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Der Innsbrucker Stadtteil Wilten war und ist ein wenig eigen: Die Kirche hat ein Riese gebaut, in der Sillschlucht wohnte ein Drache, im Stift trällern die Sängerknaben, und oben am Bergisel schickte einst ein vollbärtiger Tiroler Weinhändler einen kleinen französischen Feldherrn nach Hause. Außerdem kennt und grüßt man sich hier wie sonst nur am Land. Trotzdem ist Wilten inzwischen ein ganz schön hipper Hotspot geworden – kreativ, kurios und kunterbunt. Als ich dort letztens durch meine Kindheit spazierte, waren das auch gleich drei Jahrzehnte Stadtgeschichte. Ein staunender Rückblick und eine dringende Empfehlung.

Wilten im Wandel der Zeit

Die kleine Neurauthgasse liegt in Wilten bei der großen Kreuzung gleich hinter der Glockengießerei Grassmayr. Der Platz, wo sich früher ein großer Haufen Altmetall türmte, ist sauber und aufgeräumt, Blumen blühen überall, es ist jetzt viel bunter hier. Ich erinnere mich aber noch genau, als Papa dort mein erstes Fahrrad fand, lila und mit weißen Griffen. Er war damals ziemlich genau so alt wie ich heute. Vorsichtig schiele ich in den Garten, alles noch genau wie damals, sogar die Sandkiste, als wäre ich erst gestern dort gesessen. Weiter via Frauenanger zur Wiltener Stiftskirche, wo immer noch die beiden mächtigen Riesenstatuen über den Eingang wachen. Meine Mutter erzählte mir früher vom Drachen in der Sillschlucht und wie die beiden Riesen in den Bergen fürchterlichen Streit miteinander hatten. Eine andere Geschichte erzählt am Vorplatz heute auch eine aufwändige Metallskulptur von Christian Moschen, die den heiligen Norbert mit einem göttlichen Blitz aus dem Sattel wirft.

Alt und neu finden sich wieder

Bergisel und Sillschlucht lasse ich heute links liegen, auch wenn ich im Kulturgasthaus Bierstindl schon viele schöne Stunden in der Sonne saß. Meine Eltern beim Bier, ich ein tropfendes Eis, und mein Papa Andreas musste wieder vom Hofer Andreas erzählen, der am Bergisel gegen die Franzosen kämpfte und eigentlich ein ganz gewöhnlicher Weinhändler war. Nur das Riesenrundgemälde, das heute hier direkt vor Ort an die siegreichen Schlachten erinnert, stand bis 2010 noch unten am Inn. Auch die Skisprungschanze sah früher etwas anders aus, die etwas makabere Flugrichtung zum Friedhof Wilten stimmt aber immer noch. Von oben lässt sich auch das römische Castellum Veldidena gefühlt noch erahnen, ordentlich angeordnete Plankataster, die heute eben Wilten heißen. Erst 1904 wurde das Dorf Wilten mit Innsbruck vereint, und der einstige Stadtbahnhof Wilten hieß fortan Innsbruck Westbahnhof.

„A richtig feins Platzl“

Den herzlichen Dorfcharakter und ihre sympathischen Eigenheiten haben sich die Wiltener aber mit gewissem Stolz behalten. So grüßt man sich hier selbst unter „Stadtlern“ mit einem freundlichen Kopfnicken, hilft unter Nachbarn gern zusammen und trifft sich beim samstäglichen Bauernmarkt am pulsierenden Wiltener Platzl auf a Kaffetschal und an gmiatlichen Ratscher (Kaffee bei entspanntem Smalltalk). Überhaupt reihen sich nicht nur im adretten Wiltener „Zentrum“ die kleinen Geschäfte, kreativen Läden und gemütlichen Cafés aneinander – das Flanieren läuft längst auch südlich der markanten Triumphpforte (historische Grenze Innsbruck–Wilten) zur Höchstform auf.

Traditionsbetriebe wie den Malereibedarf Bier & Biendl oder die Papeterie Schmid, den Gastgarten Steneck und die Glasmalerei trifft man hier genauso wie studentische Hotspots à la Kater Noster, Brunchcafé Wilten oder Jazz-Cantina Vecchia. Beim Barbershop Boss in der Leopoldstraße schneidet mir mein syrischer Freund Argesh die Haare, ein paar Schritte weiter gibt’s Döner bei Lawasch Imbiss, Falafel im vegan-vegetarischen Olive oder Ann’s American Diner. Ganz ohne Mühe kann man in Wilten so von morgens bis abends genießen, einmal quer durch die Welt und zu Gast bei alten Freunden.

Willkommen in Wilten

Den unzähligen Geschichten, Sehenswürdigkeiten, Persönlichkeiten und Erlebnissen in Wilten widmet sich inzwischen auch eine liebenswerte kleine Doku – die den pulsierenden Innsbrucker Stadtteil auch durchaus facettenreich abzubilden weiß. Wer Wilten aber wirklich kennenlernen will, wird um einen Besuch dennoch nicht herumkommen. Eine dringliche Empfehlung sei an dieser Stelle jedenfalls ausgesprochen. Als gebürtiger Wiltener würde ich mich dort dann übrigens sehr über ein freundliches Kopfnicken und ein herzliches „Servus“ freuen. So gehört sich das hier unter Freunden.

Weitere Infos und Geschichten zum Stadtteil Wilten gibt es hier.

Header-Bild: © Innsbruck Tourismus / Danijel Jovanovic

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