
Eins vorweg: Am eigenen Heimatort an einer Stadtführung teilzunehmen ist ein Augenöffner, den ich jedem und jeder nur wärmstens empfehlen kann. Mit der Innsbruck by Night Tour lernte ich Anfang April Innsbrucks Geschichte auf eine Weise kennen, die Stein, Jahreszahlen und Namen neues Leben einhauchte. Long story short: Es ging schon immer etwas absurd zu in der Stadt.
Im Herz der Alpen
Meinen neuen Wissensschatz habe ich Verena Abenthung von Per Pedes zu verdanken, die ein Grüppchen interessierter Touristinnen - und mich einheimisches Unkraut - durch die verwinkelte Innsbrucker Altstadt führte. Die Sonne hatte die letzten Spuren der vorangegangenen Regentage aufgetrocknet und versprach etwas Wärme. Während ich mir im Kopf noch halb ausmalte, was das Wetter wohl mit den Skibedingungen machte, legte Verena mit dem kleinen Einmaleins Innsbrucks los. Sportstadt, Unistadt, ein Flughafen für Pilot:innennerven aus Stahl. Ein paar Zahlen möchte ich nicht vorenthalten: Im Großraum Innsbruck kommen auf rund 140.000 Einwohner:innen etwa 35.000 Studierende, der Flughafen verzeichnet im Jahr um die 900.000 Passagiere. Gar nicht schlecht für eine Stadt, die zu Römerzeiten als Wegsiedelung an einem günstigen Knotenpunkt in den Alpen begann. Passenderweise hieß die Gegend „Land im Gebirge“, ehe sie nach den Grafen von Tirol ihren heutigen Namen erhielt.
Historisches Pflaster
Im Laufe der rund anderthalbstündigen Führung spannte Verena den Bogen von Margarete Maultasch, der Letzten aus dem Geschlecht der Grafen von Tirol, über diverse Generationen der Habsburger bis hin zur Etablierung einer Fußgängerzone vor dem Goldenen Dachl. Auf dem Streifzug durch die Altstadt wurde immer wieder ersichtlich, wo die Zeit wortwörtlich die Vergangenheit geschluckt hatte. Etwa an unserer ersten Station gleich hinter dem Tourismusbüro, wo wir erfuhren, dass die alte Stadtmauer fast restlos in den später erbauten Häusern aufgegangen war. Auch das alte Stadttor, das einst am Altstadteingang Richtung Maria-Theresien-Straße wachte, gehört seit dem 18. Jahrhundert der Vergangenheit an. Von ihm besteht nur noch eine Tafel an einem der Nachbarhäuser und eine Anekdote: Die fünf Stadttore wurden bei Sonnenaufgang geöffnet und bei Sonnenuntergang geschlossen. Wer sein Zeitmanagement vergeigt hatte, kam abends also eventuell nicht mehr in die Stadt – daher kommt die (auf Deutsch zumindest) berühmte [/notrans]Torschlusspanik[/notrans].
Vier Viecher und ein Stadtturm
Ein Freund geneigter Geschichtsenthusiast:innen in Sachen Innsbruck ist übrigens Albrecht Dürer. Er hat um 1500 einige Zeichnungen der Stadt angefertigt, die uns auf der Tour einen Einblick in die Vergangenheit gaben. Der Stadtturm unterzog sich einer markanten Veränderung: Malte Dürer ihn noch mit gotischen Spitztürmen, sieht man ihn heute mit einer Renaissancehaube. Dahinter stand keine Zerstörung oder sonstiges Ungemach, sondern nur der Wunsch der damaligen Stadtbewohner:innen nach etwas Modernerem.
Mit Blick auf den Turm stehen wir im Vier-Viecher-Eck, wo noch die Schilder der Gasthäuser Goldener Hirsch, Goldener Löwe, Roter Adler und das bis heute bestehende Weiße Rössl zu sehen sind. Hier bekommen wir eine Einführung ins Alltagsleben im Innsbrucker Mittelalter, zwischen Tierhaltung in der Altstadt, Geschäftslokalen und den rund 200 Erdbewegungen, die im Jahr verzeichnet werden. Versuchen Sie mal, nach dieser Information nicht an jeder Ecke Erdbebenstützen zu sehen.
Ladies last
Auch die jüngere Vergangenheit fand Erwähnung. So erfuhren wir, dass der Tausch 130 Jahre alter Trinkwasserleitungen der Grund für die ausgedehnten Bauarbeiten in der Altstadt war. Die Geschichte reimt sich, immerhin war die Altstadt auch einst vom Handwerk dominiert – außer jenem, das rauchte, stank oder lärmte, das musste vor den Stadtmauern bleiben.
Vor der Konditorei Munding erklärte Verena uns, dass hier das erste Damencafé der Stadt entstanden war. Ohne männliche Begleitung durften Frauen nämlich nicht in Gaststätten, das Damencafé bot einen zaghaften Fortschritt. Wenn auch mit früheren Sperrstunden und ohne Alkohol. Spielverderber.
Mit mehr Humor geht es ein paar Meter weiter oben zu. Ich staunte Bauklötze, als mir auf dem Dach vor verschneiter Kulisse zum ersten Mal eine Angel samt im Wind zappelndem Fischlein auffiel. Ein Vierteljahrhundert gehe ich diesen Weg nun schon, doch ohne die Führung wäre mir das erheiternde Detail in der Höhe nie aufgefallen.
Übern Inn
An der Ottoburg bietet sich uns der herrliche Ausblick auf die Nordkette. In etwa auf dieser Höhe gab es schon 1180 eine Brücke über den Inn, die über hunderte Jahre lang die einzige im Gebiet bleiben sollte – von ihr hat Innsbruck bis heute seinen Namen. Einst gab es ein Mauthäuschen auf ihr, Durchkommen war nur gegen einen Obolus möglich. Als tägliche Brückennutzerin bin ich ausgesprochen dankbar, dass sich diese Praxis nicht gehalten hat.
Verena erklärt noch, wie sich die Nordkette in das Karwendel einfügt und warum sie weniger hoch ist als die Berge im Süden. Vorm Goldenen Dachl erfahren wir dann, warum sich Kaiser Maximilian I. in Innsbruck regelmäßig die Taschen auffüllte, wie er das Habsburgerreich mit Hochzeiten vergrößerte, seine tragische Liebe zu Maria von Burgund und warum das Goldene Dachl ein mittelalterlicher Marketinggeniestreich war.
Das Denkmal vor der Ottoburg erinnert an den Tiroler Freiheitskampf, im Zuge dessen man die Innbrücke gut im Auge behielt.
Wiederauferstehung eines Doms
Wir gehen weiter hinunter zum Dom – achten Sie nächstes Mal, wenn Sie davorstehen, darauf, welche Fenster echt und welche nur dazugemogelt sind. Im Inneren bestaunen wir die Barockpracht mit den geschwungenen, ineinanderfließenden Linien. Vorne am Altar ist das berühmte Maria-Hilf-Bild von [/notrans]Lukas Cranach[/notrans] dem Älteren aktuell verhängt, aufgrund der Fastenzeit. Dafür sind von ihm allein in der Altstadt rund 30 Kopien aufgepinselt. Das Fastentuch dieses Jahr: Ein Druck von Andy Warhol, „Repent and sin no more“. Während wir die Details bestaunen, lernen wir, dass der Dom im Zweiten Weltkrieg schwer getroffen wurde und heute von detailgetreuen Rekonstruktionen geprägt ist. Die Nazis verboten damals, die Domruine zu fotografieren – heute darf man gegen einen kleinen Unterstützungsbeitrag so viele Fotos schießen, wie man möchte.
Die spannende Geschichte, wie die berühmte Madonna den Kriegsschäden entging, hat mein Bloggerkollege Werner in einen lesenswerten Artikel verpackt.
Warhol und Heiland: Ein Motiv des berühmten Künstlers hängt während der Fastenzeit am Altar des Doms.
Hofburg reloaded
Auf der letzten Station, vor der Hofburg, hilft uns unser Freund Dürer wieder, denn von der ursprünglichen Burg ist fast nichts mehr übrig. Maria Theresia ließ sie anlässlich der Hochzeit ihres Sohnes Leopold II. Mitte des 18. Jahrhunderts grundrenovieren. Verena erklärt uns, wie die rund 400 Räume heute genutzt werden. Spoiler: Heizen dürfte ein Albtraum sein.
Jünger, aber auch noch gut in Schuss: Die benachbarte Nordkettenbahn, deren Seilbahnsektionen schon vor 97 Jahren entstanden. Die Stationsgebäude stehen unter Denkmalschutz und sind im Original erhalten, die Seilbahntechnik hat sich glücklicherweise weiterentwickelt. Von unserer Position aus sehen wir auch die Hofkirche, deren Fassade mich als Kind stets an eine zeternde Nonne erinnert hat. Verena erklärt uns, dass über 80 Jahre an ihr gearbeitet wurde und Kaiser Max sich ein Hochgrab mit 40 vergoldeten Figuren als Wächter gewünscht hatte. Daraus wurden 28 Bronzefiguren und ein ebenso beeindruckendes wie leeres Grab – am Sterbebett entschloss der Kaiser, dass er an seinem Geburtsort in Wiener Neustadt begraben werden wollte.
Die Abendführung Innsbruck by Night
Natürlich gab es noch sehr viel mehr zu erfahren. Wer sein Arsenal an Fun Facts zu Innsbruck aufmöbeln möchte, kann sich bis 30. April 2025 immer dienstags und donnerstags um 17 Uhr der Tour anschließen. Von 1. Mai bis 27. September 2025 startet Innsbruck by Night immer freitags um 17:30 Uhr, mit der Innsbruck Card ist sie sogar kostenlos. Treffpunkt ist jeweils in der Halle der Innsbruck Information am Burggraben 3.
Infos zu Sightseeing in Innsbruck
Bilder, sofern nicht anders gekennzeichnet: Theresa Kirchmair
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Begeisterungsfähige Tirolerin mit einem Hang zum Absurden. Springt gern über Mauern und nutzt die resultierenden blauen Flecken dann als Rorschachtest.
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