
Im ausgehenden Mittelalter strömten hunderttausende Pilger durch Innsbruck. Unsere Stadt stellt heute noch eine Kreuzung der drei berühmtesten Pilgerwege der Christenheit dar. Der Jerusalemweg, der Weg nach Rom und der Jakobsweg nach Santiago de Compostela treffen hier aufeinander.
„Nach Jerusalem wandert man, um Jesus zu finden, nach Rom geht man zum Papst, doch auf dem Pfad nach Santiago de Compostela sucht man sich selbst.“ Dieses spanische Sprichwort drückt die Vielfalt aus, die moderne Pilgersleute antreibt, wenn sie sich ab Innsbruck in drei Himmelsrichtungen zerstreuen. Im Westen geht’s nach Santiago. Der Süden ist die Richtung nach Rom, und die Jerusalem-Route geht nach Osten.
Vom Osten auf dem Jakobsweg kommend, passieren die Pilgersleute das wunderschöne Gnadenwald mit seiner Martinskirche. Bild: W. Kräutler
Auf ihrem Weg vom Brenner nach Innsbruck wandern Pilgersleute auf die grandiose Nordkette und damit Innsbruck zu. Hier der Jakobsweg bei Patsch. Bild: W. Kräutler
Weshalb Millionen von Christenmenschen im Mittelalter auf die damals höchst gefährlichen Pilgerreisen gegangen sind, hat einen einfachen Grund. Die Angst vor ewiger Verdammnis trieb sie an, vor allem Santiago de Compostela zu erreichen. Da die katholische Kirche jenen Pilgersleuten einen ‚vollkommenen Ablass‘ gewährte, die das Grab des Apostels Jakob in Santiago erreichten, nahmen Millionen die beschwerliche und hochgefährliche Tour quer durch Europa in Angriff. Zu verlockend war die Aussicht, der ‚ewigen Verdammnis‘ durch eine Pilgerfahrt zu entkommen.
Aus dem Jahre 1604 stammt eines der ältesten Pilgergraffitis in Tirol. Mit Rötel verewigte sich ein mittelalterlicher Pilger in der Kirche zu Obsaurs im Tiroler Oberland. Bild: W. Kräutler
Heute kaum mehr denkbar: Auf ihren Wegen nach Santiago de Compostela, Rom oder Jerusalem machten hunderttausende Pilgersleute in Innsbruck Station. Im ausgehenden Mittelalter war es dann das ‚Gnadenbild Mariahilf‘ des großen gotischen Meisters Lucas Cranach d.Ä. im Dom St. Jakob zu Innsbruck, das für einen zusätzlichen Ansturm frommer Pilgersleute sorgte.
Das ‚Gnadenbild Mariahilf‘ von Lucas Cranach d.Ä. im Dom zu Innsbruck war das Ziel hunderttausender Pilgersleute. Bild: W. Kräutler
Heute wieder hochaktuell: der Jakobsweg
Das muss man sich einmal vorstellen: 2022 sind mehr als 438.000 Pilger in Santiago de Compostela angekommen. 20 Jahre zuvor waren es knapp 60.000. Weshalb diese dramatische Zunahme? Meine Erfahrungen, als ich 2022 von Rietz über Santiago ans Ende der Welt spaziert bin, erbrachten quasi ein ‚Sammelergebnis‘: Es ist die Suche nach dem Sinn des eigenen Lebens, die vor allem junge Menschen wieder antreibt, große Distanzen ohne fahrbaren Untersatz hinter sich zu bringen.
Auf ihrem Weg durch Österreich passieren Jakobspilger aus gleich zwei Richtungen kommend Innsbruck, einerseits aus dem Osten, wenn die Pilgersleute von Gnadenwald kommend in Innsbruck eintreffen. Ich habe die letzte Etappe vor Innsbruck hier beschrieben. Jene, die den Brenner überwunden haben, treffen mit den Pilgersleuten aus Innerösterreich hier zusammen.
Es waren vor allem Südtiroler Pilger, deren Weg in den vergangenen Jahrhunderten über den Brenner und Innsbruck führte. Einerseits des Gnadenbildes im Dom zu St. Jakob wegen, andererseits war und ist es die ‚Schwarze Madonna‘ von Einsiedeln, die auf Tiroler Gläubige seit jeher eine magische Anziehungskraft ausübt. Der Weg zu ihr führt über Innsbruck und den Arlberg. Den Abschnitt zwischen Brenner und Innsbruck habe ich hier beschrieben.
Die ‚Schwarze Madonna‘ von Einsiedeln in der Schweiz ist heute noch das Ziel vieler Tiroler Pilgersleute. Bild: W. Kräutler
Der Romediusweg
Für allerlei gläubige Kurzweil sorgten schon immer die Wallfahrtskirchen in der Umgebung von Innsbruck. Die Romediuskirche in Thaur erinnert an das Wirken des heiligen Romed, der gemäß der Legende dort tätig gewesen war. Das wunderschön gelegene Kirchlein ist darüber hinaus Ausgangspunkt des Romediusweges, eines vor einigen Jahren kreierten Weges, der die zwei Romedius-Gedenkorte miteinander verbindet: Thaur und San Romedio.
Die Romediuskirche ob Thaur ist Ausgangspunkt eines Pilgerweges, der einer alpinen Höhenweitwanderung alle Ehre machen würde: der Romediusweg. Bild: W. Kräutler
Dieser Pilgerweg gehört mit Sicherheit zu den anspruchsvollsten Pilgerwegen in Tirol. Er führt auf uralten Wegen über Mieders und Maria Waldrast ins Gschnitztal. Dort überquert man ein Joch ins Obernberger Tal und wandert entlang des Obernberger Sees zum Portjoch, wo die Grenze zu Südtirol überschritten wird. Nach zwölf Etappen erreicht man San Romedio. Eine wunderbare Tourenbeschreibung kann aus dem Web heruntergeladen werden.
Quo Vadis: der Pilgerweg von Innsbruck nach Maria Waldrast
Ein fixer Bestandteil der Tiroler Frömmigkeit ist Maria Waldrast ob Matrei am Brenner. Dieser Ort ist vor allem ob seines ‚wundertätigen Wassers‘ bekannt und beliebt. Weniger bekannt ist, dass oberhalb der Klosterkiche am Übergang zwischen Wipp- und Stubaital einst ein Steinkreis stand. Wer genau hinsieht, kann die Steine noch als Absperrung und unter der Gras- und Torfdecke erkennen. Es sind jedenfalls Zeichen dafür, dass dieser Ort schon in prähistorischer Zeit eine Art Wallfahrtsort gewesen sein musste.
Maria Waldrast, eine uralte Wallfahrtsstätte, die mit Sicherheit bereits in vorchristlicher Zeit existiert hat. Bild: W. Kräutler
Am Übergang vom Wipptal ins Stubai stand einst ein Steinkreis. Dessen Bestandteile dienen heute als Wegbegrenzung. Bild. W. Kräutler
Quo Vadis nennt sich diese Tages-Pilgerstrecke, die den Spuren von Bischof Reinhold Stecher folgt. Er hatte diese Wegstrecke unzählige Male alleine am frühen Morgen bewältigt.
Maria Locherboden
Ähnlich ist es mit der Wallfahrtskirche Maria Locherboden. Sie liegt rund 30 Kilometer westlich von Innsbruck und gehört ebenfalls zu den auch heute noch viel besuchten Kraftplätzen. Auch sie steht auf einem historischen Kulthügel, in dessen Nähe bei Ausgrabungen bronzezeitliche Gebäude gefunden wurden. Die heutige Wallfahrtskirche liegt nicht nur am Tiroler Jakobsweg von Innsbruck zum Stift Stams im Oberinntal, sie wird auch von Pilgersleuten erreicht, die den Isar-Loisach-Leutascherache-Inn-Jakobsweg zwischen München und Stams beschreiten.
Die Via Romea: von Stade nach Rom
Die VIA ROMEA des Abtes Albert von Stade ist nicht zu verwechseln mit der Via Francigena, dem zurzeit bekanntesten Pilgerweg in die ewige Stadt. Die VIA ROMEA verläuft ziemlich genau vertikal von Stade nach Süden über Österreich und den Brenner und trifft erst auf dem letzten Abschnitt westlich von Viterbo auf die Via Francigena.
Die VIA ROMEA führt über Scharnitz, Seefeld und Reith nach Innsbruck – und natürlich weiter über den Brenner nach Rom. Bild: W. Kräutler
Von Scharnitz kommend, nähern sich die Pilgersleute über Seefeld und Reith der Landeshauptstadt. Von dort geht der Weg weiter über Igls, Matrei, Steinach und Gries zum Brenner.
Die früheren Unwägbarkeiten am Pilgerweg zwischen Innsbruck und Rom sind seit dem Erscheinen eines sehr guten Pilgerführers geringer geworden. Ferdinand Tremel, lange Zeit Obmann der Jakobsgemeinschaft Tirol, hat die Route von Innsbruck über Bozen, Padua, Bologna und Assisi nach Rom detailiert und gut beschrieben. Zudem weist seit diesem Jahr eine neue, umfassende Beschilderung des Teilstücks in Tirol Pilgersleuten den Weg.
Die Strecke von Innsbruck zum Brennerpass verläuft entlang der dort vermuteten römischen Heeresstraße über Patsch und Ellbögen nach Matrei. Via Steinach und Gries am Brenner erreichen Pilger den Brennerpass.
Der Jerusalemweg
Die Pilgerfahrt nach Jerusalem gehört mit Sicherheit zu den aufregendsten Spaziergängen. Es ist mit Sicherheit einer der längsten Pilgerwege, liegen doch allein zwischen Innsbruck und Jersusalem rund 4.600 Kilometer. Von Innsbruck aus führt er über Wien und Budapest durch den Balkan nach Istanbul. Die Route über Damaskus in Syrien ist kriegsbedingt nicht begehbar. Der Vorschlag lautet, von Antalya aus per Flugzeug nach Amman zu reisen, um dann die letzten Etappen nach Jerusalem in Angriff zu nehmen. Informationen gibt es auf der entsprechenden Website.
Mit meinen zwei französischen Pilgerfreunden 2022 auf der letzten Etappe des Weges von Rietz nach Finisterre. Im Hintergrund: das ‚Ende der Welt‘. Bild: W. Kräutler
Weshalb ich pilgernd durch Europa spaziere?
Pilgern bedeutet für mich, einerseits das kulturelle Erbe Europas hautnah kennenzulernen, und andererseits eine uralte Art des Reisens wiederzubeleben, die Johann Wolfgang von Goethe einst so beschrieben hat: „Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen.“ Ganz abgesehen von den Schönheiten, die entlang der Pilgerwege auf die Suchenden warten.
In diesem Sinn wünsche ich allen Lesern: Buen Camino!
Nützliche und interessante Links für Pilgersleute und alle, die es noch werden wollen:
Meine Website zum Tiroler Jakobsweg: https://tirolerjakobsweg.wordpress.com/
Der Verlauf des Jakobsweges durch Tirol: https://www.tirol.at/reisefuehrer/sport/wandern/wandertouren/a-jakobsweg
Der Romediusweg von Thaur nach San Romedio: https://www.romedius-pilgerweg.at/
Quo Vadisweg nach Maria Waldrast https://www.quovadis-tirol.com/at/pilgerweg.php
Der Weg des Abtes Stade nach Rom: https://www.viaromea.de/pilgerweg/gesamtstrecke/
Der Weg von Innsbruck nach Rom: http://www.pilgerweg-nach-rom.at/Galerie
Das Buch zum Pilgerweg nach Rom: http://www.pilgerweg-nach-rom.at/
Der Jerusalemweg: https://www.jerusalemway.org/route/oesterreich/
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Alm-Freiwilliger in der 'Schule der Alm', Kultur-Pilger, tirol-Afficionado, Innsbruck-Fan.
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