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Endlich! Ein halbes Jahrtausend nach dem Bau unseres weltberühmten Wahrzeichens scheinen sich die Nebel über den letzten geheimnisvollen Details am Goldenen Dachl zu lichten. Pünktlich zum 500. Todestag Maximilians löste die bekannte Maximilian-Forscherin Dr. Sabine Weiss im vorigen Jahr das zweitletzte Rätsel: Wer war der „eselohrige Gaukler“ in einem der Reliefs des Goldenen Dachl? Es war Kaiser Friedrich III., den sein Sohn Maximilian im Narrenkostüm darstellen ließ.

Friedrich III. am Relief des Goldenen Dachl Innsbruck

Maximilian ließ seinen Vater, Friedrich III., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, als Hofnarren mit Eselsohren und Narrenglöckchen darstellen. Diese Original-Relieftafel wurde im Museum Goldenes Dachl gezeigt. ©Werner Kräutler

Jetzt folgt der nächste, wesentlich schwierigere Streich: Die Enträtselung jenes Schriftbandes, das aus scheinbar  zusammenhanglosen und vor allem mysteriösen Zeichen besteht. Nur eines war bisher sonnenklar: Die Idee dazu musste von seiner Majestät höchstselbst gestammt haben. 

SCHAREN VON ZEICHEN- UND SCHRIFTGELEHRTEN SCHEITERTEN

Die berühmten Reliefs mit den Moriskentänzern mit ihren scheinbar eckigen Bewegungen konnten bisher ihr Geheimnis für sich behalten. Ganze Scharen von Wissenschaftern, Altertumsforschern, Schriftstellern und Schriftgelehrten versuchten sich an der Decodierung jenes Schriftbandes, das die Reliefs quasi verbindet. Auch eine groß angelegte Aktion unseres Tiroler Schriftstellers Felix Mitterer mit dem Versuch einer ‚lyrischen Übersetzung’ erbrachte keinerlei greifbare Resultate. Die Zeichen sind beim ersten Hinschauen vermeintlich hebräischen Ursprungs. Dass sie das keineswegs sind bestätigte schon vor Jahren eine Studie der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinden für Tirol und Vorarlberg, Dr. Esther Fritsch.

Moriskentänzer in der Ausstellung

Bei einer Ausstellung im Museum des Goldenen Dachl wurden die Original-Reliefs präsentiert. Gut sichtbar: das Spruchband, das alle Reliefs verbindet. Seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts sind Replikate am Goldenen Dachl angebracht.©Werner Kräutler

Abzeichnung von Johann Wunibald Deiniger, 1899

Eine erste bekannte Abzeichnung der Zeichen des Spruchbandes fertigte Johann Wunibald Deiniger bereits 1899 an.

Ein Historiker aus dem Außerfern präsentiert jetzt des Rätsels Lösung. Sein Name: Erhard Maroschek. Der gebürtige Steirer ist gelernter Historiker und Germanist. Seit Jahrzehnten wohnt er mit seiner Frau Waltraud in Lermoos am Fuß der majestätischen Zugspitze wo er seinem Brotberuf als  Buchhalter der Gemeinde Lermoos nachgeht. Sein Hobby indes ist ein sehr exklusives: ihn faszinieren alte Schriften, rätselhafte Zeichen, geheime Symbole und verklausulierte Bänder wie das Spruchband vom Goldenen Dachl.

Es scheint ganz so, als ob ihm jetzt gelungen ist, was 520 Jahre für unmöglich gehalten worden war. Denn Maroschek hat eine Lösung anzubieten, die im mittelalterlichen Kontext überaus stimmig ist. Und auch die tiefere Bedeutung der goldenen Schindeln in neuem Glanz erstrahlen ließe. Als völliger Laie auf diesem Gebiet bleibt mir nur eine Möglichkeit: ich kann seine Auflösung akzeptieren oder nicht. In einem Satz: Ich glaube, Maroschek hat die Lösung gefunden. Die perfekt in das Weltbild des damaligen Imperators Maximilian als ‚Bauherren‘ des Goldenen Dachl passt.

Erhard und Waltraud Maroschek

Erhard und Waltraud Maroschek ©Werner Kräutler

20 JAHRE RÄTSELN: WIE ALLES BEGANN

Geweckt hatte das Interesse an Geschichte Maroscheks Professor Hermann Wiesflecker. Der wiederum war einer der absoluten Kenner Kaiser Maximilians I. „Es war aber der Außerferner Künstler und Bildhauer Josef Kieltrunk aus Heiterwang, der mich lange nach meinem Studium in den 90er Jahren auf das Spruchband am Goldenen Dachl ansprach“ erzählt mir Erhard Maroschek. Der Künstler war beharrlich, „über Jahre hinweg“ sagt er. Als dann klar war, dass es sich bei den Buchstaben auf dem Band nicht um hebräische Schriftzeichen handelte, beschloss der Schriften- und Zeichenliebhaber, die knifflige Aufgabe konsequent anzugehen. Jetzt begann ein  mehrjähriges Rätseln, Nachdenken und Kombinieren in Sachen Schriftband.

Magische Zeichen, Geheimschriften und Texträtsel

Er wusste: Die Zeit um 1500 ist geprägt von der Erforschung alter Schriften, der Liebe zu magischen Quadraten, Geheimschriften und Rätseln. Inmitten dieser Gemengenlage befinden sich übrigens Albrecht Dürer und Leonardo da Vinci, die nur allzuoft kryptischen Zeichen und geheimnisvollen Symbolen zuneigten. Zudem war eben erst der Buchdruck erfunden worden, der wiederum sehr stark mit Schrift und Form zu tun hatte. Ausgerechnet zu jener Zeit, als Niclas Türing um 1500 das Goldene Dachl errichtet hatte, feierten mystisch-geheime Zeichen quasi fröhliche Urständ.

 

„Dabei hat das Spruchband als dekorierendes Beiwerk eine lange Tradition“ erklärt mir Maroschek. „Oft wurden leseunkundigen Betrachtern Personen mit ihren Attributen präsentiert, wie etwa Petrus mit dem Schlüssel.“ Während die Alphabeten die Inschriften von Bändern leicht lesen konnten. Halt genau das am Goldenen Dachl nicht. Und das hatte seine Gründe.

Vom ‚Aufnehmen‘ des roten Fadens

Wie aber kommt man überhaupt zu einer vagen Idee, was am Goldenen Dachl geschrieben stehen könnte? Mit anderen Worten: wie findet man quasi im Dunkeln tappend jenen roten Faden, der zum Ziel führt. Maroschek: „In der Epigraphik“. Das ist die Wissenschaft von der Erkundung alter Inschriften. Da habe sich ein altes, äußerst nützliches Werk immer wieder als  Ausgangspunkt von Enträtselungen entpuppt, sagt er: Das „Lexicon Abbreviaturarum“ von Adriano Capelli aus dem Jahre 1928. Jetzt musste er sich nur noch die richtigen Fragen stellen. 

„Die erste wichtige Frage ist jene, ob der Text von links nach rechts oder umgekehrt verläuft“ gibt mir der Tiroler Zeichendeuter eine kurze Lehrstunde in Sachen Enträtselung. Dann musste er abklären, ob Zeichen enthalten sind, die im Zusammenhag mit Symbolen aus der Alchemie, Astronomie oder aus dem Freimaurertum verwendet werden. „Auch astronomische Symbole kamen in Frage“, erklärt er mir. So erinnert zum Beispiel ein Zeichen zwar an das astronomische Zeichen für den Saturn, aber das war ein im Mittelalter oft verwendetes Zeichen für das H.

Und dann ist da noch die Sache mit den Abkürzungen. Eine wahrhaft harte Nuss. Im Mittelalter war es nämlich üblich und normal, Abkürzungen zu verwenden. Ein kleines Beispiel: für das Wort „UND“ wird heue noch das Zeichen „&“ verwendet. Genau betrachtet ist es eine grafische Verkürzung des Wortes „ET“. Eines war sich Maroschek bald sicher: Beim Dachl-Spruchband schieden Abkürzungen völlig aus.

Abkürzungen im Mittelalter

Beispiele für Abkürzungen in mittelalterlichen Texten. Bild: Phil.Uni Passau

Aus welcher Position war der Text zu lesen?

Dann geht es darum, den richtigen Standpunkt zu wählen, von dem aus das Spruchband gelesen werden kann. Wäre es denkbar, dass das Spruchband nur von jenen zu lesen war, die in der Loge des Goldenen Dachl standen und auf den Platz herunter blickten? Dann müssten die Zeichen für Betrachter von unten nicht wirklich lesbar sein, da sie auf dem Kopf stünden. Und genau das ist bei einigen Worten der Fall. Aber dazu später. 

'EGO' in 3 Ansichten

Der Durchbruch: das lateinische Wort EGO (ich). Das kann man wieder von unten und oben, von links und rechts sehen und lesen.

Verrät ein Moriskentänzer den Textanfang?

Dann die Frage: ist es eine bekannte Sprache, in der das Band abgefasst ist? Maroschek war sich sehr rasch schon sicher, dass es sich um einen lateinischen Text handeln müsste. Natürlich hatte er ein gerüttelt Maß an Erfahrung und auch ein Gefühl dafür, dass künstlich zerteilte Buchstaben sogar am Kopf standen. Der entscheidende Punkt war jetzt der Textanfang, den es zu finden galt.

Dann fiel ihm die Figur eines Moriskentänzers auf, die mit dem gestreckten Zeigefinger direkt auf einen Buchstaben deutet. War das der Textanfang?

Relieftafel mit Beginn des Textes. Christus,

Ein Moriskentänzer zeigt auf den Textbeginn (gelber Kreis). Das alte Zeichen für Christus war X. (Das griechische X ist der erste Buchstabe des Namens ??????? (Christus) und symbolisiert zugleich das Kreuz.) Mit einem quer liegenden Doppelpunkt versehen deutet es Erhard Maroschek als Anfang des Bibelzitates Joh. 8, Vers 12. Im Bild die Originaltafel, die im vergangenen Jahr im Museum Goldenes Dachl präsentiert worden war. © Werner Kräutler

Und tatsächlich. Die Zeichenfolge sieht aus wie ein Omega, ein Gamma und ein verschlanktes umgedrehtes E. Also „OGE“.- „Na ja, hab ich mir gedacht, OGE ist ja keine Vokabel, die geläufig scheint. Leichter wurde es, weil die Forscher gottlob Hebräisch ausgeschlossen hatten“ meint Maroschek lachend. Aber er war sich sicher, den Beginn des ‚roten Text-Fadens‘ gefunden zu haben.

Dazu kamen dann noch verschiedene Zeichen, die an ein X erinnerten. Jetzt kam Maroschek der Sache schon beträchtlich näher: Neben dem Fingerzeig auf die Kombination OGE folgte dann LXU. „Beide Worte stehen nicht im Latein-Wörterbuch“, lacht er. „Aber es konnte EGO LUX heißen“. Das war die halbe Miete und der Durchbruch zur Decodierung des Textes.

Wer sich jetzt an Google wendet und die beiden Worte „ego lux“ eingibt erhält die Lösung: es poppt eine Seite auf, die den Text eines Gregorianischen Chorales wiedergibt. Der stammt aus dem Johannes Evangelium Kapitel 8 Vers 12:

„EGO SUM LUX MUNDI QUI SEQUITUR ME NON AMBULABIT IN TENEBRIS SED HABEBIT  LUCEM VITAE DICIT DOMINUS“ 

(Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern er wird das Licht des Lebens haben, spricht der Herr)

Es waren also die zwei Wörtchen EGO und LUX, die sich als passender Schlüssel zur Öffnung dieses letzten Geheimfaches am Goldenen Dachl erwiesen. „Der Text hat sich anschließend nahezu von selbst hingezaubert“ erzählt Maroschek strahlend. „Es brauchte nur noch das SUM und ein bißchen MUNDI sowie einige Reste um sicher zu gehen. Selbst das HABEBIT entblätterte sich vor den forschenden Augen Maroscheks. Damit war seine Ausgangshypothese bestätigt.

So entschlüsselte Erhard Maroschek den Text des Spruchbandes. Schriftgelehrte und Hobbyforscher können sich seine Präsentation am Schluss dieses Textes herunterladen. Darin erklärt er seine Interpretationen und die Vorgangsweise. ©Erhard Maroschek

Die Moriskentänzer scheinen den Text zu tanzen

Interessant ist auch die Vermutung, dass der Text den Tänzern (oder die Tänzer dem Text) irgendwie angepasst worden war. Wechselnde Leserichtungen und oftmalige Verdrehungen der Buchstaben harmonieren recht gut mit den tanzenden Begleitfiguren. Die Frage, in welchem Zusammenhang Text und Figuren stehen wäre eine weitere, überaus spannende Aufgabe für Wissenschafter und Bildhauer.

„Die abschließende Frage, ob es eine absichtliche Geheimschrift war geht eigentlich ins Leere“, sagt Maroschek. Denn zur Zeit der Entstehung war der ganz große Teil des Volkes des Lesens und Schreibens völlig unkundig. Eine Schrift wäre also in jedem Fall für das Volk unlesbar gewesen. Mit oder ohne Verfremdung.

Das Gold des Dachl: Ein Symbol des Göttlichen

Was ich noch anfügen möchte: Meine nun schon intensive Beschäftigung mit Kaiser Maximilian lässt mich nicht mehr an der Maroschek’schen Deutung des Spruchbandes zweifeln. Denn die Religion nahm im Leben des ‚Letzten Ritters‘ eine zentrale Rolle ein. Er wusste und war sich dessen stets bewusst, dass sein Leben in Gottes Hand war. Deshalb besuchte er täglich den Gottesdienst und ließ sich bei Reisen von einem Priester die Messe auf einem Tragaltar lesen. Alles andere als ein Bibelzitat auf dem Goldenen Dachl wäre für den Kaiser mit Sicherheit unangebracht gewesen. Vielleicht wollte er Schwierigkeiten mit der Kirche umgehen. Denn solche gemalten Zitate waren normalerweise nur in kirchlichen Gebäuden erlaubt. Und so konnten es selbst gelehrte Kleriker nicht lesen.

Was mich fasziniert: Die goldenen Ziegel symbolisierten nicht nur für ihn das Göttliche. Sie reflektieren auch jenes Licht, in dem er sich als Imperator sonnen wollte und durfte.

Für mich ist die Entschlüsselung des Spruchbandes am Goldenen Dachl ein weiterer wichtiger Baustein, um Denken und Handeln Kaiser Maximilians I. historisch zu erklären. Ich hege tiefen Respekt für die Leistung von Erhard Maroschek.

Hier schildert er im Download, wie er das Rätsel löste: Das Spruchband am Goldenen Dachl

Für alle, die sich als ‚Decodierer‘ betätigen wollen hat Erhard Maroschek eine Aufgabe: Welcher Text ist hier formuliert? Antworten bitte unter den Kommentaren.

Wer entziffert diesen Text

Wer entziffert diesen Text? Ein Tipp: er ist in Deutsch gehalten.

Weitere Blogposts von mir über Kaiser Maximilian und das Goldene Dachl:

Schluchtenscheißer am Goldenen Dachl entdeckt

„Ich will nicht mit dem Glockenton vergessen sein“

Kaiser Maximilian, ein mittelalterliches PR-Genie

Die Martinswand, wo Kaiser Max am Rande seines Grabes stand

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