkt. Die Gegend der Frau Hit wird als „Frawhuet“, „Frawhut“ und „Frawhuettenspitz“ bezeichnet. Wie es zum Namen ‚Hitt‘ gekommen ist, wird noch immer vom dichten Nebel der Vorzeit verdeckt. Mit der Erstellung der ersten Karte von Großtirol durch Peter Anich und Blasius Hueber wurde auch die ‚Frau Hütt‘ quasi fixiert.
Die Frau Hitt als Kletterturm
Es wäre nicht Innsbruck, wenn diese aufragende Felsnadel nicht schon von den ersten Bergsteigern geschätzt worden wäre. Angeblich wurde die Felsnadel in den 1840er Jahren erstmals bestiegen. Seither trampeln Menschen auf dem Kopf der Frau Hitt herum. Aus dieser Zeit überliefert ist eine Schnurre, nach der damals auf dem Gipfel eine große Andreas-Hofer-Statue aus Holz aufgestellt wurde. Sie sei dann von Hirten zerstört worden, da das Weidevieh vom Anblick des Sandwirts geschreckt worden sei (!). Das sagen die Einen. Andere verdächtigten die Bayern, den Tiroler Helden aus Zorn zertrümmert zu haben.
Viele Versuche, die Spitze auf die eine oder andere Art zu betonen, scheiterten. So zerstörten Wind und Wetter einen ‚eisernen Drehspiegel‘, den 1885 der akademische Turnlehrer Josef Haselsberger auf dem Gipfel montiert hatte. Ähnlich erging es einer Fahne samt Fahnenmast, sie hielten Wind und Wetter auch nicht dauerhaft stand. Von längerer Dauer war eine eiserne Fahne, die auf einer sechs Meter hohen Eisenstange angebracht war. Von ihr war Berichten zufolge 1927 ‚nicht mehr viel zu sehen‘. Heute ziert ein kleines Gipfelkreuz den Scheitel der Frau Hitt.
Meine Tipps
Alle, die sich intensiver für die Geschichte der Frau Hitt interessieren, seien auf die dazugehörige Folge der ORF-Sendung „Der Sagenjäger“ verwiesen. Da kommt auch Sagenforscher Wolfgang Morscher zu Wort, der die wunderbare Plattform sagen.at betreibt. Ich habe bei der Recherche zu diesem Blogtext viele konkrete Hinweise geholt.
Auch Innsbrucks ‚History-Plattform‘ des Stadtarchivs, „Innsbruck erinnert sich“, beschäftigt sich mit der Frau Hitt. Dem Archiv sei für die vielen Fotos gedankt, mit denen ich diesen Blogtext illustrieren konnte.
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Alm-Freiwilliger in der 'Schule der Alm', Kultur-Pilger, tirol-Afficionado, Innsbruck-Fan.
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